Nibelungenlied

Das Nibelungenlied (NL) bildet zusammen mit der Klage die Grundlage der Sage. Es erzählt von der unglücklichen Ehe der burgundischen Prinzessin Kriemhild mit dem Drachentöter Siegfried und von ihrer Rache an dessen Mörder Hagen.

Kurzbeschreibung

Zusammenfassung

Erster Teil: Von Worms nach Xanten, die Zeit der Freude (Av. 1–11)

  • Krieg und Sieg (Av. 1–5): Die Erzählung beginnt am königlichen Hof in Worms mit einer Beschreibung der wunderschönen Prinzessin Kriemhild. Sie lebt zusammen mit ihren drei Brüdern Gunther, Gernot und Giselher und ihrer Mutter Ute. Ihr Vater Dankrad ist tot. Der wichtigste Höfling ist Hagen von Tronege, ein Verwandter der Königsfamilie (Av. 1). In Xanten hört der Königssohn Siegfried von Kriemhilds Schönheit und reist auf Brautwerberfahrt nach Worms (Av. 2). Bei seiner Ankunft erzählt Hagen den Burgunden von Siegfrieds Jugendtaten: der Fremde besitze einen Schatz im Nibelungenland und habe außerdem nach einem Bad im Drachenblut eine schusssichere Hornhaut erworben (Av. 3). Während Siegfrieds Aufenthalt in Worms erklären die Sachsen und Dänen den Burgunden den Krieg. Mit Siegfrieds Hilfe werden die Herausforderer bei einer Schlacht besiegt (Av. 4). Der Sieg wird bei einem großen Fest gefeiert, bei dem Siegfried Kriemhild zum ersten Mal sieht (Av. 5).
  • Werbung und Hochzeit (Av. 6–11): Gunther hört von der schönen, ledigen, aber überstarken isländischen Königin Brünhild und unternimmt eine Werbefahrt zusammen mit Siegfried, Hagen und Dankwart, Hagens Bruder (Av. 6). Auf Island besteht er drei athletische Freierproben mit Siegfrieds Hilfe, indem dieser sich unsichtbar mit einer Tarnkappe unsichtbar macht. Vor Ort stellt sich Siegfried als Gunthers Vasall vor (Av. 7). Nach den Freierproben fährt Siegfried allein mit dem Boot ins benachbarte Nibelungenland und holt ein Heer (Av. 8). Brünhild hält ihr Versprechen und fährt widerstandslos mit nach Worms. Siegfried fährt dort als Bote voraus, um den Erfolg der Reise anzukündigen (Av. 9). Als Belohnung für die Hilfe gibt Gunther Siegfried seine Schwester, und es wird in Worms eine Doppelhochzeit gefeiert. Am Tisch weint Brünhild, angeblich weil sie es als erniedrigend empfindet, dass die Königstochter Kriemhild nur einen Vasallen heiratet. In der Hochzeitsnacht weigert Brünhild die Ehe zu vollziehen und hängt Gunther an einen Nagel. In der folgenden Nacht zieht Siegfried wieder seine Tarnkappe an, besiegt die widerspenstige Isländerin in einem Ringkampf, bindet sie ans Bett, nimmt ihr einen Gürtel und einen Ring und überlässt sie unberührt Gunther (Av. 10). Nachdem Brünhild ihren Widerstand aufgegeben hat, kehrt Siegfried mit seiner passiven und naiven Ehefrau nach Xanten zurück. Die Handlung kommt zehn Jahre lang zur Ruhe. Brünhild und Kriemhild bringen je einen Sohn zur Welt. Siegfrieds Mutter Sieglinde stirbt (Av. 11).

NLbSiegfriedalsBoteinWorms

Av. 9: Siegfried als Bote in Worms (Hs. b, um 1440)

Zweiter Teil: Von Xanten nach Etzelburg, die Zeit des Unglücks (Av. 12–22)

  • Streit und Tod (Av. 12–16): Zehn Jahre nach der Hochzeit überredet Brünhild ihren Mann Gunther, Siegfried und Kriemhild zu einem Fest einzuladen. Kriemhild freut sich, aber Siegfried sagt nur zögernd zu (Av. 12). Die Eheleute fahren mit Siegfrieds Vater Siegmund nach Worms (Av. 13). Bei einem Wettkampf streiten sich Brünhild und Kriemhild über das Ansehen ihrer Männer, und die Königin von Worms bezeichnet Siegfried als den Leibeigenen ihres Mannes. Kriemhild behauptet das Gegenteil und besteht darauf, als Erste das Münster zu betreten. Vor dem Münster beschimpft sie ihre Schwägerin als Siegfrieds „Nebenfrau“ (NLB 838: kebse) und geht als Erste hinein. Als Brünhild nach dem Gottesdienst einen Beweis verlangt, zeigt ihr Kriemhild Gürtel und Ring. Brünhild verlangt von ihrem Mann, dass er seinen Schwager zur Rede stellt. Siegfried beteuert, die Anklage sei falsch, und Gunther begnügt sich mit dieser Erklärung. Hagen verspricht Brünhild Rache und überredet Gunther dazu, Siegfried mit einer fingierten Kriegserklärung in eine Falle zu ziehen (V. 14). Falsche Boten überbringen eine scheinbare Kriegserklärung, und Siegfried verspricht, wie erwartet, seine Hilfe. Daraufhin bietet Hagen in einem vertraulichen Gespräch Kriemhild an, ihren Mann im Kampf zu beschützen, und sie verrät ängstlich das Geheimnis ihres Manns: beim Bad im Drachenblut habe er zwischen den Schulterblättern ein Lindenblatt gehabt und sei deshalb an dieser Stelle verwundbar. Um diese Stelle zu markieren, näht sie ein kleines Kreuz auf seine Kleidung. Währenddessen wird der Kriegszug in einen Jagdausflug umgewandelt (Av. 15). Trotz der unheilvollen Träume und der Warnungen seiner Frau beteiligt sich Siegfried an der Jagd. Hagen hat absichtlich den Wein an einen falschen Ort geschickt und rät seinen Gesellen, ihren Durch an einer naheliegenden Quelle zu löschen. Siegfried und Gunther laufen um die Wette, und Siegfried gewinnt. Er lässt allerdings seinen Schwager als Ersten trinken und beugt sich dann selbst unbewaffnet über die Quelle. Da wird er mit seinem eigenen Speer von Hagen durchbohrt und stirbt. In Worms wird sein Tod mit einem Räuberüberfall erklärt (Av. 16)
  • Trauer und neue Hochzeit (Av. 17–21): Siegfrieds Leiche wird zurückgebracht und vor Kriemhilds Kemenate gestellt. Sie ahnt sofort, dass ihr Mann von Hagen getötet worden ist. Siegfried wird im Münster aufgebahrt, und als Hagen an die Bahre tritt, beginnen die Wunden wieder zu bluten. Dadurch sieht Kriemhild ihren Verdacht endgültig bestätigt (Av. 17). Nach der Begräbniszeremonie kehrt Siegmund nach Xanten zurück. Kriemhild bleibt in Worms (Av. 18). Kriemhild versöhnt sich mit Gunther und lässt den Hort ihres verstorbenen Manns nach Worms bringen. Dort wird er mit dem Einverständnis des Königs von Hagen gestohlen und im Rhein versenkt (Av. 19). 13 Jahre nach diesem Diebstahl entscheidet sich der verwitwete Hunnenkönig Etzel Kriemhild zu heiraten. Er beauftragt seinen Lehnsmann, den Markgrafen Rüdiger, mit dem Heiratsantrag. In Worms rät Hagen von einer Eheschließung ab. Kriemhild zögert, weil Etzel ein Heide ist, willigt aber in die Ehe ein und bricht auf, nachdem Rüdiger ihr versprochen hat, jedes ihr angetane Leid zu rächen (Av. 20). Sie wird von ihren Brüdern Giselher und Gernot bis an die Donau begleitet, in Passau von Bischof Pilgrim empfangen und zieht mit großem Aufwand in Rüdigers Residenzstadt ein (Av. 21). Etzel ist ihr mit großem Gefolge entgegengeeilt. Sie begegnen sich in Tulln und feiern ihre Hochzeit in Wien. Dann kommt die Handlung wieder zur Ruhe (Av. 22).

NLbSiegfriedsTod

Av. 16: Siegfried wird im Wald ermordet (Hs. b, um 1440)

  • Die Reise nach Etzelburg (Av. 23–28): Kriemhild denkt täglich an ihren ersten Mann. Sie bekommt nach siebenjähriger Ehe mit Etzel einen Sohn und fasst sechs Jahre später einen Racheplan. Sie überredet ihren Mann dazu, ihre Verwandten zu einem Fest einzuladen. Sie schickt zwei Spielleute Wärbel und Swemmel als Boten nach Worms, um ihre Brüder einzuladen. Sie schärft ihnen ein, sie sollten dafür sorgen, dass Hagen mitfährt (Av. 23). Trotz Hagens Warnungen und Rumolds Rat, wegen der guten Speise und des guten Weins lieber in Worms zu bleiben, nehmen die Brüder die Einladung an. Auf Hagens Rat hin treten sie die Reise bewaffnet an und nehmen 1000 Ritter mit (Av. 24). Die Burgunden brechen auf und erreichen die Donau. Während Hagen dort nach einem Fährmann sucht, stößt er auf zwei Meerfrauen, die für alle bis auf den Kaplan ein tödliches Ende der Reise wahrsagen. Hagen findet dann einen Fährmann, erschlägt ihn, setzt selbst die Burgunden über und wirft danach den Kaplan ins Wasser. Dieser überlebt mit Gottes Hilfe. Als Hagen die Wahrsagung bestätigt sieht, zerbricht er das Boot (Av. 25). In Bayern wird die von Hagen und Dankwart angeführte Nachhut von den Grafen Else und Gelfrat überfallen. Die Burgunden gewinnen das Scharmützel. In Passau machen sie bei Bischof Pilgrim Halt. An der Grenze von Rüdigers Markgrafschaft finden sie den schlafenden Wächter Eckewart. Er warnt sie vor Kriemhild und reitet voraus, um Rüdiger ihre Ankunft zu melden (Av. 26). In Bechelaren veranstaltet Rüdiger ein großes Fest für die Burgunden, verlobt seine Tochter mit Giselher, beschenkt die Gäste reich und begleitet sie bis Etzelburg (Av. 27). Dietrich von Bern reitet mit seinem alten Waffenmeister Hildebrand den Burgunden entgegen und warnt sie vor Kriemhild. Sie empfängt die Gäste kühl und bittet sie ihre Waffen abzulegen. Ihre Aufforderung wird überhört (Av. 28).
  • Eroberung des Festsaals (Av. 29–33): Vor Kriemhilds Palast kommt es zu einer Auseinandersetzung der Königin mit ihrem Erzfeind Hagen. Er bleibt auf einer Bank vor ihrem Palast sitzen und gibt in aller Öffentlichkeit den Mord an Siegfried zu. Kriemhild fordert ihre hunnischen Gefolgsleute zum Angriff auf Hagen an, aber sie haben Angst vor ihm (Av. 29). Die Burgunden beziehen einen geräumigen Festsaal. In der Nacht halten Hagen und Volker am Eingang Wache und verhindern einen Überfall (Av. 30). Am nächsten Tag nehmen die Burgunden in voller Rüstung an einem Gottesdienst teil. Bei einem darauf folgenden Turnier tötet Volker einen hunnischen Ritter, aber Etzel ermahnt zur Ruhe. Es gelingt endlich Kriemhild, Etzels Bruder Blödel für ihre Sache zu gewinnen. Während dieser sich rüstet, lässt sie ihren Sohn Ortlieb in den Festsaal bringen (Av. 31). Mit 1000 Mann überfällt Blödel die benachbarte Herberge, wo Dankwart und die übrigen burgundischen Krieger untergebracht sind. Alle sterben im Gemetzel. Nur Dankwart überlebt und erreicht allein den Festsaal (Av. 32). Als er dort vom hunnischen Überfall berichtet, haut Hagen vor den Augen der Eltern dem kleinen Ortlieb den Kopf ab. Diese Provokation entfacht einen heftigen Kampf. Während einer kurzen Waffenruhe dürfen Dietrich, Rüdiger, Etzel und Kriemhild den Saal verlassen. Alle anderen Hunnen sind tot. Die Burgunden haben die erste Schlacht gewonnen (Av. 33).
  • Der Burgundenuntergang (Av. 34–39): Während einer kurzen Waffenruhe werden die toten Hunnen aus dem Saal getragen (Av. 34). Die Dänen und Thüringer unternehmen einen Ansturm auf den Saal und verlieren dabei alle das Leben. Ihr Anführer, Markgraf Iring von Dänemark, wird von Hagen getötet (Av. 35). Gegen Abend nehmen die erschöpften Burgunden Verhandlungen auf. Kriemhild verlangt vergeblich Hagen ausgeliefert und lässt dann das Gebäude anzünden. Auf Hagens Rat trinken die Eingesperrten das Blut der Gefallenen. So halten sie bis zum nächsten Morgen die Hitze aus (Av. 36). Rüdiger erscheint und wird von Kriemhild an seinen Eid erinnert. Nach einem schweren Gewissenskonflikt löst er sich von seiner freundschaftlichen Bindung zu den Burgunden und beteiligt sich am Kampf. Er und Gernot schlagen sich gegenseitig tot (Av. 37). Dietrich hört von Rüdigers Tod. Da die Burgunden die Leiche des Markgrafen nicht ausliefern wollen, regt sich Dietrichs Lehnsmann Wolfhart auf und kämpft mit wilder Wut. Er und Giselher bringen sich gegenseitig um (Av. 38). Von den Burgunden sind nur noch Gunther und Hagen am Leben. Jetzt greift Dietrich endlich ein und nimmt die Beiden gefangen. Kriemhild verlangt von Hagen die Rückgabe des Horts, aber er weigert sich seinen Eid gegenüber Gunther zu brechen. Daraufhin lässt Kriemhild ihren eigenen Bruder töten und zeigt Hagen Gunthers Kopf. Da erkennt Hagen seinen Sieg. Mit Siegfrieds Schwert enthauptet Kriemhild ihren Erzfeind und wird dann von Hildebrand in kleine Stücke zerhaut (Av. 39).

NLbDieTotenwerdenausdemSaalgeworfen

Av. 34: Die Toten werden aus dem Saal geworfen (Hs. b, um 1440)

Gliederung

  • Traditionell gliedert man das Gedicht in zwei fast gleich große Teile, die den beiden Ehen der weiblichen Hauptfigur entsprechen und die von einer Pause von 13 Jahren getrennt sind: die am Rhein orientierte Siegfried-Handlung (Av. 1–19) und die an der Donau orientierte Etzel-Handlung (Av. 20–39). Diese ausgewogene Gliederung liefert keine Erklärung für die vom Dichter vorgenommene Einteilung der Erzählung in 39 scharf getrennte und von der Überlieferung bestätigte Handlungseinheiten ungleicher Länge. In den Handschriften wird jedes der Großkapitel mit einem französischen Fremdwort aventiure genannt.
  • In einem seiner letzten Aufsätze als Straßburger Professor machte Jean Fourquet darauf aufmerksam, dass die Handlung nicht einmal, sondern dreimal zur inneren Ruhe kommt. Nach dem Wormser Hochzeitsfest und der Reise der neuvermählten Hauptfigur zu ihrer neuen Residenzstadt (Av. 11) verstreichen zehn Jahre (NLB 712), bevor die Handlung durch eine hinterlistige Einladung zum Fest wieder in Gang kommt. Nach Kriemhilds zweiter Eheschließung gerät die Handlung dreizehn Jahre (NLB 1387) ins Stocken (Av. 22) und wird in ähnlicher Weise von einer Einladung zum Fest wieder beschleunigt. Wenn nur diese beiden Pausen berücksichtigt werden, lässt sich das Gedicht in drei Teile gliedern, und die beiden ersten haben genau dieselbe Länge. Bei einer solchen Gliederung entspricht die Makrostruktur des Epos der Mikrostruktur eines klassischen Minnelieds: „Zwei gleiche pedes und eine cauda – das erinnert an die Minnesangstrophe!“, vgl. Fourquet 1954/1955, S. 141.
  • In einem Alter von 87 Jahren griff Fourquet seine These wieder auf und zeigte, dass sie auch von der Strophenzahl unterstützt wird. In der Handschrift A haben die drei Teile jeweils 666 (Av. 1–11), 660 (Av. 12–22) und 990 Strophen (Av. 23–39), das heißt 54, 3 und 3 Strophen weniger als die Handschrift B in den entsprechenden Aventiuren. Fourquet vermutete, dass es sich um Streichungen handelt: „Un ‘abréviateur’ a fait des coupes nécessaires pour que les trois parties soient entre elles dans des rapports simples, soit 2-2-3.“ Vgl. Fourquet 1986, S. 2.
  • Neulich ging Peter Andersen einen Schritt weiter und schlug durch Zerlegung der drei Haupteile in Untergruppen von 5 und 6 Aventiuren eine strukturelle Gliederung des Gedichts in sieben Teile vor: „Krieg mit Kampf (Av. 1–5), Hochzeit mit Liebe (Av. 6–11), Krieg ohne Kampf (Av. 12–16), Hochzeit ohne Liebe (Av. 17–22), Ankunft zum Festsaal (Av. 23–28), Eroberung des Festsaals (Av. 29–33), Untergang im Festsaal (Av. 34–39) […]. Jede Aventiure ist mit einer Hebung vergleichbar […]. Das Nibelungenlied ist nicht nur inhaltlich, sondern auch förmlich ein Gedicht von unmöglicher Minne.“ (Andersen 2009, S. 142) Die Zusammenfassung oben beruht auf diesem Gliederungsmodell.
  • Wenn der Urheber der Handschrift A, wie von Fourquet vermutet, absichtlich eine Strophenzahl mit verschlüsseltem Hinweis auf die Kanzone des Minnesangs anstrebte, spricht alles dafür, dass er kein einfacher Schreiber war. Es handelt sich kaum in A um Streichungen, sondern um Zusätze in der übrigen Überlieferung. Mit anderen Worten scheint die kurze A-Fassung die Originaldichtung am besten widerzuspiegeln, wie Karl Lachmann es in seiner Rezension zu von der Hagens Ausgabe von 1816 mit zahlreichen Beispielen zu belegen versuchte (Lachmann 1817). Deshalb legte er seiner eigenen Ausgabe die Handschrift A zugrunde: „A steht allein allen übrigen Handschriften mit dem offenbar älteren Text entgegen.“ (Lachmann 1826, S. vi) Der Redaktor der B-Fassung hat also vielleicht die numerische Botschaft des Dichters durch Zusätze zerstört.

