Lieder-Edda

Als Lieder-Edda bezeichnet man eine Sammlung von 29 Gedichten und zwei selbständigen Prosastücken. Einige Gedichte werden von Prosa begleitet. Die meisten Texte der Sammlung sind nur in einer einzigen Haupthandschrift, dem berühmten Codex Regius, überliefert. Acht weitere, nur in Nebenhandschriften enthaltene Lieder werden gewöhnlich zur Lieder-Edda gezählt, so dass das herkömmliche Corpus aus 37 Gedichten besteht. Die Lieder-Edda ist mit der Prosa-Edda und der Völsungasaga eng verwandt und stimmt in mehreren Strophen wörtlich mit diesen beiden Texten überein.

Kurzbeschreibung

Abkürzungen

Es gibt unterschiedliche Abkürzungsnormen. Hier wird das vom Senter for høyere studier in Oslo vorgeschlagene System unternommen, allerdings mit großem Anfangsbuchstaben und in vier Einzelfällen durch einen zusätzlichen Zwischenbuchstaben, so dass die Abkürzungen eindeutiger werden und alle dieselbe Länge bekommen (Atm, Ffm, Hdm, Hvm statt am, fm, hm). Für die beiden Prosastücke werden die Abkürzungen Drn, Dsf hinzugefügt. Die hier vorgeschlagenen deutschen Titel sind von Simrocks Übersetzung angeregt.

  • Akv: Atlakviða (‚Kurzes Atlilied‘)
  • Alv: Alvíssmál (‚Alvislied‘)
  • Atm: Atlamál (‚Langes Atlilied‘)
  • Brt: Brot af Sigurðarkviðu (‚Fragment eines Sigurdlieds‘)
  • Drn: Dráp Niflunga (‚Tötung der Niflungen‘)
  • Dsf: Frá dauða Sinfjötla (‚Von Sinfjötlis Tod‘)
  • Fjm: Fjölsvinnsmál (‚Fjölsvinslied‘)
  • Ffm: Fáfnismál (‚Fafnirlied‘)
  • Fsl: Hrafnagaldr Óðins, Forspjallsljóð (‚Odins Rabenzauber, Vorredelied‘)
  • Ghv: Guðrúnarhvöt (‚Gudruns Aufreizung‘)
  • Gk1: Guðrúnarkviða I (‚Erstes Gudrunlied‘)
  • Gk2: Guðrúnarkviða II (‚Zweites Gudrunlied‘)
  • Gk3: Guðrúnarkviða III (‚Drittes Gudrunlied‘)
  • Grg: Grógaldr (‚Groas Zauberspruch‘)
  • Grm: Grímnismál (‚Grimnirlied‘)
  • Grp: Grípisspá (‚Gripirs Wahrsagung‘)
  • Grs: Grottasöngr (‚Grottis Gesang‘)
  • Hbl: Hárbarðsljóð (‚Harbardslied‘)
  • Hdl: Hyndluljóð (‚Hyndlalied‘)
  • Hdm: Hamðismál (‚Hamdirlied‘)
  • Hhj: Helgakviða Hjörvarðssonar (‚Lied von Helgi Hjörvardsson‘)
  • Hh1: Helgakviða Hundingsbana I (‚Erstes Lied von Helgi dem Hundingstöter‘)
  • Hh2: Helgakviða Hundingsbana II (‚Zweites Lied von Helgi dem Hundingstöter‘)
  • Hkv: Hýmiskviða (‚Hymirlied‘)
  • Hlr: Helreið Brynhildar (‚Brynhilds Todesfahrt‘)
  • Hvm: Hávamál (‚Des Hohen Lied‘)
  • Lks: Lokasenna (‚Lokis Zankreden‘)
  • Odg: Oddrúnargrátr (‚Oddruns Klage‘)
  • Rgm: Reginsmál (‚Reginlied‘)
  • Rgt: Rígsþula (‚Riglied‘)
  • Sdm: Sigrdrífumál (‚Sigrdrifalied‘)
  • Skm: Skírnismál (‚Skirnirlied‘)
  • Sol: Sólarljóð (‚Sonnenlied‘)
  • Ssk: Sigurðarkviða hin skamma (‚Kurzes Sigurdlied‘)
  • Trk: Þrymskviða (‚Thrymlied‘)
  • Vfm: Vafþrúðnismál (‚Vafthrudnirlied‘)
  • Vkv: Völundarkviða (‚Völundlied‘)
  • Vsp: Völuspá (‚Der Seherin Wahrsagung‘)
  • Vtk: Vegtamskviða (‚Vegtamlied‘)

