Leben und Werk
Veldekes Heimatgegend, Viamichelin 2020
Die alte Mühle am oberen Rand einer Karte von 1747 [abrufbar], 1914 zerstört, © Kopenhagen, Königliche Bibliothek
Die heutige, 1917 am Standort der alten Mühle errichtete Wassermühle, © 2007 Els Diederen@li.wikipedia
Das von Charles Vos geschaffene, 1934 eingeweihte Veldeke-Standbild, Henric van Veldekenplein, Maastricht, © Foto: René & Peter van der Krogt (Quelle)
Dem heutigen Forschungsstand zufolge sind von Veldeke eine Vita über den Maastrichter Heiligen Servatius [Wikipedia], ein Epos über den ausgewanderten Trojaner Äneas [Wikipedia] und 33 Minnelieder überliefert. Es ist außerdem nicht auszuschließen, dass er das verlorene Marienleben verfasste, das Konrad von Fußesbrunnen um 1200 in der Kindheit Jesu zusammenfasste und einem ‚meister Heinrich‘ zuordnete (Ed. Feifalik 1859, v. 98 [abrufbar]). Früher wurden Veldeke auch ein Gedicht über König Salomo, ein Gedicht über den Herzog Ernst und sieben weitere Minnelieder zugeschrieben. Diese Thesen sind heute aufgegeben. Der Servatius, der Eneas und die als echt geltenden Lieder haben 6229, 13528 bzw. 439 Verse in den entsprechenden Ausgaben von Goossens/Schlusemann/Voorwinden 2008, Behaghel 1882 und Moser/Tervooren 1988. Nach dieser Zählung kommt Veldekes Gesamtwerk auf 20196 Verse. Er erreichte damit eine Höchstleistung für einen einzigen Dichter im deutschsprachigen Raum und wurde erst um 1200 von Hartmann von Aue übertroffen. Für rund ein Jahrzehnt war Veldeke also der produktivste volkssprachliche Dichter im Heiligen Römischen Reich.
Schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde seine Herkunft aus dem niederdeutschen Raum dank den Gönnerangaben im Epilog des Eneas erkannt. 1830 entdeckte der Löwener Professor Franz Joseph Mone die erste Urkunde über das Geschlecht des Dichters und konnte dessen Heimat auf die Gegend zwischen Sint-Truiden und Maastricht einengen, d.h. die heutige belgische Provinz Limburg (S. 252f [abrufbar]). Als eine Handschrift des Servatius ein Vierteljahrhundert später in Aubel südlich von Maastricht [Wikipedia] auftauchte, konnte der Lütticher Professor Jean-Henri Bormans dank einer französischen Karte von 1747 den Stammsitz des Geschlechts genauer lokalisieren. Auf der Karte war an der Demer, einem kleinen zum Einzugsgebiet der Schelde gehörigen Fluss [Wikipedia], rund acht Kilometer westlich von Hasselt [Wikipedia] die Mühle ‚Velleeck Moul[in]‘ eingetragen. Weitere, 1858 von Bormans in der Erstausgabe des Servatius ans Licht gezogene Urkunden bestätigten, dass das Veldeke-Geschlecht bis 1256 am Standort der Mühle beheimatet war (S. 18–26 [abrufbar]). Dann starb es aus und hinterließ nur seinen Namen in der Landschaft. Die Karte von 1747 ist der letzte Beleg für den Ortsnamen vor der Wiederentdeckung des Servatius. Heute ist die Mühle unter dem Namen ‚Van Veldekemolen‘ auf modernen Karten zu finden [Google Maps].