Hauptfiguren

  • Im Gegensatz zum Waltharius bezieht sich das Nibelungenlied nicht auf einen präzisen historischen Kontext, sondern vereint Gestalten aus verschiedenen Jahrhunderten in einem fiktiven Rahmen. Die zwei historischen Gestalten des Waltharius, Attila und Guntharius, finden unter den Namen Etzel und Gunther Aufnahme ins Nibelungenlied. Da der König von Worms am Ende des deutschen Lieds stirbt und der König der Hunnen noch lebt, muss die Handlung auf den ersten Blick um 435 aufhören. So einfach ist es allerdings nicht, denn weitere historische Persönlichkeiten aus späteren Jahrhunderten haben für weitere literarische Figuren Pate gestanden, zumindest was die Namensform betrifft. In den jüngeren Ausformungen kommen gelegentlich neue Figuren hinzu, wie die Götter in den isländischen Fassungen, Hagens Beischläferin und Sohn in der Thidrekssaga und Kuperan und Eugel im Hürnen Seyfrid. Alle diese Gestalten entbehren aber jeder historischen Grundlage und sind also reine Fiktion.
  • In einigen Fällen verkörpern Figuren des Nibelungenlieds zeitgenössische Persönlichkeiten, tragen aber verschlüsselte Namen, die auf verstorbene Vorgänger hinweisen, mit denen sie eine symbolische Gemeinsamkeit aufweisen. So symbolisiert die unheilvolle Frau, die für den Tod des positiven Helden und in letzter Instanz auch den Burgundenuntergang verantwortlich ist, allem Anschein nach die sizilische Königin Konstanze, ist aber nach Brunichildis benannt, einer Prinzessin, die in ferner Vergangenheit einen fränkischen König heiratete und für ihre Ränke berüchtigt war. Die literarische Brünhild aus Island, die westgotische Brunichildis aus Spanien und die normannische Konstanze aus Sizilien hatten alle drei durch ihre Stammesangehörigkeit eine skandinavische Herkunft.

Alberich (NLB 94–96, 334, 491–500, 1114–1121): Zwerg im Land der Nibelungen, Kämmerer des Hortes, ursprünglicher Besitzer der Tarnkappe; ohne historisches Vorbild

  • Hjalprek (PE II 40): König von Dänemark, Sigurds Ziehvater
  • Hjalprek (LE Dsf; Rgm 0, 15; Ffm 0): König von Dänemark, Sigurds Stiefvater
  • Alfrik (TS 16f, 82, 98): Zwerg, der Thidreks Schwert schmiedet
  • Hjalprek (VS 12, 13, 30): König von Dänemark, Sigurds Stiefvater
  • Alfrik (DK 13, 79, 98): Zwerg, der Didriks Schwert schmiedet
  • Hjalprek (SL I 29f, 35, 61): König, zweiter Ehemann von Hjördis, Ziehvater von Sjurd

Aldrian (NLB 1536): Vater von Hagen und Dankwart; ohne historisches Vorbild; literarischer Vorgänger: Haganos Vater Hagatheo (W 629) → Dankrad

  • Aldrian (RD 44; RFV 2, 7, 13, 17): Vater von Hagen
  • Aldrian (TS 169, 243, 342, 367): König der Niflungen in Worms, Vater von Gunnar, Gernoz, Gislher und Grimhild, Stiefvater von Högni → mit Dankrad verschmolzen, nicht zu verwechseln mit Attilas und Högnis gleichnamigen Söhnen
  • Aldrian (DK 161, 290): Vater von Gunnar, Geroholt, Gynter und Krimilla, Stiefvater von Högni

Blödel (NLB 1343–1930: Bloedel, Bloedelin): Bruder von Etzel; historisches Vorbild: Bleda (Prosper Epitome chronicarum 444; Jordanes Getica XXXV)

  • Bloedelin (KB 331, 870, 884, 1305, 1446, 2340): Etzels Bruder
  • Blodlin (TS 376–386): Herzog in Attilas Dienst
  • Blodlin (DK 319–330): Herzog in Attilius’ Dienst

Botelung (NLB 1311): Etzels Vater; historisches Vorbild: Mundzuk (Jordanes Getica XXXV)

  • Botelung (KB 57, 886, 1236, 2083, 2341, 2561): Vater von Etzel
  • Budli (PE II 41f, 64): Vater von Atli und Brynhild
  • Budli (LE Grp 27; Brt 8, 14; Gk1 23, 25, 27; Ssk 15, 30, 56, 70; Hlr 4; Gk2 26f; Gk3 1; Atm 38, 55, 63, 76, 90, 96): Vater von Atli und Brynhild
  • Budli (VS 25–27, 29, 31, 40): Vater von Atli und Brynhild
  • Budli (SL II 1–6, 36–43, 52f, 61–63, 82, 88f, 104–111, 118, 166, 168, 193–207; III 161): König, Vater von Brinhild

Brünhild (NLB 327–1483: Brünhilt, BrünnhiltPrünhilt, Prünnhilt, auch ohne Umlaut): Königin von Island, Ehefrau von Gunther; historisches Vorbild: Brunichild (um 550–613), fränkische Königin westgotischer Herkunft (Gregor von Tours Historia Francorum IV,27X,19; Fredegar Chronica II,57IV,41); zeitgenössisches Vorbild: Konstanze von Sizilien (1154–1198)

  • Brünhild (KB 2624, 2632, 3277, 3553, 3670, 3698, 3710, 3735, 3739, 3968): Königin von Worms, Gunthers Witwe
  • Brynhild (PE II 41, 64; II 41: Hild): Walküre, Tochter von Budli, Sigurds erste Geliebte → vielleicht identisch mit Hild (PE I 36)
  • Brynhild (LE Grp 27, 35, 45; Brt 3, 8, 10, 14; Gk1 22–27; Ssk 3, 15, 19, 27, 30; Hlr 0–5; Drn 0; Gk2 27; Od 16–20): Walküre, Tochter von Budli, Sigurds erste Geliebte → vielleicht identisch mit Hild (LE Grm 36)
  • Sigrdrifa (LE Ffm 44, Ssk 0–37): Walküre, Brynhilds Doppelgängerin
  • Brünhild (RD 45, 281, 414, 522, 535, 567): Frau an Gibichs Hof
  • Brynhild (TS 18, 167f, 226–230, 342–348, 427): schwäbische Burgherrin und Pferdehändlerin, Sigurds Beischläferin, Gunnars Ehefrau
  • Brynhild (VS 20–33): Walküre, Sigurds erste Geliebte, Odins Tochter
  • Brynilda (DK 14, 16, 160, 210–212, 292–296, 368: Brynilda, Brynilla): Burgherrin und Pferdehändlerin, Sigords Beischläferin, Gunnars Ehefrau
  • Chremild (HC 5f): widerspenstige Braut von Sigfrid → Brynilda (DK 211f)
  • Brinhild (SL II 4–10, 38–46, 52–54, 75–119, 134, 147, 153–184, 191–207, 219–211, 220, 234–236; III 161f): Tochter von Budli, Sjurds Geliebte

Dankrad (NLB 5): verstorbener König von Worms, Vater von Gunther, Gernot, Giselher und Kriemhild; mutmaßliches historisches Vorbild: Tankred von Tarent (1072–1112); zeitgenössisches Vorbild: Friedrich I. Barbarossa (um 1122–1190); literarischer Vorgänger: Guntharius’ Vater Gibicho (W 14); abgewähltes historisches Vorbild: Gibica (Lex Burgundionum Liber Constitutionum III)

  • Dankrad (KB 25): verstorbener König von Worms, Vater von Gunther, Gernot, Giselher und Kriemhild
  • Gibeche (RA 2–378 = RD): König von Worms, Vater von Gunther, Gernot, einem weiteren Sohn und Kriemhild
  • Gjuki (PE II 41f, 64): König am Rhein, Vater von Gunnar, Högni, Gudrun und Gudny, Stiefvater von Gothorm
  • Gjuki (LE Grp 13, 14, 31, 43, 47, 50; Ffm 41, Brt 6, 9, 11, 19; Gk1 4, 12, 16-18, 20, 24; Ssk 1f, 4; Hlr 4f, 13; Gk2 1f, 38; Gk3 2; Odg 0, 22, 28; Akv 0f; Atm 1, 50, 52, 105; Ghv 9; Hdm 2, 21; Hdl 27): König am Rhein, Vater von Gunnar, Högni, Gudrun und Gudny, Stiefvater von Gotthorm → nicht zu verwechseln mit Högnis gleichnamigem Sohn (Dr 0)
  • Aldrian (TS 169, 243, 342, 367): König der Niflungen in Worms, Vater von Gunnar, Gernoz, Gislher und Grimhild, Stiefvater von Högni → mit Hagens gleichnamigem Vater verschmolzen
  • Gjuki (VS 25–31): König am Rhein, Vater von Gunnar, Högni, Gudrun und Gudny, Stiefvater von Gotthorm
  • Aldrian (DK 161, 290): König der Nyflingen in Worms, Vater von Gunnar, Geroholt, Gynter und Krimilla, Stiefvater von Hagen
  • Gybich (HS 11f, 16, 51, 169, 176): König von Worms, Vater von Günther, Gyrnot, Hagen und Kriemhild
  • Niding, Nøgling (GB EinleitungGBC 40: Niding; GB Einleitung: Nøgling): erster Hortbesitzer, Vater von Hogen, Folquard und Grimild
  • Nøgling (HC 1, 4, 16, 18, 22, 28): Vater von Hagen, Folgmar und Chremild, erster Hortbesitzer
  • Gibaldus (GS 4–7, 17f; LH 0, 62): König von Worms, Vater von Florigunda, Hagenwald, Ehrenbertus und Walbertus
  • Juki (SL II 39–44, 64, 101, 120f, 128, 137, 139, 155–162, 170, 190, 213, 228–233; III 1–13, 23–25, 36–50, 64, 66, 72–95, 104–107, 116, 123, 129–136, 144, 150, 152, 161, 167–172, 178–187, 195, 198, 211, 223): Fürst, Ehemann von Grimhild, Vater von Gunnar, Högni, Gislar, Hjarnar und Gudrun

Dankwart (NLB 5–2288): Sohn von Aldrian, Bruder von Hagen; ohne historisches Vorbild

  • Dankwart (KB 427, 1415, 1421, 1459, 2368, 3654, 3793, 3804): Bruder von Hagen
  • Dankwart (RFI 3f, 9f; RFV 9, 11, 17f, 20): Sohn von Aldrian, Bruder von Hagen

Dietrich (NLB 1723–2359): König von Bern, Herr der Amelungen; historisches Vorbild: Theoderich der Große (†526) = Theodoricus (Jordanes Getica XLVI-LX) = Teodoricus Veronensis (Gottfried von Viterbo Pantheon Particula 22,18)

  • Dietrich (KB 322, 745–853, 1010–1044, 1148, 1231, 1322–2788, 2994, 3179, 3630, 3840–3933, 4107–4123, 4206–4335): König von Bern
  • Thiodrek (LE Drn 0; Gk2 44; Gk3 2, 5): Held an Atlis Hof, vermeintlicher Liebhaber von Gudrun
  • Dietrich (RA 4–385 = RD): Fürst von Bern
  • Thidrek (TS Prolog 14–438): König von Bern, Sohn von Thettmar und Odilia
  • Didrik (DK 11–386; auch Diderich, Dydrik, Dytrik, Tidrik, Tidride, Tydrik): König von Bern, Sohn von Detmar und Odillia
  • Dieterich (HS 15): Krieger von Bern, Überlebender nach dem Streit um den Hort
  • Tidrich (GB abwesend, nur Hundertballadenbuch I 4, 10–12; auch Tiderich): König von Bern
  • Theodoricus (HC 4; Beiname Veronensis): Gote in Worms
  • Dietrich (GS 16): Krieger von Bern, Überlebender nach dem Streit um den Hort
  • Tidrik (SL III 179–191; Beiname Tatnarson): Krieger an Artalas Hof

Eckewart (NLB 7, 697, 1629–1639): Markgraf der Burgunden, Grenzwächter; ohne historisches Vorbild

  • Eckehart (RA 100, 154, 288–293 = RD; RA auch Eckewart): Held von Dietrich
  • Ekkivart (TS 367–369 = DK 311–313: Lücke): Vasall von Sigurd, Grenzwächter

Etzel (NLB 3–2377): König der Hunnen, Ehemann von Helche und dann von Kriemhild; historisches Vorbild: Attila (Prosper Epitome chronicarum 444-453; Jordanes Getica XXXIV-L, LIII; Gregor von Tours Historia Francorum II,7; Fredegar Chronica II,53; Kaiserchronik 13843–14177: Etzel)

  • Etzel (KB 56–647, 758–866, 1015–1139, 1355, 1471–1570, 1677, 1998–2246, 2389, 2434, 2536, 2568–2620, 2925–3030, 3181–3438, 3585, 3854, 3921, 4106–4142, 4322, 4389): König der Hunnen, Witwer von Helche und Kriemhild
  • Etzel (RD 14–17, 129ff, 188, 197, 200f, 209, 211, 18, 231f, 244, 572ff, 609): König der Hunnen, Ehemann von Herche
  • Atli (PE II 41, 58, 64): König, Sohn von Budli, Ehemann von Gudrun → nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen isländischen Dichter (II 62), dem gleichnamigen Seekönig (II 75) oder mit Thors Beinamen (II 18)
  • Atli (LE Brt 5; Gk1 25; Ssk 32f, 36, 40, 56, 58–60; Drn 0; Gk2 26; 37, 44; Gk3 1, 10; Odg 0, 2, 21–23, 25f, 31f; Akv 0f, 3, 14, 16, 6, 29f, 32–35, 38, 40, 43; Amm 2, 4, 19f, 42, 50, 5, 61, 98f, 73, 75. 79f, 88f, 97, 100, 104; Ghv 0, 11; Hdm 8): König der Hunnen, Sohn von Budli, Ehemann von Gudrun → vielleicht identisch mit einem gleichnamigen Helden (HH 52) und dem gleichnamigen Sohn des Jarls Idmund (HHv 0, 2–5, 11f, 15, 19f, 22, 30)
  • Attila (TS 39–56, 129, 134–140, 145, 241–244, 267–270, 290–397, 423–428): König der Hunnen in Soest, Sohn von Osid, Ehemann von Erka und dann Grimhild
  • Atli (VS 26–40, 43): König der Hunnen, Sohn von Budli, Ehemann von Gudrun
  • Attilius (DK 33–54, 133–136, 222–227, 245–290, 302–341, 366–368; auch Aktilius, Atilius): König der Hunnen in Soest, Sohn von Osid, Ehemann von Ercha und dann Krimilla
  • Guncelin (GBAb 25, 33; GBA 27, 36: König Kanselin): König oder Graf, Krieger von Grimild
  • Artala (SL II 232; III 3–24, 78, 111, 120f, 139–149, 164, 184, 195–201, 224, 236–250): König von Hunaland, Ehemann von Gudrun

Gernot (NLB 2–2368): Sohn von Dankrad und Ute, Bruder von Gunther, Giselher und Kriemhild; ohne historisches Vorbild

  • Gernot (KB 191, 443–483, 1170, 1851–1921, 2830, 3113, 3185, 3285, 3413, 3650, 3862): Sohn von Dankrad und Ute, Bruder von Gunther, Giselher und Kriemhild
  • Gothorm (PE II 41): Stiefsohn von Gjuki, Halbbruder von Gunnar, Högni, Gudrun und Gudny
  • Guthorm (LE Grp 50; Ssk 20, 22; Brt 4; Gk2 7: auch Gothorm; Hdl 27): Bruder von Gunnar, Högni und Gudrun
  • Gernot (RA 6, 49, 101, 295–302 = RD): Sohn von Gibeche, Bruder von Gunther und Kriemhild
  • Gernoz (TS 169,230, 344f, 348, 357–392): Bruder von Gunnar, Högni, Gislher und Grimhild
  • Guthorm (TS 170): Bruder von Gunnar und Högni
  • Gutthorm (VS 26, 32f, 37): Bruder von Gunnar, Högni und Gudrun
  • Geroholt (DK 161f, 176, 185, 291, 293, 302, 312f, 318–338; auch Gernhold, Geroholth, Goroholdt): Bruder von Gunnar, Hagen, Gynter und Krimilla
  • Gyrnot (HS 176): Bruder von Günther, Hagen und Krimhild
  • Germer (GBC 13; GBAb 13: Gerleff; GBA 18: Gierlo): Begleiter von Hogen und Folquard
  • Walbertus (GS 19; LH 54): Sohn von Gibaldus, Bruder von Florigunda, Hagenwald und Ehrenbertus
  • Hjarnar (SL III 28-30, 73, 116, 124-127): Sohn von Juki und Grimhild, Bruder von Gunnar, Högni, Gislar und Gudrun

Gibech (NLB 1340, 1349): Fürst an Etzels Hof; mögliches historisches Vorbild: Gibica (4. Jh.) (Lex Burgundorum Liber Constitutionum III); die Figur fehlt in allen übrigen Fassungen, nur der Name wurde als historische Berichtigung auf Kriemhilds Vater übertragen → Dankrad