Überlieferung

Der Codex Regius

  • R: Reykjavík, Stofnun Árna Magnússonar, GKS 2365 4to. Der Codex Regius besteht aus 45 Blättern in sechs Lagen mit je 8 Blättern bis auf die letzte Lage, die unvollständig ist. Zwischen der vierten und der fünften Lage befindet sich eine Lücke, die wahrscheinlich einer Lage, also 8 Blättern, entspricht. Wegen dieser Lücke sind zwei Lieder unvollständig. Vor der Lücke bricht das Sigrdrifamál mitten in Strophe 29 ab, nach der Lücke sind nur 19 Strophen aus einem längeren Sigurdlied erhalten. Das Sigrdrifamál hat in einigen jüngeren Papierhandschriften 37 Strophen und scheint auf den ersten Blick vollständig überliefert zu sein, aber vieles spricht dafür, dass die letzten acht Strophen eine Versifizierung des entsprechenden Abschnittes der Völsungasaga ist. Das Ende kann jedoch echt sein (vgl. Bugge 1867, S. 234–236). Die Lücke beginnt in Kapitel 24 der Völsungasaga und reicht bis Kapitel 31. In diesem Abschnitt finden wir vier Strophen (VS 29–31), die vermutlich den entfallenen Blättern entstammen. Die verlorene Lage dürfte schätzungsweise zwischen 200 und 250 Strophen enthalten haben. Diese Strophen verteilten sich also auf das Ende des Sigrdrifamál, vielleicht ein zusätzliches Lied und endlich das Sigurdlied, von dem 19 Strophen erhalten sind. Das andere Sigurdlied, das nach der Guðrúnarkviða I vollständig überliefert ist, wird trotz eines Umfangs von 71 Strophen ausdrücklich als „das kurze Sigurdlied“ (R 34v: sigurðar qviþi ini scommo) bezeichnet. Deshalb muss das unvollständige Sigurdlied erheblich länger gewesen sein. Es kann ungefähr dieselbe Länge gehabt haben wie das Hávamál und das Atlamál, die längsten Lieder des Codex Regius mit jeweils 164 und 105 Strophen. Heute enthält die Handschrift 29 Lieder und viele Prosaabschnitte, davon zwei längere, die von den Herausgebern gewöhnlich als selbständige Texte präsentiert werden. Die Gedichtanfänge werden durch rote Initialen markiert. Nur die beiden Lieder unmittelbar vor und nach der Lücke sind mit Gewisseheit unvollständig. Der Schluss der Guðrúnarkviða II fehlt vielleicht auch, denn dieses Gedicht bricht sehr schroff ab. Mehrere Lieder werden von Prosa eingeleitet oder begleitet. Die Sammlung beginnt mit elf Götterliedern, wenn die Völundarkviða zu dieser Kategorie gezählt wird. Danach folgen achtzehn Heldenlieder, die zum Teil eine zusammenhängende Erzählung vom Geschlecht der Völsungen darbietet. Eine scharfe Trennung zwischen Götter- und Heldenliedern gibt es allerdings nicht, da die Götter auch im zweiten Teil der Sammlung auftreten. Die Handschrift ist um 1270 in Island als Abschrift einer verlorenen Vorlage entstanden. Ihre frühe Geschichte ist unbekannt. Um 1600 scheint sie im Besitz eines gewissen Magnus Eiriksson gewesen zu sein. Sein Besitzvermerk ist der älteste der Handschrift (Bl. 5r). Der erste datierte Eintrag stammt von Brynjólfur Sveinsson, Bischof von Skálholt in Südisland. Unten auf der ersten Seite schrieb er die Initialen seiner lateinischen Namensform Lupus Loriatus (‚Brünnenwolf‘) und das mutmaßliche Jahr der Erwerbung: LL 1643 (Bl. 1r). 1662 bekam er den Besuch seines Landsmanns Þormóður Torfason, der im Auftrag des dänischen Königs Friedrich III. nach Island geschickt worden war, um alte Manuskripte zu sammeln. So kam die Handschrift nach Kopenhagen und wurde in die königliche Bibliothek eingegliedert, daher die gängige Bezeichnung als Konungsbók oder Codex Regius. Ein Ledereinband aus dem Ende des 18. Jahrhunderts trägt den Besitzvermerk des Königs Christian VII. und den Titel „Edda Sæmundi“. 1971 kehrte die Handschrift nach Island zurück.

CodexRegius33r

Anfang von Gk1 im Codex Regius, Bl. 33v (Quelle: Baumgartner 1889, S. 331)

