Hochzeit des Hürnen Seyfrieds

Die Hochzeit des Hürnen Seyfrieds ist ein anonymes Gedicht, das in 66 Achtzeilern als Ergänzung zum Hürnen Seyfrid erzählt, wie der Bräutigam bei seiner Hochzeit zunächst an einem Turnier teilnimmt, dann auf die Jagd geht und mit Schlangen kämpft und zum Schluss im Schlaf von seinem Schwager Hagen ermordet wird.

Bauch_2022_S_101Quelle: Bauch 2022, S. 101 (mit freundlicher Genehmigung des Verfassers)

Kurzbeschreibung

  • Beziehung zur Nibelungensage: Ergänzung zum Hürnen Seyfrid
  • Überlieferung: 1 Druck von 1663
  • Online-Überlieferung: keine
  • Verfasser: unbekannt, vielleicht Hans Sachs (1494–1576)
  • Entstehungszeit: spätestens 1663, vielleicht um 1530 oder kurz davor
  • Entstehungsort: unbekannt, vielleicht Nürnberg
  • Sprache: Neuhochdeutsch
  • Länge: 528 Verse, rund 2600 Wörter
  • Form: 66 Achtzeiler mit Kreuzreimen (ababcdcd)
  • Erstdruck: unbekannt, vielleicht um 1530 (nicht erhalten)
  • Online-Ausgaben: keine
  • Maßgebliche Ausgabe: Bauch 2022
  • Online-Übersetzungen: keine
  • Übersetzung: Bauch 2022
  • Hauptquelle: wohl mit Entführungsgeschichte interpolierte Fassung des Nibelungenliedes
  • Nebenquellen: wohl Rosengarten zu Worms
  • Rezeption: keine
  • Beschreibung: noch keine außer dieser (8.6.2023)

Die Entdeckung und Veröffentlichung des Unikums

Anfang 2022 wurde von dem Münchner Antiquariat Turszynski, das „seltene und kuriose Bücher des 16.–19. Jhdts.“ verkauft, eine bislang unbekannte Auflage des Hürnen Seyfrid angeboten. So lautet die heute auf der Homepage des Antiquariats nicht mehr abrufbare Anzeige auf vialibri, der weltweit größten Suchmaschine für alte, seltene und gebrauchte Bücher. Sie vermittelte das Angebot ab 30.5.2022:

  • Siegfriedsage – –
  • Ein schön newes Gespräch von dem Hürne Seyfried / wie er wegen seiner Mannheit von Vatter, und Mutter ist hinweg gezogen / und wie es ihm ergangen. Deme beygefügt die Hochzeit des Hürnen Seyfrieds / wie statlich es auff derselbigen hergegangen seye. Ist kurtzweili zu lesen und zu singen. Gedruckt im Jahr Christi. —- Mit dem Zwischentitel: Hochzeit des Edlen und Weitberühmeten Helden Hürnen Seyfrieds. Wie stattlich es auff der selbigen zugegangen seye / Auch wie letzlich durch seinen Schwager den Hagen bey einem Brunnen bey Wormbs ist ermordt worden. Ganz lustig und kurzweilig zu singen und zu lesen.
  • O, O, 1663. Mit 2 Titelholzschnitten und 29 Textholzschnitten. 42 unnum. Bll. Moderne HLwd. Für mich bibliographisch nicht nachweisbar, nicht im VD 17, kein Exemplar im KVK. – Der Hürnen Seyfrit (« Das Lied von Siegfried mit der Hornhaut?) ist eine Fassung der Siegfriedsage. Der früheste bislang bekannte Druck stammt aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. – Knapp gebunden. Unbeschnitten, Titel etwas knittrig und mit dem folgenden Blatt im Bund fixiert. Feuchtfleckig. [5 Warenabbildungen bei antiquariat.de]

Tatsächlich umfasste die bislang bekannte Überlieferung des Hürnen Seyfrid damals nur eine Handschrift aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und zwölf Druckexemplare, die ebenso viele Auflagen aus der Zeit zwischen ca. 1535 und 1641 vertreten. Der angebotene Druck entspricht also einer 13. Auflage von 1663. Der Anbieter hatte in den gängigen Nachschlagewerken vergeblich nach dieser Auflage gesucht und sich dabei nicht für den Text interessiert, der auf den zweiten Titelholzschnitt folgt. In der Anzeige verlautete nichts Weiteres über die Hochzeit des Helden als das, was auf dem ersten Titelholzschnitt angekündigt wird.