Giselher (NLB 2–2378): Sohn von Dankrad und Ute, Bruder von Gunther, Gernot und Kriemhild; historisches Vorbild: Gislaharius (4. Jh.) (Lex Burgundorum Liber Constitutionum III)

  • Giselher (KB 190, 468, 478, 1170, 1541–1560, 1733, 1786, 3037, 3280, 3413, 3650, 3846): Sohn von Dankrad und Ute, Bruder von Gunther, Gernot und Kriemhild
  • Gislher (TS 360–390): Sohn von Aldrian und Oda, Bruder von Gunnar, Gernoz, Guthorm, Högni und Grimhild
  • Gynter (DK 161, 291, 306, 313, 316–338; auch Gyntar, Gynther): Bruder von Gunnar, Geroholt, Hagen und Krimilla → mit Gunther verwechselt
  • Grimmer (GBC 13; GBAb 13 = GBA 18: Gynter): Begleiter von Hogen und Folquard
  • Gislar (SL III 28–30, 115f, 122–127): Sohn von Juki und Grimhild, Bruder von Gunnar, Högni, Hjarnar und Gudrun

Gotelind (NLB 1156–1186, 1275, 1297–1321, 1421, 1493, 1676, 1694, 1702, 2132, 2191, 2217): Ehefrau von Rüdiger von Bechelaren; ohne historisches Vorbild

  • Gotelind (KD 1825, 2685, 2808–2870, 2938, 3149): Ehefrau von Rüdiger
  • Gotelint (RD 88, 246, 614): Ehefrau von Rüdiger
  • Gudilinda (TS 369f, 415): Ehefrau von Rodingeir von Bakalar → nicht zu verwechseln mit Thidreks gleichnamiger Ehefrau (TS 240, 289)
  • Godelinda (DK 244; 357: Gudilin): Ehefrau von Rodger

Gunther (NLB 2–2359): König der Burgunden in Worms, Bruder von Gernot, Giselher und Kriemhild; historisches Vorbild: Gundaharius (Lex Burgundionum Liber Constitutionum III; literarisches Vorbild: Guntharius (W 16–1413); zeitgenössisches Vorbild: Heinrich VI. (NLB 1165–1197)

  • Gunther (KB 103, 189, 493, 837–1181, 1286, 1359, 1556, 2408, 3021, 3449–3575, 3679, 3880–3994): verstorbener König der Burgunden, Bruder von Gernot, Giselher und Kriemhild
  • Gunnar (PE II 41, 58): Sohn von Gjuki und Grimhild, Bruder von Högni, Gudrun und Gudny, Halbbruder von Gothorm, Ehemann von Brynhild
  • Gunnar (LE Hh2 7; Grp 34f, 37, 39, 42–44, 47, 50; Brt 11f, 16f; Gk1 21; Ssk 7, 10, 13, 21, 31, 33f, 42, 53,; Hlr 8; Drn 0; Gk2 7, 18, 31; Gk3 8; Odg 0, 15, 20, 32; Akv 1, 3, 6, 9, 11, 14f, 18f, 22–25, 30f, 42; Atm 6f, 21, 32, 59, 66; Ghv 3, 77; Hdm 3; Hdl 27): Bruder von Högni, Guthorm und Gudrun, Ehemann von Brynhild und dann Glaumvör
  • Gunther (RA 6, 49, 102, 302–307 = RD): Sohn von Gibeche, Bruder von Gernot und Kriemhild
  • Gunnar (TS 169–171, 183, 198–230, 342–383, 425–427): König der Niflungen in Worms, Sohn von Aldrian und Oda, Bruder von Gernoz, Gislher und Grimhild
  • Gunnar (VS 27–39, 43): Bruder von Gudrun, Ehemann von Brynhild
  • Gunnar (DK 161f, 173, 182, 185, 22, 209–212, 291–296, 302–328; auch Gunar, Gwnnar): König der Nyflingen in Worms, Sohn von Aldrian und Oda, Bruder von Geroholt, Gynter und Krimilla
  • Günther (HS 173): Sohn von Gybich, Bruder von Krimhild, Hagen und Gyrnot
  • Ehrenbertus (GS 19; LH 54): Sohn von Gibaldus, Bruder von Florigunda, Hagenwald und Walbertus
  • Gunnar (SL II 39f, 55, 161, 171, 182–187, 218–228; III 23–27, 55, 65, 72–77, 84, 97, 125–131): Sohn von Juki und Grimhild, Bruder von Högni, Gislar, Hjarnar und Gudrun

Hagen (NLB 7–2365): Held von Tronege, Sohn von Aldrian, Bruder von Dankwart, verwandt mit Kriemhild; literarisches Vorbild: Hagano (Geraldus Waltharius); ohne historisches Vorbild

  • Hagen (KB 104, 230, 236, 424, 735, 737, 922, 1088–1306, 1415–1422, 1909, 2092, 2366, 3019, 3417, 3522, 3653, 3764, 3881–3931, 4031, 4040): verstorbener Held von Tronege, Bruder von Dankwart
  • Högni (PE II 41, 58, 64): Sohn von Gjuki und Grimhild, Bruder von Gunnar, Gudrun und Gudny, Halbbruder von Gothorm → nicht zu verwechseln mit Hilds gleichnamigem Vater (II 50; III 49) und dem gleichnamigen Seekönig (II 75)
  • Högni (LE Grp 37, 50; Brt 7; Ssk 14, 17, 44f; Drn 0; Gk2 7, 9f, 18, 31; Gk3 8; Odg 8, 28; Akv 6, 12, 19, 21, 23–26; Atm 6f, 10f, 13f, 30, 35, 38, 40, 59, 61, 64f, 71, 88f, 91; Ghv 3f; Hdm 6; Hdl 27): Bruder von Gunnar, Guthorm und Gudrun, Ehemann von Kostbera → kaum identisch mit dem gleichnamigen König und Vater der Walküre Sigrun (HH 17, 52, 56; HH2 4, 13, 17f, 26, 29, 44, 48)
  • Hagen (RA 7, 49, 100, 287–292 = RD): Held in Worms
  • Högni (TS 169–171, 184, 214f, 217, 227, 230, 244, 342–395, 423–427): Held von Troja (TS 395), unehelicher Sohn eines Elfen und der Oda, Halbbruder von Gunnar, Gernoz, Gislher, Guthorm und Grimhild, Vater von Aldrian
  • Högni (VS 26–43): Bruder von Gunnar und Gudrun
  • Hagen (DK 61, 174, 185, 199f, 201, 2012, 224f, 293–339, 367; auch Hagæn, Haghæn, Haghen; häufig vorgestellter Beiname hellit, helte): Held von Troja (DK 340, 365), unehelicher Sohn eines Elfen und der Oda, Halbbruder von Gunnar, Geroholt, Gynter und Krimilla, Vater von Aldrian
  • Hagen (HS 174): Sohn von Gybich, Bruder von Krimhild, Günther und Gyrnot
  • Hogen (GB Einleitung = GBC 2f, 6, 8, 11, 14f, 28f, 31, 35f, 38 = GBBb 3, 5, 7, 10, 16, 26, 28f, 31, 37 = GBAb 11f, 6, 8, 14, 17f, 25, 27f = GBA 10; GBA 16: Haagen; GBA 3f, 8, 19f, 25, 27, 29, 32f = GBB 1, 5, 7, 9, 17, 27, 29f, 32: Hagen; immer mit vorgestelltem Beinamen Heldt, Helle, Helled, Hellede, Hellet, Helli, Helt, Hille): Schwester von Folquard und Grimild
  • Hagen (HC 1–10, 12–14, 16–22, 27; auch Haagen, Hogen): Sohn von Nøgling, Bruder von Folgmar und Chremild
  • Hagenwald (GS 19): Sohn von Gibaldus, Bruder von Florigunda, Walbertus und Ehrenbertus
  • Högni (SL II 43f, 190, 219f; III 23, 35–111, 117–124, 132–178, 185–215, 225, 231f, 252f): Sohn von Juki und Grimhild, Bruder von Gunnar, Gislar, Hjarnar und Gudrun

Helche (NLB 1140): verstorbene Ehefrau von Etzel; mutmaßliches historisches Vorbild: Cerca oder Recca, zwei von Attilas Frauen oder dieselbe (Priscus Fragment 8: CercaCreca; in französischer Übersetzung: Cerca, Recca)

  • Helche (KB 64, 87, 2010, 2191–2238, 2500, 4147–4178): verstorbene Ehefrau von Etzel
  • Herkja (LE Gk2 44; Gk3 2, 10): Geliebte von Atli
  • Herche (RA 130, 138, 141, 245, 441, 627): Ehefrau von Etzel
  • Erka (TS 38–56, 242, 290, 300–307, 317–341, 375, 393, 415): Tochter von Osantrix und Oda, Ehefrau von Attila
  • Ercha (DK 32–35, 44–46, 54, 245, 254–256, 261, 267–271, 280, 288–290, 357; auch Erecha, Ærcha, Ærka): Tochter von Osantrix und Oda, Ehefrau von Attilius

Hildebrand (NLB 1140–2373): Waffenmeister und Gefolgsmann von Dietrich; mutmaßliches literarisches Vorbild: Hiltibrant (Hildebrandlied 3–58); ohne historisches Vorbild

  • Hildebrand (KB 324, 520, 722–798, 1013–1528, 1651–1972, 2091–2126, 2297, 2453–2551, 3877–3941, 4117–4209): Gefolgsmann von Dietrich
  • Hiltebrand (RA 55–368 = RD): Gefolgsmann von Dietrich
  • Hildibrand (TS 15–17, 19, 82–84, 87–96, 106, 108, 171–173, 187f, 200,216, 287–340, 374f, 389–415): Lehrmeister und Gefolgsmann von Thidrek
  • Hillebrand (DK 12f, 79–82, 86–96, 162, 164, 185, 201, 211, 247–290, 318, 335–357; auch Hillebran, Hillebrandh, Hillebrondh, Hillibrandh, Hyllebrand, Hyllebrandh): Lehrmeister und Gefolgsmann Didrik
  • Hiltebrandt (HS 0, 15, Beiname meyster): Überlebender nach dem Streit um den Hort
  • Hiltebrandt (GS 16, Beiname Meister): Überlebender nach dem Streit um den Hort

Kriemhild (NLB 1–2373): Tochter von Dankrad und Ute, Schwester von Gunther, Gernot und Giselher, Ehefrau von Siegfried und dann Etzel; oft vermutetes historisches Vorbild: Ildico (Jordanes Getica IL)

  • Kriemhild (KB 69–548, 761, 947, 1203, 1839, 1909, 2234, 3016, 3409, 3966–4033): verstorbene Ehefrau von Etzel
  • Gudrun (PE II 6, 41; auch Godrun): Tochter von Gjuki und Grimhild, Schwester von Gunnar, Högni und Gudny, Halbschwester von Gothorm, Ehefrau von Sigurd, dann Atli und endlich Jonak → nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Mutter des isländischen Dichters Eilif (II 13, 18, 52)
  • Gudrun (LE Grp 34, 45, 51; Brt 3, 6, 11, 19; Gk1 1–3, 5, 11, 14f, 23, 27; Ssk 2, 7f, 24f, 24, 56, 60f, 64; Hlr 13; Drn 0; Gk2 10, 25, 38, 44; Gk3 2, 10f, 27; Akv 0, 29, 33, 38, 40; Atm 46, 58, 68, 74, 85, 88f, 92, 102, 104; Ghv 0f, 7, 9, 18; Hdm 2, 6, 9f; Hdl 27): Tochter von Gjuki und Grimhild, Schwester von Gunnar, Högni und Guthorm, Ehefrau von Sigurd, dann Atli und endlich Jonak
  • Kriemhild (RA 2–380 = RD): Tochter von Gibeche, Schwester von Gunther und Gernot, Verlobte von Siegfried
  • Grimhild (TS 169, 226, 343–344, 356–392): Tochter von Aldrian und Oda, Schwester von Gunnar, Högni, Gernoz und Gislher, Ehefrau von Sigurd und dann Attila
  • Gudrun (VS 25–44): Tochter von Gjuki und Grimhild, Schwester von Gunnar, Högni und Gudny, Halbschwester von Gotthorm, Ehefrau von Sigurd, dann Atli und endlich Jonak
  • Krimilla (DK 61, 209, 291–338; auch Crimilla, Crinilla, Krimildæ, Krimilla, Kremilla): Tochter von Aldrian und Oda, Schwester von Gunnar, Hagen, Gynter und Geroholt, Ehefrau von Sigord und dann Attilius
  • Krimhild (HS 51, 179): Tochter von Gybich, Schwester von Günther, Gyrnot und Hagen, Ehefrau von Siegfried
  • Grimild (GB Einleitung = GBC 1, 25, 41 = GBBb 1, 16, 18, 27, 32, 37 = GBAb 13, 23, 27, 33, 35 = GBC 20, 27: Grimmild; GBBb 15: Grimhild; GBB 17, 19, 28: Kremald; GBA 38: Kremol; GBA 1, 24f; GBB 14, 33: Kremold; GBB 1: Kremoldt; GBA 15: Kremøll; GBA 37: Kremolt): Tochter von Nøgling, Schwester von Hogen und Folquard
  • Chremild (HC 1, 3–7, 9f, 12–17, 19–25; auch Chremeld, Chremiild, Chremillt): Tochter von Nøgling, Schwester von Hagen und Folgmar, Ehefrau von Siegfried und dann einem anonymen Mann, Mutter von Sigfrid mit ihrem zweiten Mann
  • Florigunda (GS 4–8, 12, 15–17, 19; LH 0, 62): Tochter von Gibaldus, Schwester von Ehrenbertus, Hagenwald und Waldbertus, Ehefrau von Siegfried
  • Gudrun (SL II 102, 115f, 133–164, 183, 226–237; III 1–23, 52–64, 77–116, 122–132, 146, 153f, 161–186, 197, 203–205, 216–223): Tochter von Juki und Grimhild, Schwester von Gunnar, Högni, Gislar und Hjarnar, Ehefrau von Sjurd

Nibelung (NLB 85f; 736, 1104, 1520, 2344: Nibelunges): König im Land der Nibelungen, Vater von Nibelung und Schilbung, erster Hortbesitzer, eponymer Begründer der Nibelungen; mögliches historisches Vorbild: Nibelung I. († um 780) (Fredegar Continuationes 34: Nibelung)

  • Nibelungen (Plural) (NLB 84–95, 481–500, 577, 594, 718, 736, 775, 1000, 1008, 1012, 1024, 1027, 1055, 1068, 102, 1092, 1113, 1268, 1275, 1320, 1389, 1523f, 1712, 1721, 1723, 1734, 178f, 1867, 1897, 2172, 2376: Nibelunge): Einwohner von Nibelungs Land, Siegfrieds 1000 Krieger, die offenbar später nach Etzelburg mitziehen (vgl. NLB 499, 501, 503, 1520), nach der Abreise von Worms mit den Burgunden vermischt (vgl. NLB 1523)
  • Nibelungen (KB 1522, 3430): Gefolgsleute von Giselher, Hortbesitzer
  • Niflungen (PE II 41, 64; III 41: Niflungar): anderer Name der Gjukungen
  • Niflungen (LE Brt 16; Akv 11, 17, 25–27; Atm 47, 49: Niflungar; Ghv 12: Hniflungom): anderer Name der Gjukungen → nicht zu verwechseln mit den Hniflungen, Hödbrodds Geschlecht (Hh1 48) oder Högnis Sohn Hniflung (Atm 88)
  • Niflungen (TS Prolog, 169, 226, 342–394, 424–427: Niflungar): Einwohner des Königreichs von Worms
  • Niflung (VS 40: Niflungr): Sohn von Högni (niemals alternative Bezeichnung der Gjukungen)
  • Nyflingen (DK 305–368: Nyfflinga, Nyfflinga, Nyflinga): Einwohner des Königreichs am Rhein
  • Nybling (HS 13f, 134, 156, 168): Zwergkönig, Hortbesitzer, Vater von Eugel und zwei anderen anonymen Söhnen → mit Alberich verschmolzen
  • Nyblinger (HS 13): Nyblings Geschlecht
  • Niding (GB Einleitung = GBC 41; GB Einleitung: Nøgling): Vater von Hogen, Folquard und Grimild, erster Hortbesitzer
  • Nøgling (HC 1, 4, 16, 18, 22, 28): Vater von Hagen, Folgmar und Chremild, erster Hortbesitzer
  • Edwardus (GS 14–16): Zwergkönig, Hortbesitzer, Vater von Egwardus und zwei anderen anonymen Söhnen

Ortlieb (NLB 1385–1958): Sohn von Etzel und Kriemhild; ohne historisches Vorbild

  • Ortlieb (KB 863): verstorbener Sohn von Etzel und Kriemhild
  • Erp und Eitil (LE Drn 0; Akv 37; Hdm 8): Söhne von Atli und Gudrun → nicht zu verwechseln mit Erp, dem Sohn von Jonak und Gudrun (Ghv 0; Hdm 14, 28)
  • Aldrian (TS 360, 373, 377, 379): Sohn von Attila und Grimhild → nicht zu verwechseln mit seinen Namensbrüdern, Högnis Vater und Sohn
  • Aldrian (DK 305, 317, 323; auch Aldriam, Aldyan): Sohn von Attilius und Krimilla → nicht zu verwechseln mit seinen beiden Namensbrüdern, Högnis Vater und Sohn
  • Sigfrid (HC 20, 24): Sohn von Chremild und ihrem zweiten Mann
  • Svein (SL III 102f): Sohn von Artala und Gudrun

Pilgrim (NLB 1293, 1425, 1492, 1625: Pilgrin): Bischof von Passau, Bruder von Ute, Onkel von Kriemhild; historisches Vorbild: Pilgrim von Passau (†991); zeitgenössisches Vorbild Wolfger von Erla (†1218)