Das Hauksbók

  • H: Kopenhagen, Det Arnamagnæanske Institut, AM 544 4to. Diese Handschrift ist einer der drei Teile des Hauksbók. Die beiden anderen Teile sind unter den Siglen AM 371 4to und AM 675 4to bekannt. AM 544 4to besteht aus 107 Pergamentblättern und enthält 17 Stücke. Die meisten davon wurden zu Beginn des 14. Jahrhunderts von oder für Haukr Erlendsson († 1334) aus Nordwestisland geschrieben. 1294 wurde er als lǫgmaðr (‚Gesetzmann‘) in Island erwähnt, verbrachte später den größten Teil seines Lebens in Norwegen und starb in Bergen. Zur Zeit der Entstehung der Handschrift war er lǫgmaðr im südöstlichen Teil seiner Insel. 14 verschiedene Hände sind erkennbar. Einige davon sind norwegischer Herkunft. Das dritte Stück wurde von Hand 6 aufgezeichnet. Es ist eine Abschrift der Völuspá in 59 Strophen. Es wird vermutet, dass das Hauksbók nach dem Tod seines Herstellers an dessen isländische Erben kam und die nächsten drei Jahrhunderte in ihrem Besitz verblieb. Der nächste bekannte Besitzer ist der Bauer Bjarni Einarsson aus Hamar in Nordwestisland. Er trug seinen Namen auf Blatt 59v ein. 1635, ein Jahr nach dem Tod des Bauern, lieh der sýslumaður (‚Bezirksvorsitzender‘) Ari Magnússon von Ögur die Handschrift an den Gelehrten Arngrímur Jónsson und später an den Bauern Björn Jónsson von Skarðsá in Nordisland. In einer noch unedierten Schrift mit dem Titel Nockut Litit Samtak vm Runer (‚Kleiner Traktat über Runen‘) führte Letzterer 1642 mehrere Strophen aus dem Sigrdrífumál und dem Hávamál nach einer anderen Handschrift an, vermutlich dem Codex Regius. Dies ist der älteste Beleg für die Benutzung der Lieder-Edda. Im 7. Kapitel über „Liöd Brynhilldar“ zitierte und kommentierte Jónsson die Strophen 6–13, 15–17, 19 des Sigrdrífumál, wo verschiedene Runentypen Erwähnung finden (vgl. Reykjavík, Landsbókasafn Íslands, Lbs 756 4to, Bl. 100v–104v).

BrimrúnarJónsson

Sigrdrífumál 10 in Björn Jónssons Nockut Litit Samtak vm Runer (1642)

Jónsson behielt anscheinend das Hauksbók bis zu seinem Tod 1655. 1660 gelangte die Membran an Brynjólfur Sveinsson. Nach seinem Tod 1675 wurde die Handschrift von Árni Magnússon erworben. AM 544 4to ist zusammen mit AM 675 4to in Kopenhagen geblieben, AM 371 4to nach Island zurückgekehrt.

Das Fragment

  • A: Kopenhagen, Det Arnamagnæanske Institut, AM 748 Ia 4to. Dieses Fragment besteht aus sechs Pergamentblättern. Es entstand um 1300 und gehörte früher zusammen mit der Handschrift AM 748 Ib 4to, die vier weitere Texte (Bl. 7r–28v) enthält, davon als drittes Stück eine fragmentarische Bearbeitung der Prosa-Edda ohne die Nibelungensage (Bl. 14v–28r). Bl. 1–2 und Bl. 3–6 des Fragments gehören jeweils zusammen und enthalten drei vollständige und drei unvollständige Lieder. Das letzte Blatt endet mit der Prosaeinleitung eines siebten Lieds, der Völundarkviða. Nur die Vegtamskviða, das Grímnismál und die Hýmiskviða sind komplett. Zwischen Blatt 2 und 3 fehlt ein Blatt, das ursprünglich das Ende des Skírnismál und den Beginn des Vafþrúdnismál enthielt. Das Fragment setzt in der Mitte des Hárbarðsljóð ein. Die Reihenfolge der Lieder weicht von derjenigen des Codex Regius ab. Außerdem fehlt die Vegtamskviða in der Haupthandschrift der Lieder-Edda. Der Text des Fragments ist stemmatisch unabhängig vom Codex Regius und im Allgemeinen weniger sorgfältig. Die frühe Geschichte der 28 Blätter ist unbekannt. Ein Besitzer hat sich als herra Sigurdar eingtragen (Bl. 15v). Dieser Mann ist mit einem 1677 verstorbenen Sigurður Jónsson von Einersnes bei Borg à Mýrum in Westisland identifiziert worden (Jónsson 1896). 1691 wurde die Handschrift zusammen mit AM 748 II 4to von einem gewissen Bær i Floa an Árni Magnússon geschenkt und gehört seither zur Arnamagnäanischen Sammlung in Kopenhagen.