Mehr als 500 Jahre nach seinem Tod wurde Veldeke also zum Belgier und gilt über seine limburgische Heimat hinaus als der Begründer der niederländischen Literatur. Dabei ist nur der Servatius in der Mundart des Dichters überliefert. Der Eneas und die Minnelyrik sind in mittelhochhochdeutschen Handschriften an uns gelangt und wurden wahrscheinlich auch ursprünglich auf Mittelhochdeutsch verfasst. So konnte der Dichter im Heiligen Römischen Reich ein breiteres Publikum erreichen. Den Eneas vollendete er in Thüringen im Auftrag des Pfalzgrafen Hermann von Sachsen [Wikipedia] (v. 13467–13488 [abrufbar]). Dieser Fürst sammelte später als Landgraf von Thüringen zahlreiche Dichter um seinen Hof und beauftragte Herbort von Fritzlar mit dem Liet von Troye und Wolfram von Eschenbach mit dem Willehalm. In beiden Werken findet Veldeke Erwähnung und wird als Meister gelobt. Er vollendete den Eneas nicht allzu lange nach dem Mainzer Hoftag, bei dem Kaiser Friedrich I. Barbarossa seine beiden ältesten Söhne Heinrich und Friedrich zum Ritter schlagen ließ [Wikipedia]. Die Schwertleite fand zu Pfingsten 1184, am 20. und 21. Mai, statt und wurde nicht nur von zeitgenössischen Chronisten, sondern auch von Veldeke selbst beschrieben. Im Eneas bezeichnet er sich als Augenzeuge der Feierlichkeiten (v. 13226–13252 [abrufbar]). Er vergleicht die Hochzeit und Krönung seines Titelhelden mit dem Mainzer Hoffest und zieht auf diese Weise eine Parallele zwischen Eneas und Barbarossas Sohn Heinrich [Wikipedia]. Deshalb hält Patrick Del Duca den Eneas nicht nur allgemein für ein stauferfreundliches Werk, sondern speziell für einen Fürstenspiegel. Er betrachtet dabei den älteren der beiden jungen Ritter, den damals 18-jährigen Mitkönig Heinrich, als den anvisierten Empfänger des Texts (2019 [abrufbar]).
Im Epilog wird nicht nur Hermann, sondern auch dessen älterer Bruder Friedrich [Wikipedia] erwähnt, und zwar als Graf. Dieser erwarb erst um 1186 diesen Titel, als er die Grafschaft seines verstorbenen Schwiegervaters Gozmar III. von Ziegenhain [Wikipedia] übernahm. Otto Behaghel wurde 1882 erstmals auf dieses Datierungsindiz aufmerksam, konnte aber keinen genauen Beleg für die Erwerbung des Grafentitels durch Friedrich nachweisen (S. clxiii [abrufbar]). Er bezog sich auf Franz Wegele, der in einer Anmerkung behauptet hatte, Friedrich habe von 1186 bis 1229 als Graf von Ziegenhain geherrscht (1854, S. 32 [abrufbar]). Dieser Historiker konnte sich auf Behaghels Anfrage nicht an seine Quelle für das Jahr 1186 erinnern. Gozmar III. starb am 26. Juli 1184 beim Erfurter Latrinensturz [Wikipedia], und seine Tochter heiratete danach Friedrich von Thüringen, der eine geistliche Karriere eingeschlagen hatte und bis 1178 als Propst zu St. Stephan in Mainz bezeugt ist. Am 3. Dezember 1186 tritt er in Erfurt als Zeuge seines älteren Bruders, des Landgrafen Ludwig III. von Thüringen, auf (Dobenecker 1900, S. 143 (Nr. 753) [abrufbar]). An einem unbekannten Datum desselben Jahrs erscheint er auf Rusteberg [Wikipedia] als Zeuge des Erzbischofs Konrad von Mainz [Wikipedia, Dobenecker 1900, S. 143 (Nr. 756) [abrufbar]). Beide Urkunden bezeichnen ihn schon als Graf. Die Datierungsfrage wurde 1904 ausführlich von Edward Schröder erörtert. Er wies auf beide Urkunden hin, in denen Friedrich 1186 als Graf auftritt, und vermutete, dass dieser frühestens im „spätjahr 1184“ den Grafentitel erwarb (S. 395 [abrufbar]). Eine Vollendung des Eneas vor 1186 ist also kaum vorstellbar. Die jüngste untere Zeitgrenze ist das Jahr 1190, in dem Hermann Landgraf wurde.