  • Pilgrim (KB 3298, 3366, 3636, 4295): Bischof von Passau, Bruder von Ute, Onkel von Kriemhild, Auftraggeber der ersten Aufzeichnung des Gedichts

Rüdiger (NLB 1144–2255: Rüedeger): Markgraf von Bechelaren an der Donau, Ehemann von Gotelind; ohne historisches Vorbild; zeitgenössisches Vorbild Wolfger von Erla (†1218)

  • Rüdeger (KB 447–485, 1816–2147, 2351, 2564, 2577, 2676–2977, 3109–3227, 3844–3867, 4230, 4247): verstorbener Markgraf von Bechelaren, Ehemann von Gotelinde, Vater von Dietlinde
  • Rüdeger (RD 73, 87, 131, 158, 208–390): Held in Worms
  • Rodingeir (TS 43f, 289–299, 308–332, 358, 367–398, 415): Markgraf von Bakalar am Rhein
  • Rodgerd (DK 244–246, 251–253, 262–264, 269– 288, 311–314, 329–337, 342; auch Rodger, Rödger, Rödgher, Rögher): Markgraf → anscheinend identisch mit Rodolff
  • Rodolff (DK 36f, 41–54, 248): Markgraf → anscheinend identisch mit Rodgerd

Siegfried (NLB 19–2369: Sivrit): König von Xanten, Sohn von Siegmund und Sieglinde, Ehemann von Kriemhild; literarische Vorbilder: Achilleus, Jesus Christus, Viktor von Xanten; ohne historisches Vorbild

  • Siegfried (KB 101, 482–549, 1267, 3416, 3777, 3981, 4047: Sivrit): verstorbener König von Xanten, Sohn von Siegmund und Sieglinde, Ehemann von Kriemhild
  • Sigurd (PE II 40–42, 49, 58, 64; III 35, 94): Sohn von Sigmund und Hjördis, Geliebte von Brynhild, Ehemann von Gudrun → nicht zu verwechseln mit Ragnar Lodbroks gleichnamigem Vater und verschiedenen gleichnamigen norwegischen Fürsten
  • Sigurd (LE Dsf 0; Grp 0, 3, 5f, 8, 10, 16, 19f, 24f, 26, 30, 36, 40, 43, 52; Rgm 0, 12, 14f, 17, 25; Ffm 0f, 4, 20, 22f, 25, 27, 29, 31f, 39–41, 44; Sdm 0–2; Brt 1f, 6–8, 11, 15, 19; Gk1 1, 13, 17f, 21f, 27; Ssk 0–3, 6, 11, 13, 21, 24, 63f, 65; Hlr 0, 13f; Drn 0; Gk2 1–4, 7f, 11f, 28f; Odg 19; Atm 98; Ghv 0, 4, 10, 17–19; Hdm 6f; Hdl 25): Sohn von Sigmund und Hjördis, Geliebte von Brynhild, Ehemann von Gudrun
  • Siegfried (RA 3f, 9, 51, 94, 322–365 = RD: Sivrit; R3 et passim: Seyfrit): Held mit Hornhaut, Verlobter von Kriemhild
  • Sigurd (TS Prolog, 48, 50–54, 57, 117–121, 152–168, 180–186, 190, 200–230, 244, 342–390, 400, 424f; Beiname sveinn; Prolog: Fafnisbani): Sohn von Sigmund und Sisibe, Ehemann von Grimhild
  • Sigisfröd (TS 393): Hortbesitzer → nicht unbedingt identisch mit Sigurd
  • Sigurd (VS 13–43): Sohn von Sigmund und Hjördis, Urururenkel von Odin, Geliebte von Brynhild, Ehemann von Gudrun
  • Sigord (DK 55f, 152–160, 178, 184–191, 204–212, 291–296, 303, 316–338; auch Sigiord, Sigord, Sigorder, Sigordh, Sigorth, Sygor, Sygorth): Sohn von Sigmund und Sissebe, Ehemann von Krimilla
  • Sewfrid (HS 0f, 10, 13, 33–41, 46–69, 74, 78–106, 111–122, 127–159, 163, 170–179; in jüngeren Drucken andere Namensformen, besonders Seyfrid): Sohn von Siegmund und Siglinge, Ehemann von Krimhild
  • Sigfred (GB Einleitung, nur hier mit dem nachgestellten Beinamen Horn = GBBb 19, hier ohne Beinamen; GBB 20: Segfred; GBA 26: Seifrid): erster Ehemann von Grimild
  • Sigfrid (HC 2, 4, 6f, 18; auch Sifredt, Sigfred, Sigfredt; Beiname Horn): Riese von Worms, Ehemann von Chremild
  • Siegfried (GS 1–19, LH 0, 54, 62; 13: Sighard, offenbar Druckfehler): Sohn von Sieghardus und Adelbunda, Ehemann von Florigunda
  • Sjurd (SL I 17, 34, 41–49, 55–70, 77–129; II 16, 18–31, 46–59, 67f, 74–99, 105–114, 120–132, 144–154, 163–236; III 1–22, 85–89, 115, 125; auch im Kehrreim; Beiname Svein): Sohn von Sigmund und Hjördis, Geliebte von Brinhild, Ehemann von Gudrun

Sieglinde (NLB 18, 454, 481, 700–714: Sigelint): Königin von Xanten, Ehefrau von Siegmund, Mutter von Siegfried; ohne historisches Vorbild

  • Sieglinde (KB 123): Mutter von Sigurd
  • Hjördis (PE II 40): Tochter von Eylimi, Ehefrau von Sigmund, Mutter von Sigurd
  • Hjördis (LE Dsf 0; Grp 0, 3; Hdl 26): Tochter von Eylimi, Ehefrau von Sigmund, Mutter von Sigurd
  • Sisibe (TS 152, 156, 160f): Tochter des Königs Nidung, Ehefrau von Sigmund, Mutter von Sigurd
  • Hjördis (VS 11–13): Tochter von Eylimi, Ehefrau von Sigmund, Mutter von Sigurd
  • Sissebe (DK 148–152, 160; auch Sibeke): Tochter von König Nydung von Spanien, Frau von Sigmund, Mutter von Sigord
  • Siglinge (HS 48): Frau von Sigmund, Mutter von Sewfrid
  • Adelgunda (GS 9): Frau von Sieghardus, Mutter von Siegfried
  • Hjördis (SL I 2–12, 21–30, 47, 113; II 16, 84): Ehemann von Sigmund und dann Hjalprek, Mutter von Sjurd

Siegmund (NLB 18, 480, 687–787, 886, 1011–1068, 1154: Sigemunt): König von Xanten, Ehemann von Sieglinde, Vater von Siegfried; ohne historisches Vorbild

  • Sigmund (KB 120): Vater von Siegfried
  • Sigmund (PE II 40f): Sohn von Völsung, Ehemann von Hjördis, Vater von Sigurd
  • Sigmund (LE Hh1 6, 11; Hh2 0, 12, 15, 18, 50; Dsf 0; Grp 3; Rgm 13, 26; Ffm 4; Sdm 1; Ssk 39; Gk2 16, 28; Hdl 2): Sohn von Völsung, Ehemann von Hjördis, Vater von Sigurd
  • Sigmund (TS 152–161, 168, 359): König von Tarlungaland, Sohn von Sifian, Ehemann von Sisibe, Vater von Sigurd
  • Sigmund (VS 2–34): Sohn von Völsung, Ururenkel von Odin, Ehemann von Hjördis, Vater von Sigurd
  • Sigmund (DK 148–153, 160, 304): König von Tarlungeland, Ehemann von Sissebe, Vater von Sigord
  • Sigmund (HS 1, 48): König von Niderland, Ehemann von Siglinge, Vater von Sewfrid
  • Sieghardus (GS 1, 9, 17–19; LH 0, 2, 10, 13, 46, 54, 66–68): König von Niederland, Ehemann von Adelgunda, Vater von Siegfried
  • Sigmund, (SL I 2, 8–11, 22–30, 91–95, 112; II 16, 59, 67, 84–91, 98f, 110f, 150, 165, 173, 200, 203, 211): König, Ehemann von Hjördis, Vater von Sjurd

Swemmelin (NLB 1371, 1409, 1427, 1443, 1451, 1481, 1496: Swemmel, Swämmelin, Swämmel): Fiedler und Bote von Etzel; ohne historisches Vorbild; mögliches zeitgenössisches Vorbild: Konrad von Fußesbrunnen

  • Swemmelin (KB 2592, 2620, 3104, 3183, 3288, 3351, 3426, 3459, 3842, 3496f, 3584, 3589, 3674, 3776, 4100; auch anonym 4209: videlære): Fiedler und Bote von Etzel, Augenzeuge und Erzähler der Geschichte

Ute (NLB 5, 12, 124, 273, 289, 316, 586, 600, 714, 744, 749, 779: Uote): Königin von Worms, Witwe von Dankrad, Mutter von Gunther, Gernot, Giselher und Kriemhild; mögliches historisches Vorbild: Oda von Sachsen (†913); mögliches zeitgenössisches Vorbild: Beatrix von Burgund (†1184)

  • Ute (K28, 83, 726, 2632, 3279, 3402, 3682, 3986: Uote): Königin von Worms, Witwe von Dankrad, Mutter von Gunther, Gernot, Giselher und Kriemhild
  • Grimhild (PE II 41): Ehefrau von Gjuki, Mutter von Gunnar, Högni, Gudrun und Gudny
  • Grimhild (LE Grp 33, 35): Mutter von Gudrun
  • Ute (RD 41, 81–85, 98, 558ff, 632f): Königin von Worms, Ehefrau von Gibeche, Mutter von Gunther, Gernot und Kriemhild
  • Oda (TS 362, 395): Ehefrau von Aldrian, Mutter von Gunnar, Guthorm, Gernoz , Gislher und Grimhild → nicht zu verwechseln mit ihren Namensschwestern (TS 29f, 35, 37, 111, 115)
  • Grimhild (VS 27–34): Ehefrau von Gjuki, Mutter von Gunnar, Högni, Gudrun und Gudny
  • Oda (DK 161, 306): Ehefrau von Aldrian, Mutter von Gunnar, Geroholt, Gynter und Krimilla → nicht zu verwechseln mit ihren Namensschwestern (DK 24–32, 114–118)
  • Bodild (GBAb 2; GBA 4: Buodel): Mutter von Hogen, Folquard und Grimild
  • Grimhild (SL II 64f, 105, 121f, 130f, 137, 149; III 26–33, 50–52): Ehefrau von Juki, Mutter von Gunnar, Högni, Gislar, Hjarnar und Gudrun

Volker (NLB 7–2286; oft spilman genannt): Fiedler von Alzey, Freund von Hagen; ohne historisches Vorbild

  • Volker (KB 410, 680, 1173, 1347, 1368, 1500, 1811, 2367, 3653, 3827): verstorbener Fiedler von Alzey
  • Volker (RA 7, 49, 99, 278–284 = RD): Fiedler von Alzey, Schwestersohn von Kriemhild (vgl. RD 45)
  • Folkher (TS 361, 373–375, 377, 379, 382, 388f; ohne Beinamen): Freund von Högni
  • Folkordh (DK 305, 316, 318, 334f; auch Folkwardh; Beiname speleman): Spielmann, Freund von Hagen
  • Folquard (GB Einleitung; GBC 32f; GBBb 24, 26, 33; GBAb 1, 19, 30, 34, 41; GBAb 17: Folquar; GBB 25: Falcko; GBB 17, 27, 33: Falckor; GBA 3, 19: Falquor; GBA 31: Falquord; immer mit nachgestelltem Beinamen Spillemand): Bruder von Hogen und Grimild
  • Folgmar (HC 1, 9–13, 16–18, 22; auch Folgmer, Folckmar): Sohn von Nøgling, Bruder von Hagen und Chremild

Walther (NLB 1753, 2341): Held von Spanien, ehemalige Geisel von Etzel, Geliebter von Hildegund; literarisches Vorbild: Waltharius (Geraldus Waltharius); ohne historisches Vorbild

  • Walther (RA 8, 11, 50, 105, 123, 263–276 = RD)
  • Valtari (TS 128f, 151, 241–244, 269, 330f): Held von Vaskastein, Neffe des Königs Erminrek, Geliebte von Hildigund
  • Walter (DK 128f, 147, 222–225, 280f; auch Valther, Wolter): Held von Waskenstein o.ä.

Verortung der Sage in Worms

  • Gegen das Ende des 15. Jahrhunderts verwurzelte sich das Epos in Worms als Ortssage. Diese Ortssage ist zum ersten Mal bei dem Besuch des Kaisers Friedrich III. 1488 in der Stadt belegt und existierte also nach der Rationalen Philologie vorher nicht. Die Entstehung einer Ortssage zu diesem Zeitpunkt dürfte auf zwei Hauptfaktoren zurückzuführen sein. Erstens hatte ein breiteres Publikum um 1479 durch das gedruckte Straßburger Heldenbuch mit der Nibelungensage Bekanntschaft gemacht. Zweitens hatte der Kaiser das Nibelungenlied vielleicht persönlich im Heldenbuch an der Etsch gelesen, das sein Sohn Maximilian I. ab 1504 von Hans Ried abschreiben ließ (d) und das höchstwahrscheinlich noch fragmentarisch erhalten ist (O).
  • Anfang April 1488 verweilte Friedrich III. zwei Tage in Worms und veranstaltete bei diesem Aufenthalt eine Suche nach den Gebeinen des „hornyn Sifridt“ auf dem Friedhof von St. Meinhard. Man grub bis zum Wasser und fand nichts anderes als einen Schädel und einige Knochen, die außergewöhnlich groß waren. Dies wurde um 1497 von einem lokalen Stadtschreiber auf Deutsch erklärt (Acta Wormatiensia 1488). Er erinnerte sich noch genau an den Ort der Ausgrabung und sprach noch nicht von einem Gerücht. Offenbar hatte der Kaiser nach dem Grab des Helden gesucht, dessen Beinamen er aus dem illustrierten Straßburger Heldenbuch kannte (um 1479, Bl. 249r: hürnen Seifrit). Den ursprünglichen Hauptnamen und den Todesort des Helden kann der Kaiser dem viel älteren Heldenbuch an der Etsch entnommen haben (NLB 1130 / NLA 1073 = O, Ende 13. Jh., Bl. 1va: Sivrides wip).
  • Um 1501 wurde dieselbe Ausgrabung auf Latein von einem anderen lokalen Chronisten beschrieben (Kirschgartner Chronik 1488). Er erinnerte sich nicht, ob sie am Friedhof der St. Cäcilia oder demjenigen von St. Meinhard stattgefunden hatte. Zwei Kapellen hießen so. Sie lagen bei dem Kloster Maria Münster und wurden 1689 durch französische Truppen zerstört. Nach dem zweiten Autor wurde überhaupt nichts gefunden. Dagegen erklärte er, der Kaiser habe von vornherein nach einem „Riesen“ (gigas) namens „Sifridus der Hörnen“ gesucht, und der Anlass der Ausgrabung sei ein Gerücht (audiens) gewesen.
  • Der Fund der großen Knochen kann den verstorbenen Helden im Volksmund zu einem Riesen verwandelt haben. Doch ein anderer Faktor scheint dabei eine weit wichtigere Rolle gespielt zu haben. 1493, also nach der Ausgrabung und vor den beiden Berichten, wurde das lokale Rathaus restauriert. Bei dieser Gelegenheit ließ sich der Kaiser an der Außenwand des Gebäudes neben „fraw Crimhiltin“ und dem „hörnin Syfridt“ malen, und in einer Inschrift wurde der Held als vorzeitlicher Freiheitskämpfer verherrlicht. Zu seinen Füßen lagen zwei Riesen. Das erzählte um 1613 ein lokaler Pfarrer (Das Chronologia der uhralten freyen keyserlichen Reichs-Stadt Worms 1493). Schon 1575 hatte Johann Fischart das Gemälde mit dem „hörnin Seifrid am Neue[n] thurn zu Worms“ erwähnt (Geschichtsklitterung, Kap. 56). Mathias Quad, ein anderer Augenzeuge, beschrieb es 1609 etwas anders und erwähnte zusätzlich einen fliegenden Drachen und Kriemhilds Brüder (Teutscher Nation Herligkeit, S. 145f). Wie die Kapellen und der Grabhügel dazwischen wurde das Rathaus von Worm 1689 zerstört. Ein Jahr nach der Zerstörung wurde das Gebäude nach dem Gedächtnis von Peter Hamman gezeichnet. Auf seiner Zeichnung (Nachdruck 1889) sind weder der Drache, die Brüder noch die liegenden Riesen zu sehen. Zur Interpretation des Gemäldes, vgl. Metzner 2008/2009.