Die 31 Stücke Codex Regius

  • Vsp: R 1r–3r (62 Strophen), H 20r–21r (59 Strophen = VspR 1–28, 35, 37–51, 53–62), PE I 4 (VspR 3), I 8 (VspR 5), I 12 (VspR 39f), I 14 (VspR 9–13, 15), I 16 (VspR 18), I 17 (VspR 61), I 42 (VspR 26f), I 51 (VspR 44f, 47–54), I 52 (VspR 37f) (27 Strophen); Editionen: 59–71 Strophen (VspR 1–62 + VspH 30, 40, 47, 58); Titel: keiner in R, vǫluspa (PE I 4, I 4, I 8, I 12, I 14, I 15, I 17, I 42, I 51, I 51)
  • Hvm: R 3r–7(164 Strophen), PE I 2 (HvmR 1), Fóstbrœðra saga (‚Schwurbrüdersaga‘) 21 (HvmR 844-6); Titel: hava mal (R 3r)
  • Vfm: R 7v–8v (55 Strophen), A 3r–3v (VfmR 202–55 = 26 Strophen), PE I 5 (VfmR 304–6–31), I 7 (VfmR 35), I 18 (VfmR 37), I 41 (VfmR 41), I 51 (VfmR 18), I 53 (VfmR 45, 47, 51) (9 Strophen); Titel: vaftruðnis mal (R 7v)
  • Grm: R 8v–11r (Prosa + 54 Strophen + Prosa), A 3v–5v (Prosa + GrmR 1–54 + Prosa = 54 Strophen), PE I 8 (GrmR 40f), I 15 (GrmR 29), I 16 (GrmR 34f), I 20 (GrmR 46), I 23 (GrmR 11), I 21 (GrmR 24), I 24 (GrmR 12, 14), I 27 (GrmR 13), I 32 (GrmR 15), I 36 (GrmR 36), I 38 (GrmR 18–20), I 40 (GrmR 23), I 41 (GrmR 44), II 14 (GrmR 18–20) (19 Strophen), Ólafur Þórðarson Málfræðinnar grundvǫllr (‚Grundlage der Grammatik‘) 15 (GrmR 471-2); Titel: fra sonum hravdvngs konvungs (R 8v), fra sonum hravdvngs konvungs (A 3v), Grimnis mal (R 9r = A 4r), i Grímnismálum (PE I 23, I 24, I 36)
  • Skm: R 11r–12r (Prosa + 42 Strophen), A 1v–2r (Prosa + SkmR 1–17, 19–212, 223–27 = 26 Strophen), PE I 37 (SkmR 42); Titel: for scirnis (R 11r), skirnis mal (A 2r)
  • Hbl: R 12r–13v (Prosa + 60 Strophen), A 1r–1v (HblR 194–60 = 42 Strophen); Titel: harbarz lioð (R 12r)
  • Hkv: R 13v–15r (39 Strophen), A 6r–6v (HkvR 1–39 = 39 Strophen); Titel: þǫr dro miðgarz orm (R 13v), hymid kviða (A 6r)
  • Lks: R 15r–17r (Prosa + 65 Strophen + Prosa), PE I 20 (LksR 211–2, 291, 4–6, 471–3 = 3 Strophen); Titel: fra egi oc godvm (R 15r), loka sena (R 15r), ægis drekka (AM 738 4to = O, 1680, vgl. Edda Sæmundar 1787)
  • Trk: R 17r–18r (32 Strophen); dänische Fassung: NKS 815b,b 4to = Aa, Nr. 4 (um 1580, 23 Strophen), GKS 2397 4to = Ab, Nr. 35 (um 1580, 23 Strophen ), Vedel 1591 = B = 51619 = Syv 1737 (23 Strophen), Grundtvig 1853 = Aa/Ab, B, Grimm 1811 = B, dt.); Titel: þryms qviða (R 17r), hamars heimt (AM 738 4to = O, 1680, vgl. Edda Sæmundar 1787), Tord aff Haffsgaard (Vedel 1591)
  • Vkv: R 18r–19v (Prosa + 41 Strophen), A 6v (Prosa), TS 57–78, DK 55–75; Titel: fra volvndi oc nidaði (R 18r), fra niðaði konvngi (A 6v), Volundarqviþa (Bartholin 1689 = Edda Sæmundar 1818)
  • Alv: R 19v–20r (35 Strophen), PE II 58 (AlvR 20), II 63 (AlvR 30); Titel: alvi8 mal (R 19v), alviss (C), alvis (C), olvis (U), alsvins (R) mal (PE II 58, II 63)
  • Hh1: R 20r–22r (Prosa + 56 Strophen); Titel: qveði fra helga hvndingi bana oc þeira h[erra] volsvnga qviða (R 20r), helga qviþo (R 25r = Hh2 18), Helga Qvida Hundings-bana en Fyrri (Rask/Afzelius 1818)
  • Hhj: R 22r–24r (Prosa + 43 Strophen + Prosa am Ende und nach Strophe 4, 5, 9, 11, 30, 34, 35); Titel: fra hiorvarþi oc sigrlin (R 22r), Helgakviða Hjörvarðssonar, Helga kviða Haddingjaskaða, Helga kviða Hatingaskaða (jüngere Papierhandschriften, vgl. Bugge 1867, S. 171)
  • Hh2: R 24r–26v (Prosa + 51 Strophen + Prosa am Ende und nach Strophe 1, 3, 4, 13, 19, 24, 28, 29, 38, 39, 41, 42, 46, 49 und in Strophe 18; Umstellung: Hh2R 25–29 = 19–24 in allen Editionen seit Rask/Afzelius 1818); Titel: fra valsvngom (R 24r), volsvnga qviþo ini forno (R 24v), Helga Qviþa Hundings bana, hin aunnr (Grimm 1815), Helga Qvida Hundings-bana önnur (Rask/Afzelius 1818)
  • Dsf: R 26v–27r (Prosa, seit Grimm 1815 als selbständiges Stück ediert); Titel: fra davða sinfiotli (R 26v), Sinfiotlalok (Bartholin 1689), Sinfjotla lok (Rask/Afzelius 1818)
