Rosengarten zu Worms

Der Rosengarten zu Worms (R) ist ein Episodengedicht, das von Kriemhilds Herausforderung zum Kampf in Worms. Die Handlung spielt zur Zeit ihrer Verlobung mit Siegfried. Der Autor hat mit Ausgangspunkt im Nibelungenlied Siegfrieds Aufenthalt in Worms um eine lebhafte Episode erweitert. Sie findet implizite zwischen dem Sachsenkrieg und der Brautfahrt nach Island statt, also am Ende der fünften Aventiure.

Kurzbeschreibung

  • Beziehung zur Nibelungensage: Ausführung von Siegfrieds Aufenthalt in Worms
  • Überlieferung: 10 mehr oder wenig vollständige Handschriften (R6, R7, R9, R10, R12, R13, R14 , R17, R18, R20), 6 Fragmente (R1, R2, R5, R8, R19, R21), 3 verschollene (R3, R4, R11), 2 verbrannte Handschriften (R15, R16) und 6 Drucke (r1, r2, r3, r4, r5, r6) → Handschriftencensus + Druckexemplare
  • Online-Überlieferung:
  • Titel: Rosengart zu Wurms (Prüss um 1479), Rosengarten zu Worms (Knoblauch 1509)
  • Verfasser: anonym
  • Entstehungszeit: 13. Jh.
  • Entstehungsort: Süddeutschland
  • Sprache: Mittelhochdeutsch
  • Länge: zwischen 390 (RA) und 633 Strophen (RD)
  • Form: Vierzeiler mit Langvers, Zäsur und Paarreim
  • Erstdruck: Johann Prüss, Straßburg, um 1479 (undatiert)
  • Online-Ausgaben: Grimm 1836 (R7), Bartsch 1859 (R6), Keller 1867 (r1), Holz 1893 (RA, RD, RF)
  • Maßgebliche Ausgabe: Holz 1893 (RA, RD, RF)
  • Online-Übersetzung: Simrock 1844 (dt.) (Transkription)
  • Hauptquelle: Nibelungenlied
  • Nebenquelle: Waltharius (W 13: Gibicho → Kriemhilts Vater Gibeche)
  • Rezeption: Thidrekssaga (zwölf Zweikämpfe: RA 192–370 → TS: 207–222); Hürnen Seyfrid (Vorstellung von Gibeche und Kriemhild: r1 1f → HS 16; Siegfried als Löwenfänger: r1 3 → HS 33); Hvenische Chronik (Siegfried im Wormser Lustgarten: r1 3 → HC 2–4)
  • Beschreibung: Wikipedia

 Fassungen und Siglen

  • Der Rosengarten ist in zwei verschiedenen Hauptfassungen überliefert. Die kürzere A-Fassung, die in Holz’ Edition 390 Strophen zählt, gilt als die ältere (RA = R4, R10, R11, R12, R14, R17 , R20). Die längere Version ist vor allem durch die D-Fassung vertreten, die in Holz’ Edition 633 Strophen hat (RD = R8, R9, R15, R16, R18). Die P-Fassung ist eng damit verwandt (RF = R5, R6). Die C-Fassung ist eine Mischfassung (RC = R7). Die F-Fassung ist nur fragmentarisch überliefert (RF = R1, R2, R3). Die Druckversion, die durch die sechs Auflagen des Straßburger Heldenbuchs (um 1479–1590) vertreten ist, gehört zur A-Fassung (r1, r2, r3, r4, r5, r6). Eine fragmentarisch erhaltene niederdeutsche Fassung (R13) und zwei weitere Bruchstücke (R19, R21) lassen sich nicht zuordnen.
  • 1879 führte Bruno Philipp in einer philologischen Besprechung des Rosengartens ein kompliziertes System mit großen und kleinen lateinischen und griechischen Siglen ein. Sie wurden 1893 fast unverändert von Georg Holz in dessen noch maßgeblicher Ausgabe übernommen. 1978 erneuerte Joachim Heinzle das System und versah die 18 damals bekannten Handschriften mit der einheitlichen Sigle R und einer Zahl, die sechs Drucke mit einem Kleinbuchstaben. Dieses System wurde 1999 nach der Entdeckung drei weiterer Exemplare aktualisiert. Im Folgenden stehen Holz’ Siglen zum Vergleich in Klammern: R1 (F2), R2 (F3), R3 (F1), R4 (a), R5 (T), R6 (p), R7 (f), R8 (K), R9 (h), R10, R11 (m), R12 (b), R13, R14 (β), R15 (s1), R16 (s), R17 (d), R18 (b), R19, R20, R21, r1 (α), r2, r3, r, r5, r6.