Erworben wurde der Druck von Mario Bauch, Rechtsanwalt in Grimmen im Landkreis Vorpommern-Rügen und SPD-Politiker, einem begeisterten Büchersammler und Verleger. Ihm wurde sofort klar, was in seinen Besitz gelangt war: nicht nur eine unbekannte Auflage des Hürnen Seyfrid, sondern auch eine völlig neue Variante der Nibelungensage. Er beschloss, den Fund in seinem eigenen Verlag zu veröffentlichen. Schon am 6. Dezember 2022 erschien sein Buch beim Grimmener Daon-Verlag in einer limitierten Auflage von 503 Exemplaren. Am 27. April 2023 hielt der Autor einen Vortrag zum Fund in Grimmen. Am 7. Juni erreichte Nr. 41 der Auflage Straßburg und wurde noch am folgenden Tag mit der Erlaubnis des Verfassers auf diesem Portal beschrieben.

Beschreibung des Unikums

Der Doppeldruck besteht aus 42 unfoliierten Blättern mit fortlaufenden Bogensignaturen (A–E8F2). Er ist mit insgesamt 31 Holzschnitten illustriert. Zwei davon sind Titelholzschnitte. Der erste (Bl. A 1r) zeigt einen Drachenkampf und wird später wiederholt (Bl. E 7v). Das Titelblatt leitet den Hürnen Seyfrid ein und kündigt einen zweiten Teil an. Es ist am linken Rand beschnitten, sodass einige Buchstaben fehlen. Sie lassen sich relativ leicht eruieren:

  • Ein ſchoͤn newes Geſpräch | von dem | [Huͤ]rnē Seyfried / | [W]ie er von wegen ſeiner | [M]annheit von Vatter vnd Mut= | [t]er iſt hinweg gezogen / vnd wie es | jhm ergangen. | [D]eme beygefuͤgt die Hochzeit deß | [Huͤ]rnen Seyfrieds / wie ſtatlich es auff | derſelbigen hergegangen ſeye. | Jſt kurtzweilig zu leſen und zu singen. | [Holzschnitt: links ein Ritter mit Speer und Schild, rechts zwei Drachen] | Gedruckt im Jahr Chriſti 1663.

So lautet das zweite Titelblatt (Bl. D 8r):

  • Hochzeit Deß | Edlen vnd Weitberuͤhm= | ten Helden Huͤrnen | Seyfrieds. | Wie ſtattlich es auff der | ſelbigen zugegangen ſeye / Auch wie | letſtlich durch ſeinen Schwager | den Hagen bey einem Brun= | nen bey Wormbs iſt er= | moͤrdt worden. | Gantz luſtig vnd kurtzweilig zu | ſingen vnd zu leſen. | [Holzschnitt: sieben Tänzer] | Gedruckt eben in dieſem Jahr.

Über die Titelblätter hinaus sind die beiden Teile des Doppeldrucks mit jeweils 24 und 5 Holzschnitten versehen. Der erste Teil ist im Layout fast mit der Auflage identisch, die 1594 in Basel von Johann Schröter veröffentlicht wurde, und weicht grundsätzlich nur in der Orthographie davon ab [abrufbar]. Beide Drucke stimmen vom 2. bis zum 25. Blatt (A2–D1) miteinander überein. Danach fehlen sechs Blätter im einzigen erhaltenen Exemplar des Drucks von 1594 (D2–D7). Dieses Exemplar endet mit dem Kolophon, auf dem der Drucker seine Absicht ankündigt, eine Fortsetzung folgen zu lassen (D 8r):

  • Hie endet ſich des Hürnen Seyfrids Geſchicht / von der | zeit ahn / als er anſſen [recte: außen] geweſen / wie | er mit den Ryſen / Zwergen vnnd Tracken | geſtritten / vnd jhnen obgelegen / wie es nun | jhm weiter die acht Jahr ergangen / wirſtu in | ſeiner Hochzeit der lenge nach finden | ſo ich (wils Gott) mit der zeit zuͦ | Trucken willens bin / [&]c. | [Druckermarke] | Getruckt zu Baſel bey Johan: | Schroͤter. | 1 5 9 4.

Es ist unklar, ob Johann Schröter sein Versprechen hielt. Auf jeden Fall muss er damals schon diese Fortsetzung gekannt haben. Sie wurde seit dem ersten bekannten Druck in der letzten Strophe des Gedichts angekündigt (K, Str. 179):

  • Die drey brüder Krimhilde / Wer weyter hören wöll / So wil jch jm hie weysen / Wo er das finden söl / Der leß Sewfrides hochzeyt / So wirdt er des bericht / Wie es die acht Jar gienge / Hie hat ein end das dicht.