Hamman1690Worms(Vollansicht)b

Das Rathaus in Worms, genannt die „Neue Münze“ (Hamman 1690, Vollansicht)

Hamman1690Worms

links: Kriemhild, in der Mitte: Friedrich III., rechts: Siegfried (Ausschnitt)

  • Nach dem Erscheinen des Hürnen Seyfrid um 1530 wurde die Ortssage mit Kriemhilds Entführung durch den Drachen und ihre Befreiung durch den dargestellten Helden in Verbindung gebracht. Deshalb erhielt der Riese in jüngeren Zeugnissen meist die jüngere Namensform des gedruckten Lieds, so z. B. bei Fischart und Quad. An der Fassade stand jedoch allem Anschein nach „hörnin Syfridt“.
  • Obwohl seine Knochen auf dem Friedhof nicht gefunden wurden, begannen die Einwohner den fremden Besuchern einen Hügel südlich der Stadt als das Grabmal des Riesen zu zeigen. Im Münster war ein langer Speer zu sehen, der mit der Waffe identifiziert wurde, die an der Fassade des Rathauses gemalt war. 1551 erklärte der kaiserliche Hofpfalzgraf Kaspar Brusch, er habe das Grabmal des Riesen „Corneus Sifridus“ besucht und die Länge des Grabs auf 45 Fuß gemessen, also ca. 15 m. Im Münster habe er den Speer des Riesen gesehen. Dabei verwies er auf „das deutsche Gedicht mit dem Titel Der hurnin Seyfrid“ (Brusch 1551). Der Hofpfalzgraf scheint die Ortssage nur durch mündlichen Bericht gekannt zu haben, denn er datierte die Ausgrabung auf das Jahr 1495 und schrieb ihm Kaiser Maximilian I. zu.
  • Um 1570 wies Friedrich Zorn, Rektor der lokalen Stadtschule, alles als „lauter Fabelwerk“ zurück und sprach von einem Gedicht, in dem von der „Stange“ und dem „Schwertsknopf“ des Helden die Rede sei (Wormser Chronik 1488). Dies könnte eine Anspielung auf das damals noch ungedruckte Nibelungenlied sein, denn hier hat Siegfrieds Schwert einen Knopf mit einem grünen, wie Gras funkelnden Jaspis (NLB 1780). 1612 wurde die Ortssage vom Heidelberger Professor der Rechte Marquard Freher ausführlich diskutiert (Originum Palatinarum Pars Secunda, Kap. 13). 1632 kam der steirische Schriftsteller Martin Zeiller nach Worms. Dort sah er das Grabmal beim Kloster und die Stange im Dom und maß beides. Die Stange war nach seiner Angabe 66 Schuh lang, also fast 20 Meter (Itinerarium Germaniae Nov-antiquae, S.
    312). Dies ist das letzte überlieferte Zeugnis der Ortssage. Sie erlosch spätestens nach der Zerstörung des Rathauses und einer Existenz von rund 200 Jahren. Als die ikonographische Grundlage für seine Erhaltung verschwand, hörte das Gerücht vom Riesen auf. Sobald die Federn der Chronisten die Erinnerung an den gehörnten Helden nicht länger wachhielten, verstummten die Stimmen der Stadtführer.

Auftraggeber und Dichter

  • Im Nibelungenlied bleibt der Dichter anonym und huldigt keinem Auftraggeber ausdrücklich. Nur die berühmte, aber verdächtige Anfangsstrophe, die in der B-Fassung fehlt, verweist auf alte mündliche Erzählungen als Textgrundlage (NLC 1: uns ist in alten mæren wunders vil geseit).
  • Die Klage enthält mehr Quellenberufungen, einige mit direkten Hinweisen auf Gewährsmann, Aufttraggeber und Dichter:
    • KB 17–19: ditze alte mære / bat ein tihtære / an ein buoch schrîben. (‘Diese alte Erzählung hieß ein Dichter in Buchform aufzeichnen.’)
    • KB 45f: der rede meister hiez das / tihten an dem mære. (‘Der Verantwortliche für diese Lehre hieß dieses als Erzählung dichten.’)
    • KB 295: diz hiez man allez schrîben. (‘All dies hieß man aufzeichnen.’)
    • KB 569f: des buoches meister sprach daz ê / dem getriuwen tuot untriuwe wê. (‘Der Verantwortliche für dieses Buch sagte immer: Dem Treuen tut Untreue Weh.’)
    • KB 3459–3481: Swämmel, lobt an mîne hant, / so ir wider rîtet durh diu lant, / des bitte ich, friunt, daz ir / danne keret her ze mir. / ez ensol niht so belîben: / ich wilz heizen scrîben, / die stürme und die grôze nôt, / oder wie si sîn beliben tôt, / wie ez sich huop und wie ez quam / und wie ez allez ein ende nam. / swaz ir des wâren habt gesehen, / des sult ir danne mir verjehen. / dar zuo wil ich vrâgen / von ieslîches mâgen, / ez sî wîp oder man, / swer iht dervon gesagen kan. / dar umbe sende ich nu zehant / mîne boten in Hiunen lant: / da vinde ich wol diu mære; / wand ez vil übel wære / ob ich ez behalten würde niht, / ez ist diu groezeste geschiht / die zer werlt je geschach. (‘Swemmel, schwört auf meine Hand. Wenn Ihr durch dieses Land zurückreitet, bitte ich Euch, Freund, zu mir zu kommen. Es darf nicht so bleiben. Ich will verordnen, dass alles aufgezeichnet wird: die Stürme und das große Unglück, wie alle starben, wie es begann, wie es geschah und wie es endete. Alles, was Ihr wirklich gesehen habt, sollt Ihr mir dann erzählen. Außerdem will ich mich bei den Verwandten jedes Einzelnen, seien es Frauen oder Männer erkundigen, ob jemand etwas berichten kann. Deshalb schicke ich jetzt sofort meine Boten ins Hunnenland. Dort werde ich es bestimmt herausfinden, denn es wäre schlimm, wenn ich es nicht aufheben würde. Es ist das größte Ereignis, das sich je auf der Welt zugetragen hat.’)
    • KB 4295–4319: von Pazowe der biscof Pilgerîn / durh liebe der neven sîn / hiez scrîben ditze mære, / wie ez ergangen wære, / in latînischen buochstaben, / daz manz für wâr solde haben, / swerz dar nâh erfunde, / von der alrêrsten stunde, / wie ez sih huob und ouh began, / und wie ez ende gewan, / umbe der guoten knehte nôt, / und wie si alle gelâgen tôt. / das hiez er allez schrîben. / ern liez es niht belîben, / wand im seit der videlære / diu kuntlîchen mære, / wie ez ergie und gescach; / wand erz hôrte unde sach, / er unde manec ander man. / daz mære prieven dô began / sin schrîber, meister Kuonrât. / getihtet man ez sît hat / dicke in tiuscher zungen. / die alten mit den jungen / erkennent wol daz mære. (‘Aus Liebe zu seinen Neffen ließ Bischof Pilgrim von Passau in lateinischen Buchstaben diese Geschichte so niederschreiben, wie sie sich zugetragen hatte, damit derjenige, der später davon hört, einen genauen Bericht von den Ereignissen seit der ersten Stunde hat, wie alles geschah und sein Ende nahm. Er ließ das ganze Unglück der guten Krieger und ihren Tod aufzeichnen. Er bestand darauf, denn der Fiedler hatte ihm genau erzählt, wie alles sich zugetragen hatte, und er und viele andere Leute hatten es gehört und gesehen. Sein Schreiber, Meister Konrad, begann dies niederzuschreiben. Später ist diese Geschichte, die Jung und Alt gut kennen, oft ins Deutsche übertragen worden.’)
  • Am Ende der Klage wird die Entstehung des vorliegenden Texts auf einen historischen Bischof von Passau zurückgeführt, der von 971 bis 991 sein Amt ausübte, also mehr als 200 Jahre vor der mutmaßlichen Entstehung des Nibelungenlieds und der Klage. In seiner Amtszeit hatte Pilgrim von Passau vergeblich „die Errichtung einer Donaukirchenprovinz mit Passau als Metropole angestrebt, in die Mähren und Ungarn eingegliedert werden sollten, und damit die Loslösung von der bayerischen Metropole Salzburg.“ (Meves 1980, S. 247) Am Ende des 12. Jahrhunderts kam dieser Bischof wieder ins Gespräch, denn, wie es der zeitgenössische Chronist Magnus von Reichersberg (†1195) berichtet, ereigneten sich am 21. Mai 1181 in Passau „bemerkenswerte Wunder am Grab des seligen Pilgrim, einst Bischof an diesem Ort“ (preclare miracula ad sepulchrum beati Pilgrimi eiusdem loci episcopi) (Reichersberger Chronik 1181).
  • Laut dem Epilog der Klage entstand das deutsche Gedicht in drei Phasen. Zunächst erzählte ein Fiedler dem Bischof die ganze Geschichte, offenbar auf Deutsch. Dann befahl der Bischof seinem Schreiber, den mündlichen Bericht ins Lateinische zu übertragen und in schriftlicher Form zu fixieren. Endlich wurde dieses lateinische Buch oft ins Deutsche übertragen. Es wird angedeutet, dass diese Übersetzungen in allen Schichten der Gesellschaft mündlich verbreitet wurden und dass das vorliegende Gedicht nur die Aufzeichnung einer dieser muttersprachlichen Fassungen ist. Es soll mit anderen Worten ein ständiger Wechsel zwischen Muttersprache und Latein einerseits, zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit andererseits stattgefunden haben.
  • Die Forschung misstraut dem Epilog, wenn es keine Spur von einer lateinischen Fassung des Nibelungenlieds gibt. Deshalb wird die Aussage über Bischof Pilgrim und seinen Schreiber Konrad gewöhnlich als bedeutungslose Quellenfiktion angesehen. 1950 wurde sie jedoch von Dietrich Kralik ernstgenommen. Dieser österreichische Altgermanist, der sich eingehend mit der Entstehung der Nibelungensage befasste, wies in einem Aufsatz auf die Bedeutung von Passau im Epos hin und deutete die Hervorhebung dieser Stadt und die Pilgrimfigur als eine Huldigung an Wolfger von Erla, Pilgrims Nachfolger zur Zeit des Nibelungenlieds (Kralik 1950). Meister Konrad identifizierte Kralik mit dem Dichter und beschrieb ihn als „einen in einer bischöflichen Schreibstube zu Passau tätigen Mann.“ (Kralik 1950, S. 462, zitiert Ranzmeier 2005, S. 89) In einem Büchlein führte der Altgermanistik später seine Hypothese aus (Kralik 1954).
  • Während die Identifikation des Schreibers mit dem Dichter in der Forschungswelt auf starke Skepsis stößt, findet die Deutung der Pilgrimfigur als Huldigung an Wolfger von Passau heute breite Zustimmung. Dafür gibt es vier Hauptargumente, die Uwe Meves 1980 in einem Artikel über Wolfger von Passau und die bischöfliche Kanzlei zusammengefasst hat: „[1] Die Inthronisierung Wolfgers in Passau (1191) fiel ganz genau mit dem 200. Todestag seines berühmten Vorgängers Pilgrim zusammen, [2] am Grab Pilgrims sollen sich gegen Ende des 12. Jh.s Wunder ereignet haben, [3] Wolfger verfolgte und erreichte das Ziel, den Patriarchenthron in Aquileia zu besteigen, womit er Nachfolger eines Peregrinus/Pilgrims wurde, [4] Wolfger war seit 1197/98 durch seine Teilnahme am Kreuzzug selbst ein Pilgrim geworden.“ (Meves 1980, S. 247) In demselben Aufsatz listete Meves 25 Belege für den Namen Chuonradus o.ä. in der Passauer Kanzlei zwischen 1192 und 1205 auf. Es handelte sich um mindestens drei verschiedene Personen, die meist nur als Zeugen auftreten (Meves 1980, S. 253). In den Urkunden tragen sie die Titel magistercanonicus, prepositus, capellanus, plebanus, obleiarius, scolasticus und archidiaconus und waren also Magister, Kanoniker, Propst, Kaplan, Leutpriester, Stiftsverwalter, Scholatiker und Erzdiakon. Vor allem der magister C[h]uonradus scolasticus, der 1203 zweimal und 1205 einmal als Zeuge auftritt, kann mit dem rätselhaften Schreiber der Klage identisch gewesen sein. 1994 entdeckte Meves eine weitere Urkunde von 1204, in der ein Chunradus scriba als Zeuge belegt ist (Meves 1994, S. 235). In diesem Fall stimmt der Beruf mit demjenigen des meister Kuonrât überein.
  • Diese Archivalien unterstützen zwar Kraliks Theorie, haben aber wenig Aussagekraft, denn die Angestellten der Passauer Kanzlei sind nur durch ihren Namen, ihren Titel, oder ihr Amt mit dem Schreiber der Klage verbunden. Nichts spricht unmittelbar dafür, dass einer von ihnen dieses Trauergedicht, geschweige denn das Epos selbst, verfasste.
  • In einem Aufsatz zur Datierung des Nibelungenlieds bezog Helmut Rosenfeld eine auffällige Zeitangabe des Epos auf ein zeitgenössisches Ereignis, an dem Wolfger von Passau teil nahm. Der Dichter beziffert die Dauer der Hochzeit zwischen Kriemhild und Etzel in Wien auf 17 Tage (NLB 1364) und unterstreicht mit Nachdruck, dass die Neuvermählten am 18. Tag aufbrechen (NLB 1375): „Es sind das aber die genauen Daten für Wolfgers Beteiligung an der Hochzeit Leopolds VI. in Wien, bei der sich nach unserer Annahme der Nibelungendichter ja im Gefolge Wolfgers befand.“ (Rosenfeld 1969, S. 111f) Wenn Rosenfeld Recht hat, wurde das Nibelungenlied also erst nach 1203 vollendet. Aus den Reiserechnungen des Bischofs geht hervor, dass er sich vom 25. Oktober bis zum 11. November 1203 in Wien aufhielt. Am folgenden Tag erreichte er Zeiselmauer und schenkte hier Walther von der Vogelweide den berühmten Pelzrock. Vieles spricht dafür, dass der Minnesänger bei der Hochzeit sein berühmtes Preislied Ir sult sprechen willekomen vorgetragen hatte. Wenn Wolfger ihm erst in Zeiselmauer den Pelzrock schenkte, liegt es wohl daran, dass er sich hier von ihm verabschiedete und dass Walther sich zumindest damals seinen festen Wohnort in dieser Donaustadt hatte.

Wolfgers Reiserechunung (12.11.1203): seq[ue]nti die ap[ud] zei[zemurum] walth[er]o ca[n]tori de vogelweide p[ro] pellicio .v. sol[idos] lo[n]gos (‘am folgenden Tag bei Zeiselmauer dem Sänger Walther von der Vogelweide für einen Pelzrock fünf Schillinge’)