  • Grp: R 27r–28v (Prosa + 53 Strophen); Titel: keiner in R, Gripis spá (Grimm 1815)
  • Rgm: R 28v–30r (Prosa + 26 Strophen + Prosa nach Strophe 4, 9, 11, 12, 14, 15, 18), VS 14 (RgmR 1, 2, 6), 17 (RgmR 18) (4 Strophen), NG 5 (RgmR 13–15), 6 (RgmR 16–26) (14 Strophen); Titel: keiner in R, um Regin oc Otrsgiolld (Grimm 1815), Sigurðarkviða Fáfnisbana önnor (jüngere Papierhandschriften, vgl. Bugge 1867, S. 212), Sigurdar qvida Fafnisbana avnnor (Rask/Afzelius 1818), Reginsmál (Vorschlag Bugge 1867, Nebentitel Grundtvig 1868, Haupttitel Hildebrand 1876)
  • Ffm: R 30r–31v (Prosa + 44 Strophen + Prosa am Ende und nach Strophe 1, 22, 26, 31, 39), PE I 15 (FfmR 13), II 40 (FfmR 32f) (3 Strophen), Sverris saga 164 (FfmR 64–6); Titel: fra davða fafni8 (R 30r), Fafnismal (Bartholin 1689), Fafnis mál (Grimm 1815)
  • Sdm: R 31v–32v (Prosa + 29 Strophen = 1–292 + Prosa nach Strophe 2, 4 und in Strophe 4), AM 738 4to 16r–22r (Prosa + 37 Strophen + Prosa nach Strophe 2, 4 und in Strophe 4), weitere jüngere Papierhandschriften (vgl. Bugge 1867, S. 234–236), vollständige Abschrift in AM 166 b 8to seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verloren); Titel: keiner in R, Sygurdryfu mäl (AM 738 4to, 1680, vgl. Bugge 1867, S. 227), Sigurdrífu mál (Grimm 1815), Sigrdrífu mál (Munch 1847)
  • Brt: R 33r–33v (19 Strophen + Prosa; Umstellung: BrtR 11 = 5 bei den meisten Herausgebern seit Grimm 1815; gelegentlich auch weitere Umstellungsvorschläge), VS 29–31 (4 Strophen), 32 (BrtR 4), NG 9 (Prosa nach Strophe 19); Titel: keiner in R, Sigurþarqvidu (VS 31), brot af annarri brynhildar-qvido (Edda Sæmundar 1818), brot af Sigurðarkviðu (Bugge 1867), Sigurþarkviþa en meire (Jónsson 1890)
  • Gk1: R 33v–34v (Prosa + 27 Strophen + Prosa); Titel: Gvðrvnar qviþa (R 33v), Godrúnar-qvida en fyrsta (Rask/Afzelius 1818)
  • Ssk: R 34v–36r (71 Strophen; Umstellung: SskR 39 = 36 in einigen Editionen seit Bugge 1867); Titel: sigurðar qviþi ini scommo qviða Sigvrþar (R 34v), Sigvrdar-qvida en þridia (Edda Sæmundar 1818), Sigurðarkviða hin skamma (Bugge 1867)
  • Hlr: R 36r–36v (Prosa + 14 Strophen), NG 9 (HlrR 1–6, 8–14); Titel: heilræðe Brynhilldar (R 32v), brynhildr reiþ helveg (R 36r), helreiþ Brynhildar (Grimm 1815)
  • Drn: R 36v–37r (Prosa); Titel: drap niflvnga (R 36v)
  • Gk2: R 37r–38r (Prosa + 44 Strophen), VS 34 (GksR 199–12, 22f) (3 Strophen); Titel: gvðrvnarqviþo ini forno (R 33v), Gvðrvnar qviþa (R 37r), Gudrúnar qvida en önnur (Edda Sæmundar 1818)
  • Gk3: R 38r–38v (Prosa + 11 Strophen); Titel: qviða G[vðrvnar] (R 38r), Gudrúnar qvida en þridia (Edda Sæmundar 1818)
  • Odg: R 38v–39v (Prosa + 34 Strophen; Umstellungen bei Bugge 1867: OdgR 15f nach 10, 205–8 nach 13 = die Reihenfolge OdgBugge 13–15, 165–8 , 11f, 17–201–4, 161–4; Umstellung ab OdgR 15 seit Rask/Afzelius 1818); Titel: fra borgnyio oc oððrvno (R 38v), gratr Oddrvnar (R 39v = OdgR 348), Oddrúnar-grátr (Rask/Afzelius 1818)
  • Akv: R 39v–41r (Prosa + 43 Strophen + Prosa); Titel: atla qviða in grǫnlenzca (R 39v), Atla-qvida in grænlenzca (Edda Sæmundar 1818)
  • Atm: R 41r–44r (105 Strophen bei Bugge 1867 mit Rücksicht auf die fehlenden Strophen 23 und 27; Strophenzahl zwischen 95 undf 115 in anderen Ausgaben); Titel: atla malom enom grǫnlenzcom (R 41r = Akv 439f), atla mal in grǫnlenzco (R 41r), Atlamal (Bartholin 1689)
  • Ghv: R 44r–44v (Prosa + 21 Strophen + Prosa); Titel: Gvðrvnar hvavt (R 44r), Guthrúnar Hvaut (von der Hagen 1812)
  • Hdm: R 44v–45v (31 Strophen + Prosa), VS 44 (HdmR 281–4); Titel: hamþis mal (R 44v), Hamþiss mal in forno (R 45v = Hdm 315f), Hamthis mal (von der Hagen 1812)