Vieles spricht deshalb dafür, dass der Hürnen Seyfrid von Anfang an mit dieser Fortsetzung versehen war, ähnlich wie das Nibelungenlied mit der Klage. Die kürzere Fortsetzung wurde offenbar früh weggelassen, auf jeden Fall schon um 1535 in Nürnberg, überlebte aber in einer unbekannten Teilüberlieferung bis zum vorliegenden Doppeldruck. Dieser dürfte also den verlorenen Erstdruck, das mutmaßliche Original, widerspiegeln. Als Verfasser der Fortsetzung kommt deshalb wie für den Hauptteil Hans Sachs in Frage.

Das erste Titelblatt ist auf 1663 datiert, enthält aber keine Angabe über Druckort und Drucker. Der Hauptteil des Doppeldrucks endet ohne Kolophon und hat nur das in Majuskeln geschriebene Wort „E N D E.“ nach der Schlussstrophe. Unmittelbar auf der nächsten Seite folgt das zweite Titelblatt mit einer kurzen Inhaltsangabe, einem kleinen Holzschnitt, der das Hochzeitsfest darstellen soll, und die damals übliche Angabe, der Druck sei „in diesem Jahr“ erschienen. Im Fall des Doppeldrucks bedeutet das 1663. Ganz besonders interessant ist der Hinweis, der Text sei nicht nur zum Lesen bestimmt, sondern auch zum Singen. Er kann also als Unterhaltung bei Hochzeitsfesten gedient haben, mit welcher Melodie auch immer.

Den vollständigen Titel der Fortsetzung kürzt Mario Bauch auf seinem eigenen Titelblatt zu „Hochzeit des Hürnen Seyfrieds“. Dieser vernünftige Vorschlag berücksichtigt die jüngere, im Druck belegte Schreibung des Heldennamens „Seyfrieds“, modernisiert den alten Genitiv „deß“, behält von der langen Bezeichnung des Titelhelden nur das gängige Adjektiv „Hürnen“ und wird sich hoffentlich in der künftigen Forschungsliteratur durchsetzen. Inzwischen wird der praktische Vorschlag auf diesem Portal übernommen.

Die 66 Strophen der Hochzeit des Hürnen Seyfrieds sind nur teilweise im selben Versmaß verfasst wie der Hauptteil. Die 179 Strophen haben meist nur zwei Reimpaare, und viele Reime sind unrein, wie in Strophe 2: Vnderthan : darvon. Ein solcher Reim wäre alemannisch rein (*underton : darvon), ähnlich die Bindung in Strophe 5: für : wür (für: würde). In Straßburg wäre wohl damals die Aussprache rein gewesen: [fi:r] : [wi:r]. Alle Unreinheiten lassen sich nicht als Entstellungen einer alemannischen Urfassung erklären, zum Beispiel der Reim in Strophe 7: abthun : bestohn. Das verlorene Original wurde ein Jahrhundert vor Martin Opitz’ Buch von der Deutschen Poeterey (1624) verfasst und erlaubte sich Reimfreiheiten, die nach diesem poetologischen Meilenstein nicht länger geduldet wurden.

Die 66 Strophen der Hochzeit des Hürnen Seyfrieds bestehen aus je vier Reimbindungen (ababcdcd). Diese Kreuzreime weisen dieselben Unreinheiten auf wie diejenigen des Hauptteils, zum Beispiel in Strophe 7 schon : plan (alemannisch [plo:n]) und in Strophe 9 herfür : Begir (alemannisch [her‘fi:r]). Die Reimbindungen sprechen für eine Entstehung der Fortsetzung vor 1624 in derselben Mundart wie der Hauptteil.

Erzählt wird, wie Seyfried mehr als einen Monat lang Hochzeit feiert. Am Turnier beteiligen sich die Schwäger des Bräutigams Hagen, Girnot und Gunter, Grimhilds Brüder, und sein Schwiegervater König Gibich (Str. 1–27). Danach gehen die Männer auf die Jagd in einem Wald. Dabei wird Gibich von einem Wolf verletzt (Str. 28–39). Nach der Jagd wird dem Hof von Worms gemeldet, vier Schlangen seien unterwegs. Seyfried tötet sie zusammen mit seinen drei Schwägern (Str. 40–45). Da entscheidet Hagen ohne nähere Begründung, seinen Schwager umzubringen. Er weiß, dass Seyfried oft zu einem Brunnen in Worms geht, um sich dort auszuruhen. Dort erschlägt er ihn im Schlaf (Str. 46–49). Der Mord löst einen Kampf zwischen den Anhängern des Opfers und des Mörders aus. Hagen wird gefangengenommen und in einen Schlangenturm geworfen. Seine Brüder reiten zu Dietrich von Bern. Dieser Held kommt mit Hildebrand nach Worms und bewirkt die Entlassung des Gefangenen. So wird nach dem Mord der Friede wiederhergestellt (Str. 50–66).