Der Servatius und besonders die Lieder lassen sich nicht so genau datieren wie der Eneas. Fest steht jedoch, dass das Heiligenleben im Auftrag der Gräfin Agnes von Loon gedichtet wurde. Sie wird zweimal von Veldeke gelobt (v. I,3236f [abrufbar]; II, 2927f = v. 6181f [abrufbar]). Sie war mit dem 1171 verstorbenen Grafen Ludwig I. von Loon-Rieneck verheiratet. Da ihr Ehemann im Servatius keine Erwähnung findet, muss sie bei der Vollendung des Werks seit einiger Zeit Witwe gewesen sein. Sie ist zuletzt 1175 urkundlich bezeugt. In diesem Jahr stellte sie selbst eine datierte Urkunde aus (Daris 1865, S. 3 [abrufbar]), vermutlich ungefähr zeitgleich eine weitere ohne Datum zusammen mit ihrem Sohn Gerhard II. (Piot 1870, S. 123 [abrufbar]). In einer schlechten Abschrift einer undatierten, heute verlorenen Urkunde von ‚Tburg‘, Abt des Zisterzienserklosters Villers [Wikipedia], wird die Gräfin als verstorben erwähnt (Daris 1865, S. 6 [abrufbar]). Die Urkunde wurde früher um 1195 datiert. Der Name des Abts ist entstellt. Er hieß in Wirklichkeit Ulrich, zog sich 1184/1185 zurück und starb vor 1196. Daraus ergibt sich zunächst das Jahr 1184 als untere Zeitgrenze für die Entstehung des Servatius (vgl. Boeren 1955, S. 250 [abrufbar]).
Agnes ist in Wirklichkeit erheblich früher verstorben. Schon in einer päpstlichen Urkunde vom 20. November 1180 wird sie als verstorben beschrieben (Ed. Moreau 1905, S. 46 [GVK + Transkription]: Agnetis quondam comitisse). Diese Urkunde bestätigt eine Schenkung der Gräfin von 1174, die unter anderem zum Ziel hatte, des Totentags ihres Ehemanns zu gedenken. Die Schenkung wurde schon am 23. Dezember 1177 vom Papst Alexander III. bestätigt, ohne dass er damals die Gräfin als verstorben bezeichnete (Ed. Moreau 1905, S. 31 [GVK + Transkription]: Agnes comitissa). Auf dieser Grundlage datierte Jean Baerten 1965 den Tod der Gräfin zwischen 1177 und 1180 [RI OPAC]. Übersehen wurden dabei zwei Elemente. Der Todestag des Grafen, der in den Bestätigungen von 1177 und 1180 fehlt, erscheint in einem Vidimus von 1230, also in einer bezeugten Abschrift. Als Todestag wird der Laurentiustag, also der 10. August, angegeben. Der zweiten Fortsetzung der Gesta abbatum Trudonensium zufolge starb der Graf am 11. August 1171 (Ed. Köpke 1852, S. 357 [abrufbar]. Der Vidimus weicht nur um einen Tag von dieser Chronik ab. Der 1717 abgedruckte, heute verlorene Vidimus hat auch den Todestag der Gräfin. Sie starb am Andreastag, also am 30. November (Ed. Robyns 1717, II, S. 23 [abrufbar]: anniversario præfatæ Comitissæ Agnetis, quod est in die S. Andreæ). Wenn Baerten Recht hatte, ist sie also entweder am 30. November 1178 oder am 30. November 1179 verstorben. Unter keinen Umständen kann der Servatius nach dem 30. November 1179 entstanden sein. Es ist jedoch denkbar, dass Rom 1177 die Schenkung bestätigte, ohne zu untersuchen, ob die Gräfin inzwischen verstorben war. Zu ihren Lebzeiten ist sie nur in ganz wenigen Urkunden bezeugt, besonders fünf aus dem Zeitraum 1171–1175. Noch 1175 stellte Gerhard II. von Loon, wie bemerkt, eine Urkunde zusammen mit seiner Mutter aus, als hätte er damals noch nicht die volle Machtausübung übernommen. 1176 stellte er erstmals allein eine Urkunde aus, ohne seine Mutter zu erwähnen (Ed. Stiennon 1951, S. 445f. [Transkription]). Das könnte bedeuten, dass sie schon verstorben war, also am 30. November 1175.
Aus diesen Gründen wird der Servatius gewöhnlich vor dem Eneas datiert, und die Forschung betrachtet mehrheitlich den Roman als das reifere Werk des Dichters. Um 1205 beklagt Wolfram von Eschenbach seinen Tod (Parvival, v. 404,28–30 [abrufbar]). Die Verwandten des Dichters standen zwischen 1195 und 1264 im Dienst der Grafen von Loon [Wikipedia]. Nach dem heutigen Forschungsstand sind sie in 32 verschiedenen Urkunden belegt.