Die acht verwandten Denkmäler

Zwei der mit den Liedern des Codex Regius „verwandten Denkmäler“ (Neckel 1914)bildeten ursprünglich eine einheitliche Dichtung. Es handelt sich Grógaldr und Fjölsvinnsmál, die nur in jüngeren Papierhandschriften überliefert sind. Die ältesten stammen aus dem Ende des 17. Jahrhunderts. 1853 verwies Svend Grundtvig auf die Verwandtschaft von Grógaldr mit einer Ballade, dessen Held in dänischen und schwedischen Abschriften Svendal o.ä. heißt. Die ältesten dänischen Textzeugnisse stammen aus dem Ende des 16. Jahrhunderts, die schwedischen sind erheblich jünger und enthalten eine vereinfachende Kurzfassung. Sophus Bugge entdeckte bald, dass der letzte Teil der Ballade dem Fjölsvinnsmál entspricht, und argumentierte dafür, dass die beiden Teile ursprünglich zusammengehörten (vgl. Bugge 1860, S. 123–140). Er datierte die mutmaßliche einheitliche Urfassung in „die letzte Zeit des Heidentums“  (Hedendommens sidste tid, S. 123) und stellte sich vor, dass sie damals überall im Norden gesungen wurde: „an den verschiedenen Orten in unterschiedlicher Form“ (paa de forskjellige Steder i forskjellig Form, S. 125). Trotz erheblicher Unterschiede zwischen den isländischen und den südskandinavischen Fassungen scheint eine textgenealogische Verwandtschaft tatsächlich zu bestehen. Deshalb muss die Erzählung nach der Rationalen Philologie in Dänemark zur Zeit des Astronomen Tycho Brahe entstanden sein. Margrethe Lange († 1622), die Besitzerin der ältesten Aufzeichnung, war mit Knud Brahe, dem jüngeren Bruder des Wissenschaftlers, verheiratet und mag die Ballade selbst verfasst haben. Der Text kam im Laufe des 17. Jahrhunderts durch Abschriften nach Schweden und Island. Auf der nordatlantischen Insel wurde die Erzählung mit Elementen aus der eddischen Tradition bereichert und spaltete sich in zwei Gedichte. 1695, kurz nach der Entstehung der isländischen Gedichte, nahm Peder Pedersen Syv die dänische Urfassung in seine erweiterte Fassung des Hundertballadenbuchs auf und machte sie der Öffentlichkeit im Druck bekannt. Das isländische Schlussgedicht erschien 1787 separat. Erst 1818 gelangte die Einleitung in den Druck.

Zwei weitere verwandte Denkmäler sind nur in jüngeren Papierhandschriften überliefert. Es handelt sich um das Sólarljóð und das Forspjallsljóð. Beide Lieder sonderte Bugge aus dem Corpus der Lieder-Edda heraus und edierte sie in einem getrennten Anhang. Für das Sólarljóð schlug er keine Datierung vor und stellte nur fest, dass das Lied „christlich“ ist (det er kristeligt, vgl. Bugge 1867, S. xlv). Die ältesten Aufzeichnungen stammen aus dem Ende des 17. Jahrhunderts, aber einige Verse aus den Strophen 60 und 70 werden etwas früher in einen anonymen Runenkommentar erwähnt. Da dieser Text mit Björn Jónssons Werk Nockut Litit Samtak vm Runer von 1642 nahverwandt ist, schrieb Bugge beide Texte demselben Verfasser zu. Es hat sich herausgestellt, dass der Runenkommentar mit dem Zitat aus dem Sólarljóð in Wirklichkeit vom Gelehrten Jón Guðmundsson (1574–1658) stammt. Nichts widerspricht der von Bugge vorgeschlagenen Datierung des Kommentars um 1643. Der Rationalen Philologie zufolge kann das Sólarljóð nicht ohne schriftliche Grundlage von der ersten Zeit nach der Bekehrung der Isländer zum Christentum, etwa dem 11. Jahrhundert, bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts überlebt haben und dürfte deshalb eher aus den ersten Jahren nach der Wiederentdeckung des Codex Regius verfasst worden sein als in der späten Wikingerzeit.

Über das Forspjallsljóð fällte Bugge ein härteres Urteil als über das Sólarljóð: „Dieses Gedicht sollte in Zukunft ausgeschlossen werden. [Es ist] ein gelehrtes Gedicht, verfasst in späterer Zeit von einem Mann, der in den alten Liedern gut bewandert, ja belesen war und der mit Absicht versuchte, die Dichtung einer längst vergangenen Zeit nachzuahmen; es wurde vermutlich von vornherein mit Feder in einem Buch festgehalten. Die Beziehung ist ungefähr dieselbe wie zwischen den homerischen und den alexandrinischen Epen. […] Ich glaube, dass es nicht älter ist als das 17. Jahrhundert.“ (Dette Digt bør for Fremtiden udelukkes. […] et lærd Digt, forfattet i senere Tid af en Mand, som var vel bevandret, ja belæst i de gamle Kvæder og som med Tendents søgte at efterligne en længst forgangen Tids Digtning; det blev rimelig fra først af fæstet med Pen i Bog. Forholdet er omtrent det samme som mellem de homeriske og de aleksandrinske Eposer. […] Jeg tror, at det ikke er ældre end 17de Aarhundred.) (Bugge 1867, S. xlvif)

Die vier übrigen Gedichte (Grs, Hdl, Rgt, Vtk) sind in Pergamenthandschriften aus dem 13. und 14. Jahrhundert überliefert. Der Grottasöngr ist Teil der Prosa-Edda und scheint damit das älteste der vier Gedichte zu sein. Es ist höchstwahrscheinlich auch älter als die meisten Lieder des Codex Regius.