  • Die Reiserechnung bezeugt Wolfger als Literaturmäzen, aber keineswegs als Auftraggeber des Nibelungenlieds. Nur im Epos selbst liegt das wohl entscheidende, aber bislang übersehene Argument für diese Identifikation verborgen. Nicht nur Pilgrim scheint den zeitgenössischen Bischof von Passau zu verkörpern, sondern auch Rüdiger, der Markgraf von Passau.
  • Im Epos wie in der Klage tritt Pilgrim als Nebenfigur auf und wird nur neunmal mit Namen erwähnt, viermal in Reimbindung mit sîn (NLB 1625; KB 366, 3636, 4295). Der Dichter muss ihn also im Original Pilgrin oder Pilegrin genannt haben, wohl in Anlehnung an lat. peregrinus. Pilgrim tritt zum ersten Mal in Erscheinung, als Kriemhild in Rüdigers Begleitung ins Hunnenland reist, um Etzel zu heiraten. Der Bischof kümmert sich in Passau um seine Nichte und vergisst gleichsam den Markgrafen zu begrüßen (NLB 1293–1296). Die beiden Männer treten niemals zusammen auf, weder im Nibelungenlied noch in der Klage. Von Bechelaren aus reiten Gotelinde und ihre Tochter Rüdiger und Kriemhild entgegen, und das Wiedersehen findet nach der Überquerung der Traun auf der Ebene an der Enns am rechten Donauufer statt. Hier wird Rüdiger zunächst anonym als der voget von Bechelaren (NLB 1306) beschrieben und erst später ausdrücklich mit Namen erwähnt. Auf literarischer Ebene kann er streng genommen mit Bischof Pilgrim identisch sein, wenn wir in Kauf nehmen, dass dieselbe Figur zwei verschiedene Namen trägt.
  • Dreizehn Jahre später treten Etzels Spielleute Wärbel und Swemmel als Boten in Rüdigers Fußstapfen und treffen auf der Reise nach Worms in Bechelaren ein. Hier bekommen sie reiche Geschenke, und Rüdiger bittet sie, die Königsfamilie in Worms von ihm zu grüßen. Gerade als die Boten aufbrechen wollen, werden sie von Gotelinde aufgehalten, und in der folgenden Strophe erklärt der Dichter, dass Wärbel den Bischof Pilgrim aufsuchte, bevor er Bayern durchquerte. Diese Begegnung kann also in Bechelaren stattfinden, denn Passau wird in dieser Passage gar nicht erwähnt (NLB 1421–1425). Der Dichter scheint seinen Leser zu necken, wenn er seine Unwissenheit in Bezug auf den Auftrag des Bischofs an dessen Verwandte beteuert (NLB 1424). Auf der Rückreise überbringen die Boten dem Bischof Pilgrim die Nachricht, dass die Burgunden die Einladung angenommen haben. In der folgenden Strophe wird Rüdiger in Bechelaren benachrichtigt (NLB 1492f).
  • Im Epos findet Pilgrim während der Reise der Burgunden ins Hunnenland ein letztes Mal Erwähnung. Die Reisenden werden in Passau von dem Bischof empfangen, aber müssen wegen Platzmangels ihr Lager jenseits eines Flusses aufschlagen, wohl auf der anderen Seite des Inns am rechten Donauufer. Nach der Begegnung mit dem Grenzwächter Eckewart am nächsten Morgen erreichen sie Bechelaren und werden hier von Rüdiger empfangen (NLB 1625–1653).
  • In der Klage ist Rüdiger tot und kann deshalb nicht mehr als Pilgrims körperlicher Doppelgänger auftreten, denn der Bischof ist noch am Leben. Nachdem Swemmel Gotelinde und ihrer Tochter in Bechelaren vom Burgundenuntergang und Rüdigers Tod erzählt haben, erreichen sie Passau und werden hier vom Bischof Pilgrim empfangen. Am Ende des Besuchs lässt der Wirt den Spielmann schwören, nach Worms zu ihm zurückzukommen und alles im Detail zu berichten, damit die Ereignisse in Buchform aufgehoben werden können (NLB 3292–3489). Dieses Versprechen kann Swemmel logischerweise erst nach dem Ende des Gedichts gehalten haben, denn er kommt in der Klage nicht mehr zu Pilgrim zurück. In Worms bietet er Brünhild den Dienst des Bischofs an (NLB 3635f) und kehrt offenbar auf dem Heimweg direkt zu Etzel zurück, ohne den Bischof zu besuchen (NLB 4100–4106). Es ist die einzige der vielen Reisen zwischen Worms und Etzelburg, die überhaupt nicht beschrieben wird. Das Gedicht endet in Bechelaren, wo Dietrich und seine Verlobte Herrad Dietlinde besucht. Gotelinde ist gerade gestorben. Es ist der letzte Todesfall der Erzählung. Nach der Abreise der Gäste bleibt Gotelindes und Rüdigers Tochter in Bechelaren und steht am Fall des Vorhangs alleine auf der Bühne. Von Swemmel ist seit seiner Ankunft in Etzelburg nicht mehr die Rede gewesen. Da springt der Autor der Klage unvermittelt zum Bischof Pilgrim von Passau, dem mündlichen Vortrag des Fiedlers und der lateinischen Aufzeichnung der Erzählung durch Meister Konrad. Wo und wann dieses Buch entstand, bleibt im Dunkeln.
  • Im zweiten Teil des Epos gerät Rüdiger in einen tiefen Gewissenskonflikt, weil er sowohl Kriemhild (NLB 1254f) als auch Etzel Treue geschworen hat (NLB 2144–2163). Als „tragische Gestalt“ (Wolf 2009, S. 356) übernimmt er die Rolle, die im Waltharius Hagano zukommt. Als der Frankenheld im Vogesenpass von seinem König aufgefordert wird, gegen seinen Milchbruder zu kämpfen, setzt er sich nieder und schaut zu (W 633–639). Auch nach den elf Zweikämpfen ist er zwischen Freundschaftstreue und Lehnspflicht gespalten (W 1067–1125). Schließlich tut er seine Pflicht. Im deutschen Epos trifft Rüdiger dieselbe Entscheidung und kämpft gegen seine eigene Familie, weil der König es ihm befiehlt. Dass der Dichter des Nibelungenlieds auf Haganos Gewissenskonflikt aufmerksam war, kommt in der Strophe zum Ausdruck, in Welcher Hildebrand Hagen seine passive Haltung vor dem Waskenstein vorwirft (NLB 2341). Ist Hagano der eigentliche Held des Waltharius, dann verkörpert Rüdiger am besten die Treueproblematik im Nibelungenlied. Dass dieses Thema nicht nur im Epos eine entscheidende Rolle spielt, sondern auch in der Klage, ist an einer Stelle ersichtlich, wo der Dichter seinen Auftraggeber für einen Treuespruch zitiert: „Dem Treuen tut Untreue Weh“ (KB 570). Laut dem Epilog ist des buoches meister mit Pilgrim identisch. Mit anderen Worten führt uns die Treueproblematik direkt vom Bischof zu seinem verstorbenen Doppelgänger Rüdiger.
  • Die Forschung hat sich oft darüber gewundert, wo Rüdigers Markgrafschaft eigentlich liegt. Die in den Handschriften vorherrschende Form Bechelaren scheint unmittelbar auf die Stadt Pöchlarn hinzuweisen, die an der Mündung der 70 km langen Erlauf liegt. An dieser Stelle lag in der Antike das Kastell Arelape. Der Anfang des Stadtnamens ist vermutlich als Deminutivform zu ‘Bach’ entstanden. Zur Zeit des Nibelungenlieds spielte Pöchlarn keine besondere Rolle mehr und war vor allem keine Markgrafschaft. Die einzige Markgrafschaft, die in diesem Teil des Heiligen Römischen Reichs existiert hat, war ein Vorgänger des heutigen Österreich. Die österreichische Markgrafschaft bestand von 976 bis 1156 mit Melk als Residenzstadt und wurde dann zum Herzogtum erhoben. Der erste Herzog, Heinrich II., verlegte seine Hauptresidenz nach Wien.
  • Mit dem vornehmen Titel, den er Rüdiger verlieh, machte der Dichter des Nibelungenlieds den Markgrafen zu einem symbolischen Vorgänger der österreichischen Herzöge und beanspruchte also indirekt für diese Figur ein Befugnisgebiet, das sich bis nach Wien erstreckte. Aus diesem Grund erinnert Rüdiger an Wolfger von Erla, der als Bischof von Passau eine expansive Territorialpolitik führte, allerdings nur im geistlichen Bereich. Seine Bestrebungen wurden von Leopold VI. unterstützt, der sich „um die Errichtung eines Landesbistums in Wien“ bemühte (Meves 1980, S. 247). Der Wiener Herzog, der Passauer Bischof und der literarische Markgraf hatten also gemeinsame Interessen. Es ist vor allem zu bemerken, dass Österreich zum Passauer Bistum gehörte. Wolfgers geistliches Befugnisgebiet umschloss also das weltliche Territorium des Herzogs.
  • Wolfger von Erla war nicht nur Bischof, sondern auch weltlicher Landesherr. Die Stammburg seines Geschlechts lag an der Mündung der kleinen Erla in die Donau, einige Kilometer östlich der Mündung der Enns und der Stadt Enns. Dort war um 1130 ein Benediktinerkloster gegründet worden. An diesem Ort befindet sich heute ein Schloss.

SchlossErla

Schloss Erla in St. Pantaleon-Erla

  • Die Erla, der das Geschlecht, das Kloster, das Schloss und die Gemeinde St. Pantaleon-Erla ihren Namen verdanken, ist ein nur 40 km langer Bach. Wenn man dem rechten Donauufer folgt, erreicht man zunächst Enns und die Mündung des gleichnamigen Nebenflusses, dann kurz danach die Mündung der Erla und den historischen Ort mit dem gleichnamigen Schloss und endlich rund 60 km flussabwärt die Erlauf und die Kleinstadt Pöchlarn, deren Name in letzter Instanz auf diesen kleinen Nebenfluss zurückgeht. Google-Maps: St. Pantaleon-Erla und Pöchlarn. Schematisch sieht es so aus:

ErlaErlauf

  • Als Landesherr hatte Wolfger seine Residenz an einem Ort, der nach einem kleinen Nebenfluss benannt war, und die geographische Lage war in jeder Hinsicht mit derjenigen von Pöchlarn 60 km flussabwärts vergleichbar. Der Name Bechelaren kann also genauso gut auf die Stammburg Erla am „Bächel“ Erla wie auf die aus einem ehemaligen römischen Kastell entstandene Kleinstadt Pöchlarn an der Erlauf verweisen.
  • Nicht nur Bechelaren scheint ein verschlüsselter Hinweis auf die Stammburg Erla zu sein. Auch der Name des Markgrafen erinnert an denjenigen des historischen Bischofs und Landesfürsten Wolfger. Die Endung ist identisch, auch wenn die Urkunden zwischen den Formen Wolfgerus und Wolfkerus schwanken. In einer undatierten Urkunde von der Zeit vor dem Bischofsantritt wird er „Wolfkerus puer de Erla“ genannt (1184/1190). In einer Urkunde von 1192 tritt er noch als „Wolfkerus“ auf, aber zur Zeit des Nibelungenlieds scheint die Form mit weichem Konsonanten zu dominieren. So finden wir „Wolfgerus“ in Urkunden von 14.09.1201 und 17.07.1204. Diese Belege sprechen dafür, dass Wolfger in seiner Amtszeit als Bischof von Passau (1191–1204) die letztere Namensform bevorzugte. In allen Urkunden ist die Etymologie der ersten Silbe erhalten. Wolfger wollte wohl trotz seines geistlichen Berufs gerne als „Wolf“ betrachtet werden. Sowohl die Stadt als auch das Bistum Passau haben heute einen roten Wolf in ihrem Wappen, und dieses Symbol dürfte auf Wolfgers Amtszeit zurückgehen, obwohl es erst nach der Mitte des 13. Jahrhunderts in einem Siegel belegt ist.

Der Passauer Wolf

  • Die dominierende handschriftliche Namensform des Markgrafen ist Rüdeger sowohl im Nibelungenlied als auch in der Klage. In den mittelhochdeutschen Wörterbüchern wird das Wort rüde als ‘großer Hetzhund‘ definiert. Wolfram benutzt es in diesem Sinne. Im Parzival (281,3) lässt ein Jägermeister „vreche rüden“ (‘wilde Jagdhunde’) los. Alles spricht dafür, dass Rüdeger als sprechender Name und als Huldigung an Wolfger von Erla gemeint war.
  • Die Biographie des Markgrafen passt nur zum Teil zu den wenigen Angaben, die wir über das Leben des Bischofs von Passau besitzen. Er war vor seinem Amtstritt verheiratet und bekam einen Sohn. Erst nach dem Tod seiner Frau entschied er sich für eine geistliche Karriere. Rüdeger hat nur eine Tochter und stirbt vor seiner Frau, aber vielleicht soll sein Tod als Wolfgers Verzicht auf weltliche Macht in Niederösterreich nach seiner Beförderung zum Patriarchen von Aquileia gesehen werden. Nach seinem Umzug nach Italien 1204 scheint er sich nicht mehr um seine Stammburg und die dazugehörigen Gebiete gekümmert zu haben. In der abschließenden Szene der Klage zieht Dietrich von Bern in die Ferne und tritt also anscheinend eine Reise über die Alpen an. Vielleicht hat Wolfgers Abreise nach Italien in diesem Schlussbild ihren Niederschlag gefunden. Schon in der großartigen Konfliktszene droht Rüdiger damit, dem König sein lant mit den bürgen zurückzugeben, um stattdessen zu Fuß in daz ellende (‘in die Fremde’) zu gehen (NLB 2154).
  • Ein letztes Element des Nibelungenlieds könnte als verschlüsselter Hinweis auf Wolfger von Erla verstanden werden. Zum Nibelungenhort gehört eine goldene Wünschelrute (rüetelin). Wer sie zu benutzen versteht, kann „“in der ganzen Welt Meister über jeden Menschen werden“ (meister sîn / wol in aller werld über einen ietslichen man) (NLB 1121). Wie bemerkt, wird der Auftraggeber der Klage als des buoches meister tituliert. Die Rute selbst erinnert an einen Bischofsstab, das damit verbundene Machtmotiv an den Investiturstreit (1076–1122). Er hatte nicht nur in Worms angefangen, sondern auch in Worms mit dem Sieg der Kirche geendet. Streitapfel war das Recht auf Investitur mit Ring und Stab (investitura cum baculo et anulo) gewesen. Die Wünschelrute wird meist als blindes Motiv gedeutet, scheint aber einen realen, heftig umkämpften Stab zu symbolisieren. In der Wirklichkeit fand der wichtigste Teil des Streits in Worms statt, genauso wie im Epos. Es kommt vor, dass Bischofsstäbe vergoldet sind und so wie die Wünschelrute des Lieds aussehen.

Bischofstab

Bischofsstab des Heinrich von Finstingen, Erzbischof von Trier (1260–1286)

