Geitarlauf

Geitarlauf (‚Geißblatt‘) ist eine anonyme Prosaübertragung des Lai du chèvrefeuille von Marie de France. Die Erzählung gehört zu einer Sammlung, die in einer unvollständigen Pergamenthandschrift überliefert ist. Der Anfang der Handschrift befindet sich in Uppsala und umfasst 43 Blätter. Aus dem Schlussteil sind vier Blätter in Kopenhagen erhalten. Es handelt sich um einen codex discissus. Die anonyme Sammlung beginnt auf Blatt 17 und enthält bis zum Ende der Uppsala-Handschrift 19 Erzählungen. Die Bruchstücke auf den letzten vier Blättern lassen sich nur schwer lesen. Von den 19 Erzählungen sind elf Übertragungen von den zwölf bekannten Lais von Marie de France. Nur das Lai Eliduc fehlt. Acht Erzählungen stammen aus anderen Vorlagen.

Die Handschrift entstand um 1270 in Norwegen. Dort ist der Hauptteil allem Anschein nach bis 1624 geblieben. In diesem Jahr gehörte die Handschrift einem gewissen L. Samuelides Arctander aus Hemness in der nordnorwegischen Provinz Nordland. Er hat auf der letzten Seite seinen Namen und seinen Wohnort (Herness) geschrieben (Bl. 43v). Von ihm ist die Handschrift an den dänischen Historiker Stephan Hansen Stephanius gelangt. Er hat auf der Rückseite des ersten Blatts ein Inhaltsverzeichnis erstellt. Seine Witwe verkaufte 1650 einen Großteil seiner Büchersammlung an den schwedischen Staatsmann Magnus Gabriel De la Gardie. Er schenkte 1669 seine Bücher und Handschriften an die Universitätsbibliothek von Uppsala. Das kleinere Fragment ist auf unbekannten Wegen nach Island gekommen. Dort erwarb es Árni Magnússon 1703 nach einer Angabe auf einem aufgeklebten Zettel und brachte es nach Kopenhagen mit. Es gehört heute zur Arnamagnäanischen Sammlung. Es gibt auch eine Reihe von jüngeren Abschriften der Pergamenthandschrift (vgl. Budal 2009, I, S. 62) und endlich eine unabhängige Fassung einer isolierten Erzählung in einer isländischen Handschrift (LBS 840 4to). Das Geitarlauf ist also unikal überliefert.

Die Sammlung beginnt mit einer Widmung an den norwegischen König Håkon IV.(Keyser/Unger 1850, S. 1). Das Original ist also in seiner Regierungszeit (1217–1263) entstanden, vielleicht eher gegen das Ende dieser Periode. Da die Tristrams saga eine ähnliche Widmung enthält, ist Robert als Autor der Sammlung in Erwägung gezogen worden (Keyser/Unger 1850, S. xii). Am Ende der Widmung werden die Erzählungen durch verschiedene Gesamtbezeichnungen beschrieben, vor allem strengleikar (‚Saitenspiele‘) und ljóðabók (‚Gesangbuch‘). In der Erstausgabe benutzten Rudolf Keyser und Carl Richard Unger deshalb einen Doppeltitel. Später hat sich das erste Wort allein durchgesetzt. Es bezieht sich eigentlich nur auf die instrumentale Begleitung der französischen Vorlagen. Die isländischen Prosabearbeitungen wurden weder gesungen noch durch Musik begleitet.

Soweit sich die norrönen und wahrscheinlich norwegischen Erzählungen mit identifizierten Vorlagen vergleichen lassen, handelt es sich um treue Prosaübertragungen. Das gilt auch für das Geitarlauf. Hier ist eine schwache Tendenz zur Erweiterung festzustellen, denn die Bearbeitung hat 718 Wörter gegen 632 in der Vorlage (vgl. Budal 2009, I, S. 61). Der Übersetzer hat Schwierigkeiten mit dem Titel gehabt, denn er gibt ihn sowohl auf Französisch (chævrefuill) als auch durch zwei norröne Wörter wieder: die gewöhnliche Bezeichnung für die Pflanze viðvindill und die wörtliche Übertragung geitarlauf. Er behält am Ende treu die englische Variante (gotulæf) und spricht von bretar. Dieses Wort steht also hier für ‚Engländer‘.

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