  • Fjm: Papp 8to Nr. 15 = St (um 1670), AM 738 4to = O, Nr. 18.19 (1680), NKS 1866 4to = L (1750), NKS 1868 4to = S (18. Jh.), NKS 1108 fol. = B (1769), NKS 1109 fol. = C (1769), NKS 1111 fol. = M (Ende 18. Jh.), weitere jüngere Handschriften: Handrit.is (Hauptverzeichnis), Handrit.is (Nebenverzeichnis); Bugge 1867: 50 Strophen; dänische Fassung: Karen Brahe E I,1 = A (Wikipedia), Nr. 81 (um 1583, 42 Strophen), GKS 2396, 4to = Ba, Nr. 36 (1591, 43 Strophen), Thott 775 4to = Bb, Nr. 71 (um 1610, 43 Strophen), Syv 1695 = Bc = 1732, S. 502–506 (41 Strophen), Thott 774 fol. = Ca (um 1650, 33 Strophen); Grundtvig 1856, S. 238–256 = A, Ba, Ca und zwei jüngere Aufzeichnungen, Grundtvig 1862, S. 841–843 = zwei Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, Lüning 1859 = Ca, dt.; schwedische Fassung: Geijer/Afzelius 1814, S. 57–59 (18 Strophen), Arwidsson 1837, S. 284–288 (25 Strophen); Titel: Fjǫlsvins mal (St, um 1670), Fiølsuyns M?l (O, 1680), Fiölsvinns mál (Edda Sæmundar 1787), Svipdagsmál II (Bugge 1867)
  • Fsl: Papp 8to Nr. 15 = A (um 1670), Lbs 1562 4to = B, Bl. 12r-13v (um 1660), Papp fol. Nr. 57 = C, Bl. 10r–10v (Ende 17. Jh.), Thott 1491 4to = D, Bl. 226r–228v (18. Jh.), Lbs 1441 4to = E, Bl. 289v–293v (um 1760), 32 weitere Sekundärhandschriften (Lassen 2011, S. 27f); Bugge 1867: 26 Strophen; Titel: Hrafnagaldur Óðins. Forspjalls-ljóð (Haupttitel und Untertitel in allen Handschriften, z. B. B 12r, Haupttitel ‚Odins Rabenzauber‘ wegen eines Missverständnisses des Worts hugur in Strophe 3 als Parallelform für Odins Raben Hugin entstanden, vgl. Lassen 2011, S. 21f–23); Beschreibungen: Lassen 2011, S. 27f
  • Grg: Papp 8to Nr. 15 = St (um 1670), AM 738 4to = O, Nr. 18.19 (1680), NKS 1866 4to = L (1750), NKS 1868 4to (18. Jh.), NKS 1868 4to = S (18. Jh.), NKS 1108 fol. = B (1769), NKS 1109 fol. = C (1769), NKS 1111 fol. = M (Ende 18. Jh.), weitere jüngere Handschriften: Handrit.is; Bugge 1867: 16 Strophen; dänische Fassung: Karen Brahe E I,1 = A, Nr. 81 (Wikipedia) (um 1583, 42 Strophen), GKS 2396 4to = Ba, Nr. 36 (1591, 43 Strophen), Thott 775 4to = Bb, Nr. 71 (um 1610, 43 Strophen), Syv 1695 = Bc = 1732, S. 502–506 (41 Strophen), Thott 774 fol. = Ca (um 1650, 33 Strophen); Grundtvig 1856, S. 238–256 = A, Ba, Ca und zwei jüngere Aufzeichnungen, Grundtvig 1856, S. 841–843 = zwei Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert, Lüning 1859 = Ca, dt.; schwedische Fassung: Geijer/Afzelius 1814, S. 57–59 (18 Strophen), Arwidsson 1837, S. 284–288 (25 Strophen); Titel: Gróu Galdur (St, um 1670), Gróu Galþur (O, 1680), Gróu-galdr (Rask/Afzelius 1818), Grogaldr (Munch 1847), Svipdagsmál I (Bugge 1867)
  • Grs: PE II 43 (GKS 2367 4to = R, Bl. 31r–31v = Prosa und 24 Strophen, um 1325, vgl. Sigurđsson 1848, S. 374–392, S.; AM 748 II 4to = C, Bl. 2r-2v = Prosa und GrgR 1, um 1400, vgl. Sigurđsson 1852, S. 577f; AM 757 4to = Prosazusammenfassung, um 1400, vgl. Sigurđsson 1852, S. 515); AM 748 I 4to = Prosazusammenfassung, um 1300, vgl. Sigurđsson 1852, S. 431); Bugge 1867: 24 Strophen; Titel: grotta savngr (R 31r = Prosa)
  • Hdl: GKS 1005 fol. = Flatyejarbók = F (225 Blätter, 1387–1395, Pergament), Bl. 2vb–3ra (50 Strophen), weitere junge Papierhandschriften, PE I 5 (HdlF 33); Titel: hyndlu hliod (F, Bl. 2vb), Völuspá inni skömmu (PE I 5); Beschreibungen: Kaalund 1900 (F), Skaldic Poetry (F), Handrit.is (F), Handrit.is (sieben jüngere Handschriften); Abbildung (F)