  • Während Bischof Pilgrim im 13. Jahrhundert sofort aus der Nibelungensage verschwand, fand Rüdiger als Rodingeir von Bakalar Aufnahme in die Thidrekssaga und dadurch auch in die Didrikskrönikan. In der D-Fassung des Rosengartens ist er unter seinem ursprünglichen Namen zu finden. Noch interessanter sind zwei sehr frühe Textzeugnisse, die entgegen der allgemeinen Meinung zur Rezeption des Nibelungenlieds gehören dürften.
  • In einer didaktischen Spruchstrophe erinnerte sich der als Spervogel bekannte Minnesänger an den verstorbenen Wernhart von Steinsberg, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts gelebt hatte, und verglich ihn mit dem Markgrafen von Bechelaren: dô gewan er Rüedegêrs muot, / der saz ze Bechelaere / und pflac der marke manegen tac. / der wart von sîner vrümecheit sô mære. (‘Damals erlangte er dieselbe Gesinnung wie Rüdiger, der zu Bechelaren residierte und lange seine Markgrafschaft betreute. Er wurde für seine Tapferkeit sehr berühmt.’) (MF 26,2) Spervogels Schaffenszeit ist so umstritten, dass man seinen Künstlernamen gewöhnlich auf zwei verschiedene Dichter bezieht. Die Lieder des älteren Spervogel werden um 1180 datiert, diejenigen des jüngeren Namensbruders um 1190. Nach der Rationalen Philologie kann der Minnesänger jedoch nur an die Figur des Nibelungenlieds gedacht haben und muss deshalb diese Strophe nach der Jahrhundertwende geschrieben haben. Sie gehört also höchstwahrscheinlich zu den ältesten Rezeptionszeugnissen des Epos. Es ist bemerkenswert, das Rüdigers Gesinnung (muot) als vorbildlich gelobt wird.
  • Der andere Beleg ist in den Quirinalia des Benediktiners Metellus von Tegernsee zu finden. Sein lateinisches Werk war ein Loblied auf den heiligen Quirinus von Tegernsee, den Patron des Klosters. In einer Ode spricht Metellus von der Verwüstung der Felder des Klosters: Quos orientis habet regio / flumine nobilis Erlafia, / carmine Teutonibus celebri / inclita Rogerii comitis / robore seu Tetrici veteris. (‘Diese Felder gehören zu dem wegen der Erlauf und der außergewöhnlichen Stärke des Grafen Rüdiger und des alten Dietrich im berühmten Lied, den Deutschen wohlbekannten Gebiet des Ostens.’) (30,2) Obwohl die Erlauf im Nibelungenlied keine Erwähnung findet, kann Metellus auch in diesem Fall nur an den Markgrafen des Epos gedacht haben. Er spricht ausdrücklich von einem berühmten deutschen Lied und erwähnt in demselben Zug eine andere wichtige Gestalt des Nibelungenlieds. Biographisch lässt sich Metellus nur schwer erfassen, und die gewöhnliche Datierung seines Werks um 1160 stützt sich hauptsächlich auf zwei unsichere Argumente. Die älteste Handschrift wurde ursprünglich ganz vage ins 12. Jahrhunderts datiert (Wattenbach 1851, S. 635). Diese Datierung wurde später auf die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts eingeengt (Jacobsen 1965, S. 141), aber eine Überprüfung steht in dieser Hinsicht noch aus. Es ist sowieso zweifelhaft, ob es auf kodikologischer Grundlage entschieden werden kann, ob die Handschrift vor oder nach 1200 entstanden ist. Das zweite Datierungskriterium ist eine Stelle (Ode III,11ff), wo Metellus zur nächsten Tausendjahrfeier der Stadt Rom erklärt, sie finde in „dreimal zwölfmal fünf Jahren“ (lustra […] ter duodena) statt. Mit Ausgangspunkt in Roms Gründungsjahr 753 v. Chr. kommt man bei dieser Angabe auf das Jahr 1080 (= 2000 – 753 – 3 x 12 x 5). So früh kann der Benediktiner auf keinen Fall sein Werk gedichtet haben. Mit äußerst spekulativen Erklärungsmodellen hat man versucht, diesen Fehler zu verstehen. Die Konjekturen führen alle zum Ergebnis, dass Metellus sein Werk in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts verfasste, denn alle Korrekturvorschläge ergeben ein Datum zwischen 1150 und 1170 (Jacobsen 1965, S. 21–25). Sie bringen mit anderen Worten das errechnete Entstehungsjahr in Übereinstimmung mit der unsicheren Datierung der ältesten Handschrift. Offenbar kann noch niemand erwogen, ob Metellus sich auf das vorliegende Nibelungenlied bezieht. Der Benediktiner zählt sogar zu den Kronzeugen für die oft postulierte Urfassung der Sage. In seinem berühmten, 1921 erstmals erschienene Buch Nibelungensage und Nibelungenlied nannte Andreas Heusler die jüngste Urfassung der Sage „die ältere Nibelungenot“, stellte sie sich als österreichisches Burgundenepos vor und datierte sie in die „1160er Jahre“ (Heusler 1965, S. 49). Damit konnte Metellus bei der herkömmlichen Datierung der Quirinalien den verlorenen Nibelungentext gerade noch gekannt haben. Die Rationale Philologie löst solche textgenealogischen Probleme mit Spätdatierungen und kommt ohne postulierte Urfassungen aus.
  • Einen ähnlichen Fall stellt der höchstwahrscheinlich elsässische Reinhart Fuchs dar. Hier schwören Mönche, kein Wort über einen Streich des Fuchses zu sagen, nicht einmal „vmbe der nybelunge hort“ (V. 662). Das Tierepos gilt heute noch ein Gedicht aus dem 12. Jahrhundert und wurde einmal laut dem Untertitel „aus der Sprache des 12. Jahrhunderts“ übersetzt (Baesecke 1926). Die Kasseler Bruchstücke stammten nach früherer Meinung „aus dem schlusse des zwölften oder beginn des dreizehnten jh.“ (Grimm 1840). Nach erneuter Untersuchung der Fragmente hat sich die Spätdatierung durchgesetzt (Schneider 1987). Deshalb entbehrt die Hypothese, das elsässische Gedicht sei vor dem Nibelungenlied entstanden, heute jeder kodikologischen Grundlage.
  • Wie bemerkt, ist die Skepsis der Forschungswelt in Bezug auf die Identifikation des Schreibers Meister Konrad mit dem Dichter des Nibelungenlieds sehr stark geblieben. Das liegt schon daran, dass man das Nibelungenlied und die Klage für zwei verschiedene Werke zwei verschiedener Autoren hielt. Nach allgemeiner Meinung war das Epos eher weltlich geprägt, ja sogar von einem heidnischen Hauch durchweht. Das Rachemotiv, das der gesamten Handlung zugrunde liegt, fand man unchristlich. Die Klage hielt man gewöhnlich für den kommentierenden Epilog eines eher geistlichen Verfassers aus dem frühen 13. Jahrhundert. Heute wird diese Hypothese ernsthaft bezweifelt. Wegen der gemeinsamen Überlieferung und der gemeinsamen Ausbildung der verschiedenen Fassungen „ist damit zu rechnen, daß die Verbindung von Nibelungenlied und Klage ursprünglich ist, daß von vornherein ein Nibelungen-Buch als Werkkomplex aus strophischem Epos und paargereimtem Assistenztext geplant war.“ (Heinzle 2013, S. 1001f)
  • Als Meve 1980 die „Konrad-Diskussion“ wieder aufnahm, konnte er nur drei Autoren ausfindig machen, die Meister Konrad als Dichter verstanden hatten. Jakob Bodmer, der erste Herausgeber der Klage und des Schlusses des Epos, hielt Konrad ohne Zögern, aber auch ohne Erklärung für den Autor der beiden Texte (Bodmer 1757, S. ix). Später schränkte Eduard Sievers diese Autorschaft auf die Klage ein und stützte sich dabei auf fragwürdige linguistische Argumente (Sievers 1932, S. 79f). In den beiden besprochenen Schriften von 1950 und 1954 dehnte Dietrich Kralik die Hypothese wieder auf beide Texte aus, allerdings ohne entscheidende Argumente in die Debatte zu bringen.
  • 1987 legte ein Laie eine neue Hypothese vor. Walther Hansen, der als freier Schriftsteller zahlreiche kulturhistorische Bücher herausgegeben hat, machte sich laut dem Titel seines Buchs auf Die Spur des Sängers und stellte fest, dass der Dichter des Nibelungenlieds sich zwischen Passau und Wien erstaunlich gut auskennt. Deshalb hielt Hansen den berühmtesten geographischen Fehler des Epos für beabsichtigt und sprach von einer „gezinkten Karte“ der Donaulandschaft.
  • Auf ihrem Weg ins Hunnenland reist Kriemhild mit Rüdiger am rechten Donauufer entlang und kommt zu nicht weniger als elf Städten: Pförring (NLB 1288), Passau (NLB 1293, 1295), Eferding (NLB 1299), Bechelaren alias Erla auf der Ebene an der Enns (NLB 1301, 1315, 1324), Melk (NLB 1325), Mautern (NLB 1326), Zeiselmauer alias Traismauer (NLB 1329, 1333), Tulln (NLB 1338, 1358), Wien (NLB 1358, 1372), Hainburg (NLB 1373) und Wieselburg/Mosonmagyaróvár (NLB 1374). Erst die Endstation Etzelburg (NLB 1376), lässt sich nicht genau lokalisieren. Alles entspräche der realen Geographie bis auf eine Etappe. Da Zeiselmauer zwischen Tulln und Wien liegt, geht die Forschung wegen der großen Namensgleichheit von einer einfachen Verwechselung aus und hält den falschen Stadtnamen für einen Schreibfehler für ‘Traismauer’. Diese Korrektur wird von den beiden Strophen vor der ersten Erwähnung der Stadt unterstützt. Hier wird zweimal mit Nachdruck unterstrichen, dass die Reisegesellschaft die Traisen (Treisem) erreicht (NLB 1328f). Traismauer liegt an der Mündung der Traisen in die Donau und verdankt seinen Namen diesem kleinen Nebenfluss. Im letzten Vers vor dem Fehler ist von „einer mächtigen und weitberühmten Burg“ (eine burc vil rîche diu was vil wol bekant) (NLB 1329,2) an der Traisen die Rede. Damit ist ganz eindeutig die damalige Burg Traismauer gemeint. Sie war auf den Ruinen eines römischen Kastells erwachsen. Deshalb erstaunt es umso mehr, dass diese Burg im folgenden Vers Zeyzenmure genannt wird (NLB 1329,3). Der falsche Name wird bei der Abreise wiederholt (NLB 1332: Zeizenmvre). Handschrift C hat an beiden Stellen die richtige Angabe (NLC 1359 = 1363: Treysenmvore). Der Redaktor dieser Fassung war also auf den Irrtum aufmerksam und korrigierte.
  • Hansen staunte auch darüber, dass Kriemhild ganze vier Tage in dieser Burg bleibt. Bei ihrem Onkel in Passau hat sie es eilig und übernachtet erst in Bechelaren. Nur in der Burg an der Traisen gewährt sich die Reisegesellschaft eine längere Ruhepause. Nachdem Hansen eingesehen hatte, dass dem „im Donauland so bewanderten […] Nibelungendichter […] ein solcher Fehler gar nicht unterlaufen“ konnte, fragte er sich, warum dieser Mann „Zeiselmauer in die Strophe geschmuggelt“ hatte (Hansen 1987, S. 224). Den Fehler verstand er „als augenzwinkernde Aufforderung des Dichters […]: Paßt auf, jetzt kommt ein ganz besonderer Ort Traismauer, wo ich zu Hause bin […]. Doch sicherlich wohnte der Nibelungendichter nicht in dem Kastellgeviert von Traismauer, sondern auf einer Burg im ländlichen Umkreis.“ (Hansen 1987, S. 227) So kam der freie Schriftstelle auf die Spur von Konrad von Fußesbrunnen, dem Autor der Kindheit Jesu. Dieser Dichter scheint seine freie Bearbeitung des Evangeliums um 1200 oder kurz vorher verfasst zu haben. Diese Datierung passt gut zum Nibelungenlied. Durch dieses geistliche Frühwerk kann Konrad von Fußesbrunnen die Aufmerksamkeit des Bischofs von Passau auf sich gelenkt zu haben. Seinen Namen verrät er unverhohlen am Ende seiner Dichtung und nennt sich hier: von Fuozesbrunnen Chuonrât (V. 3019) (vgl. Ed. Feifalik 1857). Dafür kommen zwei Mitglieder des niederösterreichischen Geschlechts von Fußesbrunnen in Frage. Sie sind beide mit demselben Namen bezeugt: „Der jüngere Konrad, der mit größerer Wahrscheinlichkeit für die Verfasserschaft der K[indheit] J[esu] in Anspruch genommen wird, ist der Neffe des älteren.“ (Fromm/Grubmüller 1973, S. 1) Die Stammburg des Geschlechts lag am linken Donauufer direkt gegenüber Traismauer. Der Ort wurde 1149 erstmals als Vuzzesprunnen erwähnt und entspricht dem heutigen Weindorf Feuersbrunn. Aus der Vogelschau liegt diese Ortschaft weniger als 10 km von Traismauer entfernt. Über Konrad von Fußesbrunnen gibt es nur eine einzige mittelalterliche Aussage. Im Literaturexkurs des um 1235 verfassten Wilhelm von Orlens lobt Rudolf von Ems seine Vorgänger, unter anderem den von Vuozesbrunnen (V. 2215). Rudolf gibt weder Werktitel noch Vornamen an. Da der Autor in seiner Dichterschau nur Epiker nennt, vermutet Hansen, dass diese Stelle nicht auf die eher unbekannte Kindheit Jesu zielt, sondern auf das große Epos von den Nibelungen.
  • Mit seinem anspruchslosen Buch erweckte Hansen ein gewisses Aufsehen, wurde aber nicht von den Gelehrten ernstgenommen. Man fand sein Buch „anregend, aber ohne wissenschaftlichen Gewinn“ (Ehrismann 2002, S. 60). Unterstützung fand der freie Schriftsteller erst in jüngerer Zeit, als Peter Andersen zwei neue Argumente in die Debatte einführte. Einerseits schrieb Letzterer dem Dichter des Nibelungenlieds eine „religiöse Botschaft“ zu und rückte damit das Epos in die Nähe der Kindheit Jesu. Andererseits erinnerte er an die Reiserechnung, die Walther von der Vogelweide zur Zeit des Nibelungenlieds in Zeiselmauer bezeugt: „Der Dichter des Nibelungenlieds beansprucht deshalb durch den falschen Stadtnamen, dass Traismauer ebenfalls eine Dichterstadt ist, ein zweites Zeiselmauer.“ (Andersen 2009, S. 133f)
  • Dass der Fehler wirklich mit Absicht begangen wurde, wird durch die Klage bestätigt. Auf dem Weg nach Bechelaren macht Swemmelin nur Halt in Traismauer. Keiner der vielen anderen Kleinorte zwischen Passau und Etzelburg findet während dieser Reise Erwähnung. Nach seiner Reiserechnung zu urteilen, reiste Wolfger nach der Wiener Hochzeit direkt nach Passau, ohne seinen mutmaßlichen Dichter in Traismauer zu besuchen. Für diese Stadt hatte er sich jedoch zwölf Jahre eingesetzt, und zwar in einem Brief an den Papst. Ende 1191, also kurz nach seinem Amtsantritt als Bischof von Passau, bat er Coelestin III. um Unterstützung in einem Streit um Pfarrrechte in Traismauer. Im Brief sprach er von der „Pfarrei genannt Traisemburg“ (parrochiam que dicitur Traisimpurch), von einer „Kapelle genannt Traisemmauer“ (capellam que dicitur Traisimmure) und von der „Stadt Traisem“ (Traismam ciuitatem). Er muss also den Ort besonders gut gekannt haben und beging auf jeden Fall keinen geographischen Fehler in seinem Brief an den Papst (Bielsky 1853).
  • Es ist vorstellbar, dass Wolfger von Erla bei dieser Gelegenheit mit Konrad von Fußesbrunnen Bekanntschaft machte und ihn etwa zu diesem Zeitpunkt in die Passauer Kanzlei aufnahm. Von archivalischer Seite ist zur Bestätigung dieser Hypothese nur wenig Neues zu erwarten. Das Nibelungenlied bleibt nach wie vor ein geheimnisvolles Gedicht und gleichzeitig unser Kronzeuge bei der Suche nach Auftraggeber und Dichter.
  • Es sieht so aus, als hätte der Dichter seinem Auftraggeber durch zwei verschiedene Figuren gehuldigt, den vordergründigen Markgrafen Rüdiger und den eher schattenhaften Bischof Pilgrim. War der Dichter wirklich so bescheiden, dass er sich selbst nur im Epilog der Klage beiläufig als Schreiber einer fiktiven lateinischen Vorlage inszenierte? Eine aufschlussreiche Vergleichsgrundlage liefert die Hvenische Chronik. Dieses dänische Märchen wurde nachweisbar von Jon Jakobsen Venusin in der Muttersprache des Dichters verfasst, denn das dänische Original ist in dem Stockholmer Exemplar erhalten und trägt eine verschlüsselte Unterzeichnung, die der Dichter auch in einer anderen Handschrift benutzte (Andersen 2009, S. 258). Nichtsdestotrotz gibt er seinen Text für die Übersetzung einer lateinischen Vorlage aus und erklärt unter der Maske des fiktiven anonymen Dolmetschers, die Urfassung sei in „M[agister] jon Jacobsens handt“ (HC 28) geschrieben worden. In der Klage scheint Meister Konrad genau denselben Trick benutzt zu haben, um der Nachwelt seinen akademischen Titel und seinen Taufnamen mitzuteilen. Die Hvenische Chronik ist eine Schlüsselerzählung über die Gegenwart des Dichters, und er spielte damals eine entscheidende Rolle. Vieles spricht dafür, dass Huenild als Selbstporträt gemeint war. In der Erzählung tritt diese Heldin erst spät auf die Bühne, aber gewinnt im Laufe der Handlung an Konsistenz. Zum Schluss erreicht sie einen Status als Hauptfigur. Kann der Dichter des Nibelungenlieds nicht ein ähnliches Selbstporträt entworfen haben? In Frage kommt nur der Spielmann Swemmelin. Er tritt zum ersten Mal aus den Kulissen bei der Wiener Hochzeit. Hier unterhält er die Hofgesellschaft zusammen mit seinem Kollegen Wärbel. Dafür wird er von Etzel reich belohnt, vielleicht eine Aufforderung an Wolfger, dieselbe Großzügigkeit gegen ihn wie gegen Walther von der Vogelweide auszuüben (NLB 1332). Zehn Jahre später wird Swemmelin in Etzelburg mit der Festeinladung nach Worms geschickt und tritt hier als Bote in die Fußstapfen des Markgrafen. Bei seiner Rückkehr von Worms bekommt er wieder eine reiche Belohnung (NLB 1495). In der Klage bleibt er zunächst hinter der Kulisse und kehrt erst im zweiten Teil des Texts auf die Bühne zurück, wieder als Bote. Diesmal hören wir kein Wort von Wärbel. Swemmelin wird als Bote von zwölf von Rüdigers Männern begleitet und tritt zum zweiten Mal denselben Reiseweg an. Wie Huenild bleibt er von nun an bis zum Ende der Handlung im Rampenlicht und rückt zu einer Hauptfigur auf. Die Begegnung mit Bischof Pilgrim bildet einen Höhepunkt, denn hier schwört der Spielmann später zurückzukehren, um von allen Ereignissen Bericht zu erstatten. Diesen Befehl führt er auf erzählerischer Ebene in Worms aus, wo er vor der Hofgesellschaft die ganze Geschichte seit der Abreise der Burgunden zusammenfasst (KB 3777 –3947). Erst als Dietrich und Herrad in der allerletzten Szene nach Bechelaren reisen, verschwindet Swemmelin wieder aus der Erzählung. Vielleicht deutet der Dichter an, dass Swemmelin Etzelburg zusammen mit Dietrich und Herrad verlässt und dass er nach dem Fall des Vorhangs in Bechelaren bleibt, um Bischof Pilgrim einerseits als Fiedler mündlichen Bericht zu erstatten, andererseits als Schreiber die Erzählung in Buchform zu bringen.
  • Wenn Meister Konrad sich durch diese Gestalt verkörperte, ist ‘Swemmelin’ wie Huenild als sprechender Name zu verstehen. Als Künstler benutzte Jakobsen den lateinischen Beinamen Venusinus, den wir teilweise in der schönen Huenild erkennen. Der Name des Fiedlers ist eine Deminutivform zu ‘swam‘ und bedeutet soviel wie ‘kleiner Pilz‘. Im eigentlichen Sinne ist dieses Wort zwei Jahrhunderte später bei Oswald von Wolkenstein (77,2,12) belegt. Der Beiname Venusinus geht auf den antiken Dichter Horaz von Venusia zurück. Er benutzte ihn in einer Satire (II I,35), in welcher er seine Feder mit einem Schwert gleichsetzte. Der Nibelungendichter war sich wohl in ähnlicher Weise der Macht seiner Feder bewusst. Eine Feder ist genauso gefährlich wie ein tödlich giftiger Pilz, denn: „Wer sie zu benutzen versteht, kann in der ganzen Welt Meister über jeden Menschen werden.“

Interpretation

  • Der Dichter inszenierte anscheinend nicht nur sich selbst und seinen Auftraggeber durch verschlüsselte Figuren, sondern auch seine eminentesten Zeitgenossen im Heiligen Römischen Reich. Obwohl die Wormser Königsfamilie eine gewisse Gemeinsamkeit mit dem Geschlecht der Hohenstaufen aufweist, ist das Nibelungenlied im Gegensatz zur Hvenischen Chronik keine Schlüsselerzählung. Die Ähnlichkeit beschränkt sich hauptsächlich auf den Kaiser und seine Frau.
  • Seit seiner Krönung zum König von Burgund am 30. Juli 1178 in Arles konnte sich Kaiser Friedrich I. Barbarossa als Nachfolger des rheinländischen Gundicharius (oder Gundaharius) betrachten. Wie sein Vorgänger, der 435 mit einem Teil seines Volks von den hunnischen Hilfstruppen der Römer am Rhein getötet worden war, kämpfte Barbarossa gegen Rom. Nach der Übersiedlung der Überlebenden in den Süden war im frühen Mittelalter ein neues Königreich Burgund mit einer wechselhaften Geschichte entstanden. Einige Reichsteile fielen später an den Westen, andere ans Heilige Römische Reich. Diese Teilungen scheinen im Waltharius ihren Niederschlag gefunden zu haben. In diesem Gedicht stand der historische Burgundenfürst Pate für Guntharius, aber der König von Worms wurde als Franke bezeichnet, denn ein großer Teil von Burgund war damals an den westfränkischen König Karl den Kahlen gefallen. Hier wurde es zum Herzogtum, der heutigen Bourgogne. In den heutigen französischen Regionen Rhône-Alpes und Provence-Alpes-Côte d’Azur entstand unabhängig davon Niederburgund, in der Region Franche-Comté und Teilen der heutigen Schweiz Hochburgund. Die beiden Teile wuchsen im 10. Jahrhundert zusammen und wurden zu einem vereinten Königreich, das nach der bedeutendsten Stadt Arles das Arelat genannt wurde. 1033 fiel es im Erbgang an den fränkischen Kaiser Konrad II., aber behielt eine formelle Selbstständigkeit. In Hochburgund lag eine Grafschaft, die später auf Deutsch als die Freigrafschaft Burgund und auf Französisch als die Franche-Comté bekannt wurde. 1148 starb der letzte männliche Vertreter des Grafengeschlechts Rainald III. und überließ sein Gebiet einer minderjährigen Tochter, Beatrix von Burgund. Sie heirate am 17. Juni 1156 den deutschrömischen Kaiser Barbarossa und brachte ihre Grafschaft in die Ehe mit. Dort herrschte sie formell selbst, bis ihr Mann sich in Arles zum König krönen ließ.