Zusammenfassung

  • A-Fassung: In Worms herrscht König Gibeche. Er hat eine Tochter Kriemhild und drei Söhne Gunther, Gernot und einen dritten, der in der Namenlosigkeit bleibt. Kriemhild besitzt dort einen Rosengarten, der von zwölf Helden bewacht wird. Zu ihnen gehören ihr Vater, ihre Brüder und ihr Verlobter Siegfried. Die acht übrigen Verteidiger sind Hagene, Volker, Pusolt, Schrutan, Ortwin, Asprian, Walther und Studenvuhs. Als Walther den Berner Dietrich erwähnt, schickt Kriemhild eine Delegation unter Herzog Sabin mit einem Herausforderungsbrief nach Bern ab. Sie verspricht jedem Sieger einen Rosenkranz und einen Kuss. Nach einigem Zögern wird die Herausforderung angenommen. Der Herzog überbringt Kriemhild die Antwort (Str. 1–92). Hiltebrand schlägt zwölf Kämpfer vor: Dietrich, Wolfhart, Sigestap, Heime, Witege, Ortwin, Eckehart, Helmschrot, Amelolt, sich selbst, seinen Bruder Ilsan, der Mönch ist, und endlich Dietleip von Steier. Letzterer wird von Sigestap in Wien abgeholt. Bei seiner Ankunft in Bern wird ein Fest gehalten. Dann wird Ilsan aus seinem Kloster in Eisenburg abgeholt. Er verspricht seinem Abt einen Rosenkranz. 6000 Mann reiten zum Rhein und werden dort empfangen. Eine Waffenruhe von neun Tagen wird vereinbart (Str. 93–191). Zehn der elf ersten Zweikämpfe enden mit dem Sieg der Berner. Nur der Kampf zwischen Walther und Dietleib bleibt unentschieden. Im letzten Duell zögert Dietrich wegen der Hornhaut, gegen Siegfried anzutreten, und muss von Wolfhart und Hiltebrand gereizt werden. Im Kampf speit er Feuer gegen Siegfried und gewinnt (Str. 192–370). Ilsan besiegt 52 weitere Gegner und tötet zwölf davon. Dafür erhält er 52 Rosenkränze und ebenso viele Küsse. Mit seinem Bart zerkratzt er Kriemhilds Gesicht. Gibeche ergibt sich und wird Dietrichs Vasall. Die Gäste ziehen nach Hause. Ilsan kehrt in sein Kloster zurück, drückt seinen Mönchsbrüdern die Rosenkränze so auf den Kopf, dass sie bluten (Str. 371–390).
  • D-Fassung: In der erweiterten Version kommen zusätzliche Figuren hinzu, zum Beispiel Etzel und Rüdeger. Die Kampfpaare sind etwas verändert, doch endet das Turnier immer noch mit dem Duell zwischen Dietrich und Siegfried.

Rezeption

  • Der Rosengarten lässt sich nicht anhand der Überlieferung datieren, indem keine Handschrift ins 13. Jahrhundert zurückreicht. Das Gedicht hat viele Figuren mit der Dietrichepik gemeinsam, aber die textgenealogische Beziehung ist unklar. Die Thidrekssaga scheint allerdings direkt oder indirekt vom Rosengarten beeinflusst zu sein, denn eine Entlehnung in umgekehrter Richtung kommt kaum in Frage. Der Rosengarten dürfte also schon in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts entstanden sein und kann sogar älter als die isländischen Ausformungen der Sage sein.
  • Nachdem das Episodengedicht ins Straßburger Heldenbuch aufgenommen worden und dadurch in den Druck gelangt war, verdrängte er schnell den Urtext, dem er seine Entstehung verdankte. Am Ende des 15. Jahrhunderts war die Nibelungensage dem breiten Publikum nur durch das pittoreske Episodengedicht bekannt.
  • Zu diesem Zeitpunkt entstand in Worms eine Lokalsage um einen Riesen namens hörnen Sifrit. Es wurde vermutet, dass er in einem Grabhügel außerhalb der Stadt lag. Als Kaiser Friedrich III. im April 1488 die Stadt besuchte, ließ er den Hügel ausgraben, aber ohne Riesenknochen zu finden. Als das Rathaus fünf Jahre später restauriert wurde, ließ sich der Kaiser an der Außenwand des Gebäudes neben fraw Crimhiltin und dem hörnin Syfridt malen (Ed. Boos). Das Rathaus wurde 1689 durch französische Truppen zerstört und erst ein Jahr später nach dem Gedächtnis gezeichnet. Damit wurde die Wandmalerei für die Nachwelt gerettet, aber nur in einer ungenauen Abbildung.
  • Die Inschrift der Waldmalerei beeinflusste 1509 die Hagenauer Neuauflage des Straßburger Heldenbuchs. Auf der ersten Seite nach der Abbildung von Dietrichs Kampf mit Siegfried finden wir im Text selbst die gewöhnliche Schreibung der Drucke Seyfrit (G6v). Dafür steht im Seitenkopf hornen Syfrit (H1r). Das ist bis auf den fehlenden Umlaut und das fehlende d vor t dieselbe Orthographie wie in Worms. Der verlorene Erstdruck des Hürnen Seyfrit, der wohl um 1530 in Nürnberg erschien, hatte höchstwahrscheinlich dieselbe charakteristische Schreibung wie an der Wandfassade des Rathauses und im Hagenauer Druck.
  • Ein noch eindeutiger Einfluss des Rosengartens ist 1603 in der Hvenischen Chronik zu finden. Für dieses dänische Märchen ließ sich Venusin von der lokalen Grimildballade anregen. Doch sie erzählt nur Grimilds Verrat an ihren Brüdern, also den zweiten Teil der Sage. Für die erste Ehe der Verräterin ergänzte Venusin seinen Bericht durch Entlehnungen aus einer Handschrift der Didrikskrönikan und dem gedruckten deutschen Rosengarten.
  • Zu Beginn des 17. Jahrhunderts war die Nibelungensage nur durch den Rosengarten (um 1479), den Hürnen Seyfrid (um 1530) und die dänische Grimildballade (1591) in den Druck gelangt. Keiner dieser drei Fassungen erwähnt Brünhild. Diese literarische Hauptfigur der Nibelungensage verblieb deshalb der Öffentlichkeit unbekannt bis 1665. In diesem Jahr erschien Snorris Edda in Kopenhagen in einer dreisprachigen Ausgabe. Auf diese Weise kam Brünhild zunächst als Walküre ans Licht (Kap. 73).