Seyfrieds Tod im Schlaf und Hagens Gefangenschaft im Schlangenturm erinnern schwach an Sigurds Tod im Bett und Gunnars Tod im Schlangenhof in der isländischen Variante der Nibelungensage. Eine direkte Intertextualität lässt sich jedoch nicht leicht erklären, denn die isländische Variante lag zu Beginn des 16. Jahrhunderts noch nicht im Druck vor. Die Übereinstimmungen sind so vage, dass es sich um Zufall handeln kann. Die Unterschiede sind erheblich größer. Seyfried stirbt draußen an einem Brunnen, Sigurd drinnen in seinem Bett. Hagen wird wieder entlassen, Gunnar stirbt nach einem Biss. Endlich sind die beiden Gestalten vertauscht.

Der zweite Teil des Doppeldrucks endet wie der erste mit dem Wort „E N D E.“. Dann folgt eine Druckermarke mit der Inschrift „NIHIL VALET VIRTVS SINE FORTVNA.“ (‚Tapferkeit taugt nichts ohne Glück‘). Auf dem Holzschnitt klammert sich ein Schiffsbrüchiger an einen rettenden Ast. Diese Druckermarke wurde zunächst von Johannes Schröter benutzt. Er stammte aus Thüringen, wurde 1591 in Basel eingebürgert, heiratete dort im selben Jahr die Witwe des 1590 verstorbenen Druckers Samuel Apiarius und übernahm durch diese Ehe dessen Offizin. Schröter war bis 1611 in Basel als Drucker tätig, später in Ravensburg, und starb 1634. Seine Witwe heiratete 1635 den ebenfalls aus Thüringen stammenden Georg Decker, der durch diese Ehe die Offizin übernahm und bis zu seinem Tod 1661 in Basel als Drucker tätig war. Die Offizin wurde bis 1680 von dessen Sohn Johann Jakob Decker dem Älteren weitergeführt. Johannes Schröter, Georg Decker und Johann Jakob Decker der Ältere benutzten alle drei die genannte Druckermarke. Wegen des Datums des Hauptteils muss der Doppeldruck von Johann Jakob Decker dem Älteren stammen. Für den Hauptteil benutzte er bis auf drei Ausnahmen dieselben Holzstöcke wie 1594 der erste Ehemann seiner Mutter. Nur der Titelholzschnitt und zwei weitere Holzschnitte (Bl. C 4v und D1v) sind durch andere ersetzt. Im Schlussteil sind drei der fünf Holzschnitte anscheinend neu (Nr. 1: D 8v, Nr. 2: E 1v, Nr. 3: E 4r), stammen aber vielleicht aus anderen Drucken. Zwei sind Wiederholungen aus dem Hauptteil (Nr. 4: E 5r = Bl. A 8r und D 6r; Nr. 5: E 7v = Bl. A 1r).

Bauchs Ausgabe ist reich illustriert. Sie beginnt mit einer kurzen Vorstellung des Doppeldrucks (S. 7–16). Dann folgen eine buchstabentreue Transkription der 245 Strophen mit neuhochdeutscher Übersetzung (S. 17–61), ein Vergleich mit der Nürnberger Ausgabe von 1530/1535 (K) (S. 62–67), eine allgemeine Vorstellung der Nibelungensage (S. 68–99), ein vollständiger Faksimile-Abdruck des Doppeldrucks (S. 100–185) und zwei abschließende Verzeichnisse (S. 186–188).

Als Sigle für den Doppeldruck schlägt Bauch nach dem heutigen Standort Grimmen den Buchstaben G vor. Da die Siglen G und G2 auf diesem Portal schon für zwei andere, nur durch Titelholzschnitte bekannte Auflagen des Nürnberger Druckers Jobst Gutknecht verwendet werden und der Doppeldruck ohne Zweifel in Basel erschien und von Ba direkt abhängt, wird er hier alternativ als Ba1 bezeichnet.