Außerliterarisch ist Veldeke wie viele andere zeitgenössische Dichter nicht mit Gewissheit bezeugt. Den ersten Versuch, ihn urkundlich zu belegen, verdanken wir dem deutschen Literaturwissenschaftler Günther Jungbluth [Wikipedia]. In seiner 1937 erschienenen Promotionsschrift über Veldeke [GVK] unterschied er aus inhaltlichen Gründen den Verfasser des Servatius von Veldeke und betrachtete die Passage mit dem Hinweis auf Veldeke als Geburtsort des Dichters als „interpoliert“ (S. 179). Er hielt jedoch am Vornamen Heinrich fest und betrachtete den Verfasser der Vita als „Priesterdichter“ mit „engen Beziehungen zu Sankt Servatius in Maastricht“ (S. 176). Deshalb identifizierte er den in beiden Epilogen als Auftraggeber der Dichtung beschriebenen Küster „her Hessel“ (v. 3240, 6197) mit einem Geistlichen, der 1171 und 1176 in zwei Urkunden des Maastrichters Domkapitels als „frater“, „diaconus“ und „fidelis dispensator“ des dortigen Spitals auftaucht und lateinisch „Hezelo“ genannt wird. Laut Jungbluth spricht die „Seltenheit des Namens“ für die Identität der beiden 1171 und 1176 erwähnten Namensvetter. Unter den Personen, die in der mutmaßlichen Entstehungszeit des Servatius dem Maastrichter Domkapitel angehörten, kommt nur ein Namensvetter des Dichters vor, der 1173 und 1176 belegten Schulmeister „Heinricus scholarum magister“. Die Urkunde von 1176 führt beide Männer zusammen, ähnlich wie die Dichtung „Heynrick“ und „Hessel“. Ob gerade dieser Schulmeister den Servatius gerade für diesen Mitbruder dichtete, lässt sich zwar nicht beweisen, aus den genannten Gründen „ergibt sich doch eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür“ (S. 177).
Der niederländische Historiker Petrus Cornelis Boeren [Biografisch Portaal] griff später diese These auf und hielt seinerseits die Autoren des Servatius und des Eneas für dieselbe Person (1955, S. 245 [abrufbar]). Er wies als zusätzliches Indiz darauf hin, dass der Schulmeister denselber Magistertitel trug wie Veldeke. Boeren erwog auch die Identifikation des Dichters mit einem zweiten Namensvetter, der zwischen 1186 und 1189 in den Urkunden des Königs Heinrichs VI. auftritt und ebenfalls den Magistertitel trägt. Die beiden, urkundlich belegten Namensvetter werden als gelehrt beschrieben. Der Jüngere gehörte der Kirche von Maastricht oder Utrecht an (‚Trajectensis ecclesie scolasticus‘). Er war außerdem königlicher Kaplan und Notar. Er wurde 1889 von Hermann Bresslau mit einem dritten Namensvetter identifiziert, der ab 1190 als königlicher Protonotar erscheint und Heinrich VI. 1191 auf dessen erstem Italienzug begleitete (S. 380f [abrufbar]). Danach wurde er zum Bischof von Worms ernannt und starb 1195 [Wikipedia]. Die vier Regesten zu den beiden Beratern Heinrichs VI. waren 1865 von Karl Friedrich Stumpf ediert worden (S. 416–429: Nr. 4583a, 4623, 4650, 4764 [abrufbar]). Boeren (1955, S. 247 [abrufbar]) lehnte eine Identifikation des Notars mit dem Protonotar ab, weil Letzterer nicht als gelehrt (‚scolasticus‘) beschrieben wurde und vor allem nicht dem Kapitel von Maastricht oder Utrecht angehörte, sondern demjenigen von Aachen (‚Aquensis‘), offenbar als Propst.