Burgund zur Zeit des Nibelungenlieds

  • Beatrix bekam acht Söhne und drei Töchter. Bei ihrem Tod am 15. November 1184 waren nur noch fünf Söhne am Leben. Die beiden ältesten, Heinrich, der spätere Kaiser, und Friedrich, Herzog von Schwaben, hatten am 20. Mai desselben Jahres beim großartigen Mainzer Hoffest den Ritterschlag erhalten. Barbarossa beteiligte sich mit Friedrich am Dritten Kreuzzug und ertrank am 10. Juni 1190 im Fluss Göksu/Saleph im Süden der heutigen Türkei. Sein Sohn Friedrich übernahm die Führung des Kreuzheers und starb dann selbst am 20. Januar 1191 an Malaria vor Akkon im heutigen Israel. Nach seinem Tod kam das Herzogtum Schwaben an Barbarossas fünften Sohn Konrad. Nachdem er am 15. August 1196 einem Mordanschlag unterlegen hatte, waren nur noch drei Königssöhne am Leben wie im Nibelungenlied. Diese Situation dauerte jedoch nur 13 Monate bis zum Tod Heinrichs VI. am 28. September 1197 in Messina. Die Staufer unterscheiden sich vor allem von der Wormser Königsfamilie durch den frühzeitigen Tod der Kaiserin Beatrix und der drei Töchter. In der Fiktion stirbt Ute erst am Ende der Klage, mehr als 37 Jahre nach ihrem Mann Dankrad. Vor allem starben die drei Töchter viel zu früh, als dass eine von ihnen als Vorbild für die Kriemhildfigur hätte dienen können. Trotzdem scheint der Nibelungendichter durch sein Epos auf die damalige Kaiserfamilie anzuspielen.
  • Bei der Darstellung seiner Zeitgenossen holt der Autor symbolische Namen aus der fernen und nahen Vergangenheit und bringt so auf den ersten Blick Personen aus verschiedenen Jahrhunderten in bunter Besetzung zusammen. Wolfger von Erla ist auf diese Weise durch einen historischen Bischof aus dem ausgehenden 10. Jahrhundert vertreten.
  • Die weibliche Gestalt, die an Beatrix erinnert, bekommt den Namen Ute (Uote). Eine bekannte Namensschwester ist Uta von Ballenstedt. Die Biographie dieser 1046 gestorbenen sächsischen Grafentochter weist allerdings keine Ähnlichkeit mit der literarischen Figur auf. Als Vorbild für Ute kommt genauso wenig die um 726 gestorbene Oda von Brabant in Frage, obwohl diese Heilige wie die Königin von Worms ein Kloster gegründet haben soll. Das Kloster, das heute Rolduc heißt, liegt in Limburg an der deutsch-niederländischen Grenze und hat nichts gemeinsam mit dem berühmten Reichskloster im südhessischen Lorsch, wo Ute begraben wird. Überzeugender ist die von Eduard Schröder (1920, S. 127–130) vorgeschlagene Identifikation der Gestalt mit der sächsischen Gräfin Oda. Sie war Stammmutter der Liudolfinger, einem Kaisergeschlecht, und stiftete das Kloster Gandersheim zusammen mit ihrem Mann Liudolf. Sie starb 913, angeblich in einem Alter von 107 Jahren. Von ihrer Herkunft ist bekannt, dass sie einem fränkischen Geschlecht entstammte und dass ihr Vater Billung hieß. Dieser Name erinnert schwach an Nibelung. Ist Ute eine literarische Verklärung der historischen Kaiserin Beatrix, so bedeutet ihr Name soviel wie ‘fromme Stammmutter eines Kaisergeschlechts’.
  • Der Name von Utes verstorbenem Ehemann Dankrad ist als Verdeutschung eines normannischen Tankred gedeutet worden, allerdings ohne Bezug auf die Gegenwart des Nibelungendichters. Mehrere Normannen trugen diesen Namen. Der erste war Tankred von Hauteville (zu dieser Identifikation, vgl. Andersen 2009, S. 137). Er ist der einzige der in Frage kommenden Normannen, der in der Normandie wohnte. Seine Söhne eroberten im 11. Jahrhundert Sizilien und begründeten dort eine normannische Dynastie, die 1186 durch die Heirat zwischen Konstanze von Sizilien und Barbarossas Sohn Heinrich, dem künftigen Kaiser, mit den Hohenstaufen verbunden wurde. Konstanze war die Urenkelin Tankreds von Hauteville. Dieser normannische Stammvater hat allerdings keine auffallende Gemeinsamkeit mit Barbarossa, dem er seinen Namen geliehen haben muss, wenn die Wormser Königsfamilie die damaligen Hohenstaufen verkörpert. Es erscheint wahrscheinlicher, dass Barbarossas literarischer Doppelgänger nach einem fernen Cousin der Konstanze, Tankred von Tarent, benannt ist. Dieser Tankred war der Urenkel des Stammvaters von Hauteville in der Normandie. Zusammen mit seinem Onkel, Bohemund von Tarent, nahm Tankred von Tarent am Ersten Kreuzzug teil und eroberte dabei Jerusalem. Für seinen glorreichen Sieg ging er als ‘Tarent der Kreuzfahrer’ in die Geschichte ein. Es ist vermutet worden, dass dieser Tankred als Vorbild für Dankrad und sein Onkel für Rüdigers Pferd Boymunt (KB 2855) dienten (Vogt 1913, S. 160; Droege 1921, S. 16; zusammenfassend dazu, vgl. Bumke 1996, S. 528). Vielleicht nannte Wolfger von Passau wirklich sein Pferd nach dem berühmten Kreuzritter. Wenn Barbarossa im Nibelungenlied als der verstorbene Dankrad erscheint, dürfte dieser Name als ‘ruhmvoller Kreuzritter’ zu verstehen sein.
  • In seiner Regierungszeit (1190–1197) setzte Heinrich VI. die Italienpolitik seines Vaters fort. Hauptziel war die Eroberung des Königreichs seiner sizilischen Frau. Nach einem ersten gescheiterten Feldzug 1191 gelang es dem Kaiser beim zweiten Versuch, Süditalien und Sizilien zu erobern. Er zog am 20. November 1194 in Palermo ein und wurde dort zu Weihnachten zum König von Sizilien gekrönt. Am folgenden Tag, den 26. Dezember, brachte Konstanze in Jesi bei Ancona ihr einziges Kind zur Welt, den späteren Kaiser Friedrich II. Die Ehe war acht Jahre lang kinderlos geblieben, und das führte unweigerlich zu Zweifeln bezüglich der Vaterschaft. Es wurde geflüstert, der Neugeborene sei ein Metzgersohn. Bei der Eroberung Siziliens erbeutete Heinrich VI. den sagenhaften Normannenschatz und führte ihn auf 150 Mauleseln auf die staufische Reichsburg Trifels in der Pfalz. Dieser Hortraub erinnert an denjenigen im Epos, zumal der Umfang vergleichbar ist. Um den Nibelungenhort von Alberichs Berg zu den Schiffen zu befördern, fahren zwölf Rüstwagen vier Tage lang täglich dreimal die Strecke hinunter. Es gibt also insgesamt 144 Ladungen (NLB 1119). Diese Zahl erinnert auch an das Himmlische Jerusalem, das aus lauterem Gold besteht und dessen Mauer genau 144 Ellen misst (Offb 21,17f).

Der Normannenschatz auf Burg Trifels als Vorbild für den Nibelungenhort?

  • Im Nibelungenlied erscheint Gunther als schwacher Herrscher, der nicht einmal mit seiner widerspenstigen Ehefrau zurechtkommt. Dieses Motiv scheint das Gerücht des antistaufischen Lagers widerzuspiegeln, das Heinrich VI. als Hahnrei verspottete. Bei der Mordberatung fragt Hagen, ob der Wormser Hof „Kuckucke“ (gouche) aufziehen soll (NLB 864). Dieses Wort wird heute meist nur ‘Narr’ verstanden. Die Wörterbücher geben allerdings ‘Bastard‘ als Nebenbedeutung an und verweisen speziell auf diese Stelle im Nibelungenlied. Hagen ist also der Meinung, dass Siegfried ermordet werden soll, damit er seinen Schwager Gunther nicht zum Hahnrei macht und damit er keine Bastarde mit Brünhild zeugt. Im Epos behält der König von Worms seinen literarisch gebürgten Namen, indem er nach seinem Doppelgänger Guntharius aus dem Waltharius Gunther genannt wird. Er herrscht als König im Burgundenland, wird aber nicht als König von Burgund bezeichnet. Heinrich trug nie diesen Titel, der nach Barbarossas Tod nicht mehr benutzt wurde. Kurz vor dem Anfang der verhängnisvollen Kreuzfahrt hatte Kaiser Friedrich I. seinem vierten Sohn Otto die Freigrafschaft Burgund übertragen, aber dieser konnte sich nicht durchsetzen und starb 1200 im Alter von 29 Jahren in Besançon. Nach seinem Tod war nur noch einer der elf Geschwister am Leben, der jüngste Sohn Philipp. Er beanspruchte die Nachfolge seines Bruders Heinrich, musste aber mit dem Gegenkönig Otto von Braunschweig kämpfen. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts herrschte im Heiligen Römischen Reich und besonders im staufischen Lager eine Untergangsstimmung, die in vieler Hinsicht mit dem Burgundenuntergang des Epos vergleichbar war.
  • Wenn die Ähnlichkeiten zwischen Dankrad, Ute und Gunther und den damaligen Vertretern der Kaiserfamilie relativ schwach sind, verhält es sich ganz anders mit Brünhild. Der Dichter hat bei ihrem Porträt dafür gesorgt, dass der aufmerksame Leser in dieser Figur Konstanze von Sizilien erkennt. Wie die sizilische Königin herrscht Brünhild allein über ihre Insel. Island hat darüber hinaus drei auffällige geographische Gemeinsamkeiten mit Sizilien. Die beiden Länder sind verhältnismäßig große Inseln, haben eine Vulkanaktivität und liegen aus der Vogelschau ungefähr in derselben Entfernung von Worms. Im Epos erreichen Siegfried, Gunther, Hagen und Dankwart Island nach zwölf Tagen mit dem Schiff (NLB 380). Das ist eine plausible Dauer für eine Seereise von Worms nach Island (ca. 2500 km), aber bei gutem Wind auch von Worms nach Sizilien durch die Straße von Gibraltar (ca. 4200 km). Von Brünhilds Land aus erreicht Siegfried mit dem Schiff allein das Land der Nibelungen. Diese Seereise dauert einen Tag und eine Nacht (NLB 482). Bei der Einladung zum Fest in Worms erfahren wir später, dass die Nibelungenburg in der Mark Norwegen liegt (NLB 736). Es ist selbst bei sehr günstigem Wind nicht möglich, von Island aus das norwegische Festland so schnell zu erreichen (ca. 1400 km). Die Kenntnisse des durchschnittlichen Österreichers über den Nordatlantik waren zwar im Mittelalter begrenzt, aber der Nibelungendichter scheint sich in den geographischen Verhältnissen sehr gut ausgekannt zu haben, nicht nur in der Gegend zwischen Passau und Wien. Die burgundischen Boten, die mit der Einladung nach Norwegen kommen, reisen ausdrücklich zu Pferd und brauchen drei Wochen, um ihr Ziel zu erreichen. Da die skandinavische Halbinsel seit der Antike allgemein als Insel betrachtet wurde, liegt hier auf den ersten Blick ein gravierender geographischer Fehler vor. Es ist sowieso „merkwürdig […], dass das Nibelungenland in Norwegen liegt.“ (Schulze 2010, S. 760) Dieses Paradox kann nur erklärt werden, wenn Island mit Sizilien gleichgesetzt und die Nibelungenburg woanders als in Norwegen verortet wird. Es gilt einen Ort zu finden, der von Worms aus in drei Wochen zu Pferd und von Palermo aus in 36 Stunden mit dem Schiff erreicht werden kann. Mit diesem extrem genauen Koordinatensystem gibt es nur eine Lösung. Die Nibelungenburg liegt in Rom.
  • Ein anderer und noch eindeutiger Hinweis auf Konstanze als die verschlüsselte Geographie des Epos ist die mit der Figur der isländischen Königin verbundene Zahlensymbolik. Bei der Ankunft der vier Werber in Island sitzt Brünhild in einem Palast mit 86 Türmen (NLB 402). Bei ihrer Abreise lässt sie sich von 86 Frauen (wîp) begleiten (NLB 522) und wird in Worms von 86 Damen mit Kopfputz (vrouwen … die gebende truogen) und 54 jungen Mädchen (meit) (NLB 569f) empfangen. Die Türme des Palasts müssen die Jungfräulichkeit der Königin verkörpern. Die umworbene Frau im Turm ist ein Topos des Minnesangs. Nach ihrer Niederlage bei den Freierproben ergibt sich Brünhild und gewinnt dadurch einen neuen sozialen Status. Die Begleiterinnen symbolisieren ihren Eintritt in den Ehestand. Das äußere Kennzeichen der verheirateten Frau war ihre Haube. In Worms gewinnt Brünhild an Bedeutung und rückt zur Fürstin auf. Die Zahl 86 ist also eng mit dieser Figur verbunden und kann wohl nur auf das Jahr der Hochzeit zwischen den damaligen Thronanwärtern Konstanze und Heinrich verweisen. Sie wurden 1184 miteinander verlobt und heirateten am 27. Januar 1186 in Mailand. Auf dieses Jahr dürfte sich die dreimal in Verbindung mit Brünhild wiederholte Zahl beziehen. Vielleicht symbolisieren die 54 Mädchen ihr Geburtsjahr 1154.
  • Als Bezeichnung für die Kaiserin Konstanze entnahm der Dichter einen Namen aus der frühen fränkischen Geschichte. Brunichild war westgotischer Herkunft, heiratete einen Frankenkönig, übernahm die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn und übte bis zu ihrem Tod 613 einen großen Einfluss auf die Politik aus, besonders in Burgund. Nach der Fredegar-Chronik (IV,42) war sie für die Ermordung von zehn Frankenkönigen verantwortlich. Dieser Chronik kann der Dichter des Epos auch den Namen Nibelung entlehnt haben. Der Graf Nibelung I. († um 780) ließ nämlich eine Fortsetzung der Fredegar-Chronik schreiben und wird hier zum Schluss erwähnt (Continuationes 34). Wie Brunichild hatte Konstanze in letzter Instanz eine skandinavische Wurzeln und wurde offenbar vom Nibelungendichter als die unmittelbare Ursache der zeitgenössischen politischen Katastrophen betrachtet. Im Nibelungenlied steht der Name Brünhild für ‘unheilvolle Frau aus fremder Herkunft’. Zur Identifikation von Brünhild mit Konstanze, vgl. Andersen 2009, S. 139–146.
  • Das Wenige, was wir über Gunthers und Brünhilds Sohn Siegfried erfahren, passt gut zum einzigen Nachkommen Heinrichs VI. Wie bemerkt, kam Friedrich II. erst nach acht Jahren kinderloser Ehe zur Welt. Nach der Doppelhochzeit in Worms dauert es zehn Jahre, bis Kriemhild in Xanten ein Kind gebiert (NLB 712). Ungefähr gleichzeitig (nu) wird in Worms der kleine Siegfried geboren (NLB 715). Erst am Ende der Klage ist wieder von diesem Kind die Rede. Es wird hier gekrönt (NLB 3757f, 4007, 4012, 4095–4097). Auch Friedrich II. wurde als Kind gekrönt. Zu Weihnachten 1196 wurde er in Frankfurt zum deutsch-römischen König gewählt, am 17. Mai 1198 erfolgte seine Krönung zum König von Sizilien im Dom von Palermo. Die Krönung des kleinen Kindes in der Klage dürfte jedoch keinem dieser beiden Ereignisse widerspiegeln, sondern eher auf die Zukunft verweisen. Die Schlussszene sollte dem deutschen Publikum daran erinnern, dass Heinrichs kleiner Sohn eine Hoffnung auf Wiederherstellung des Friedens darstellte. Der kleine Siegfried hat eine entscheidende Silbe mit dem historischen Königssohn gemeinsam, und sie bedeutet eben ‘Frieden’.
  • Im Epos wird Brünhilds Sohn nach seinem Onkel in Xanten genannt. Der Drachentöter mit der Hornhaut hat keine Entsprechung in der Wirklichkeit. Die erste Silbe seines Namens scheint er dem Heiligen Viktor, Schutzpatron von Xanten, zu verdanken. Sein Schwert ist etymologisch mit ihm verbunden, wenn es nicht Balmung, sondern Palmung geschrieben wird. Diese Schreibung ist in mehreren Handschriften belegt. In seiner Hand trägt der Held also im übertragenen Sinne eine Siegespalme. Im Epos wird das Schwert als Instrument der Rache zum Töten benutzt, besonders in der Schlussszene. Diese Funktion erinnert an Jesu Aussage zu seiner Mission auf Erden: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden, sondern das Schwert“ (Mt 10,34). Siegfried rückt auch durch seinen Tod in Christi Nähe, denn er wird durch ein Kreuz durchbohrt (NLB 978). Es ist ein fast unsichtbares Kreuz, und es wird als „ein kleinez zeichen“ an Siegfrieds Gewand genäht (NLB 900f). Es hat mit anderen Worten eine symbolische Tragweite und verweist wohl auf das Kreuz von Golgotha. Zur Deutung des Drachentöters als Christusfigur, vgl. Andersen 2009, S. 136f.
  • Die eigentliche Hauptfigur des Epos dient als Bindeglied zwischen dem sakralen Siegfried und ihrer eigenen weltlichen Familie. Ihre Endsilbe hat Kriemhild mit Brünhild gemeinsam und wird sich auch im Laufe der Handlung immer mehr an ihrer Rivalin ein Beispiel nehmen. Ihre erste Silbe klingt nach ‘grimmig’, und deshalb wurde ihr Name in Skandinavien zu Grimilda (Gesta Danorum) oder Grimhild (Thidrekssaga). Die ältesten deutschen Handschriften belegen jedoch alle sowohl die Schreibung mit k oder c als auch den Diphthong ie. Am Anfang des Epos wird Kriemhilds Jungfräulichkeit hervorgehoben, und Metaphern, die aus der Mariendichtung stammen, werden auf sie übertragen. Kriemhild wird z. B. mit dem Morgenrot und dem Mond verglichen, wenn sie bei ihrer ersten Begegnung mit Siegfried strahlend in den Wormser Festsaal hereintritt. Diese Vergleiche stammen aus der geistlichen Dichtung und letztendlich aus dem Alten Testament (Hld 6,10). Zu diesem Zeitpunkt der Handlung tritt Kriemhild noch als verklärte Mariafigur auf. Zu dieser Interpretation, vgl. Andersen 2009, S. 139.