Heute wird wieder von einer Identität des Notars mit dem Protonotar ausgegangen. Peter Csendes, Professor für Geschichte des Mittelalters an der Universität Wien, der als der beste heutige Kenner der Regierungszeit Heinrichs VI. gilt, hat keinen Zweifel. So beschreibt er den königlichen Berater:
„Der Mann, der Heinrich VI. vielleicht am nächsten stand, war Magister Heinrich aus Utrecht. Seit 1186 finden wir ihn an der Seite seines Herrn, als dieser seine ersten selbständigen Regierungsaufgaben zu bewältigen hatte. Über vierzig Urkunden stammen von seiner Hand oder gehen zumindest auf seine Verfasserschaft zurück. Schon in dieser Zeit führte er als Vertrauter des Königs die Verhandlungen mit Papst Clemens III., seine Ernennung zum Protonotar war ein sichtbares Zeugnis der Wertschätzung. Er machte den Krönungszug und das verhängnisvolle Unternehmen gegen Sizilien 1191 mit und übernahm wie selbstverständlich nach dem Tod des Kanzlers Diether die Leitung der Kanzlei. Die Propteiwürde in Aachen, die er noch im selben Jahr erhielt, war eine Belohnung, die aber, wie auch die bald danach, zu Jahresbeginn 1192, folgende Erhebung zum Bischof von Worms keine Einschränkung seines Hofdienstes bedeutete. Gerade in dieser Zeit benötigte der Kaiser den Rat und die Hilfe eines erfahrenen Mannes. Es verwundert freilich nicht, daß man in Worms wenig glücklich mit einem Oberhirten war, der allein im Dienst des Reichs aufging. Am Italienzug des Jahres 1194 nahm er in verantwortungsvoller Mission teil, als legatus domini imperatoris, dann als vicarius imperialis curie, als Stellvertreter des Kaisers. Vielleicht waren es die großen Anstrengungen, die mit diesen Aufgaben verbunden gewesen sind, die den wohl schon älteren Mann gesundheitlich schwächten. Am 23. Dezember 1195 ist er in seiner Bischofsstadt Worms gestorben, nachdem in deren Mauern noch kurz zuvor ein Hoftag gehalten worden war.“ (1993, S. 208 [GVK])
Das Adjektiv ‚trajectensis‘ bezog sich zugleich auf Maastricht als auch auf Utrecht. Wenn Boeren, der die erstere Lösung vorzog, mit seiner doppelten Identifikation des Dichters mit dem Maastrichter Gelehrten und dem königlichen Notar Recht hatte, gelangte Veldeke nach dem Eneas zu einem der allerhöchsten Ämter des Heiligen Römischen Reichs. Kurz nach seinem Amtsantritt als Bischof nahm Magister Heinrich von Maastricht (oder Utrecht) an der ersten großen Schwertleite des Heiligen Römischen Reichs seit derjenigen in Mainz teil. Zu Pfingsten 1192, am 24. Mai, hielt Kaiser Heinrich VI. einen Hoftag in Worms und ließ dabei seinen jüngeren Bruder, den 20-jährigen Herzog Konrad von Schwaben [Wikipedia], und den 19-jährigen Herzog Ludwig I. von Bayern [Wikipedia], zum Ritter schlagen (Regesta Imperii IV,3, 218a [abrufbar], MGH SS 17, S. 519 [abrufbar], 631 [abrufbar], MGH SS rer. Germ. 43, S. 58 [abrufbar]). Wenn der Dichter nach der Vollendung des Eneas wirklich Bischof geworden war, muss er sich an das Fest erinnert haben, das er acht Jahre früher am Ende seines Romans verherrlicht und verewigt hatte.
Seit wenigen Jahren wird erwogen, ob nicht Heinrich VI. unter dem Künstlernamen ‚Hartmann von Aue‘ rund 26.000 mittelhochdeutsche Verse verfasste und damit Veldeke quantitativ übertraf [GVK]. Vielleicht wetteiferte der Kaiser als Dichter mit dem Magister, der ihn überall begleitete, auch nach Thüringen, und ihm von allen Beratern des Reichs „vielleicht am nächsten stand“.
Einige Jahre nach dem Tod des Magisters verfasste ein anonymer Österreicher ein neues Epos und verlegte den Königshof nach Worms. Wie auf einer anderen Seite dieses Portals zu lesen ist, wurde der geheimnisvolle Epiker früh mit dem ebenso anonymen Autor der Klage identifiziert, der sich nach verschiedenen Thesen im Epilog als ‚Meister Konrad‘ zu erkennen gibt, 1987 auch mit Konrad von Fußesbrunnen. Mögliche Vorbilder für diesen Dichter lassen sich unter der Bezeichnung ‚magister Chunradus scholasticus‘ in Urkunden der Passauer Diözese nachweisen. Leider lässt sich die Identität der urkundlich nur spärlich belegten Gelehrten mit den Dichtern nicht beweisen, besonders wenn diese in ihren Werken mit selbstbiographischen Angaben geizen. Zu den diskretesten damaligen Autoren gehören Veldeke und der Autor des Nibelungenliedes.