HyndlaliedF2vb

Anfang des Hyndluljóð (Flatyejarbók, Bl. 2vb)

  • Rgt: AM 242 fol. = W (85 paginierte Blätter, um 1350, Pergament), Bl. 76r–76v (48 Strophen, Ende fehlt, zum verlorenen Schluss, vgl. Bugge 1867, S. 149), weitere junge Papierhandschriften; Titel: rígsþula und rigsmal (nur in Papierhandschriften, vgl. Bugge 1867, S. 141); Beschreibung: Kaalund 1888 (W); Kommentar: Johannsson 1998 (pdf)
  • Sol: Lbs 1562 4to (um 1660), Bl. 7r-11v (ab Strophe 11, vgl. Lassen 2001, S. 35), Papp. 8vo nr 15 = St (um 1670), AM 738 4to = O (1680), Bl. 80r-83v, AM 166b 8to = I (Ende 17. Jh.), Bl. 45v–48v, AM 167b VI 8to = K (Ende 17. Jh.), AM 155a VI 8to = G (Ende 17. Jh., nur die 5 ersten Strophen), AM 750 4to (Ende 17. Jh.), Bl. 36v (nur die 11 ersten Strophen), NKS 1866 4to = L (1750), NKS 1108 fol. = B (1769), NKS 1109 fol. = C (1769), 16 weitere junge Papierhandschriften: Handrit.is; Bugge 1867: 83 Strophen; Titel: Sólarljóð (Sol 804, 836), Sólarljóðum (Jón Guðmundsson, Ristingar, um 1643, vgl. ÍB 299 4to (1764), Bl. 56r)
  • Vtk: A 1v–2r (14 Strophen), AM 738 4to (um 1680), weitere junge Papierhandschriften: Handrit.is (Hauptverzeichnis), Handrit.is (erstes Nebenverzeichnis), Handrit.is (zweites Nebenverzeichnis) (im Vergleich zu A hat die jüngere Überlieferung zahlreiche Zusätze, vgl. Bugge 1867, S. 138f. Die Zweitausgabe von 1787, die sich an der Handschrift 1866 4to = S (1750) orientiert, hat 19 Strophen, vgl. Bugge 1867, S. lxiv); Titel: balldrs dravmar (A 1v), Vegtams kuiþa (AM 738 4to), Vegtams kuiþa (Bartholin 1689)

Zusammenfassungen

Vsp: Völuspá (‚Der Seherin Wahrsagung‘)

  • Von Odin zur Wahrsagung aufgefordert, bittet die Seherin die Götter um Ruhe (VspR 1). Am Anfang der Welt war die Zeit der Riesen, die die Seherin erzogen haben. Die ersten Götter schufen die Welt, Midgard genannt, und gestalteten die Zeit. Danach schufen sie die Zwerge, die in einem langen Namensverzeichnis aufgelistet werden, und Ask und Embla, die ersten Menschen (VspR 2–18). In der Welt steht die Esche Yggdrasil mit den drei Schicksalsgöttinnen (VspR 19f). Da brach ein Krieg zwischen den Asen und den Wanen aus (VspR 21–28). Odin kam zur Seherin und befragte sie. Sie sah die Walküren, prophezeite Balders Tod durch Höds Pfeilschuss und beschrieb Lokis Strafe (VspR 29–35). Dann sah sie das Totenreich (VspR 36–42). Endlich prophezeit sie den Untergang der Welt nach dem Bruch der Fessel, die den Fenriswolf hält. Loki kämpft zusammen mit der Schlange Jörmungand (‚erdumspannend‘) und dem Riesen Surt (‚schwarz‘) gegen die Götter. Odin steht an der Spitze der Asen. Die Sonne wird schwarz, und die Erde sinkt ins Wasser (VspR 43–55). Da taucht die Erde wieder aus dem Meer auf, die Äcker tragen wieder Frucht, und Balder kehrt wieder. Zum Schluss wird die neue Welt von einem Drachen überflogen (VspR 56–62).

Hvm: Hávamál (‚Des Hohen Lied‘)

  • Dieses Lied ist kein einheitliches Gedicht, sondern anscheinend eine Gedichtsammlung. Sieben Teile lassen sich unterscheiden: ein erstes Sittengedicht (1–80), Bruchstücke verschiedener Art (81–94), ein erstes Odinsbeispiel (95–103), ein zweites Odinsbeispiel (104–110), ein zweites Sittengedicht genannt Loddfafnirlied (111–137), Odins Runenlied (138–145) und ein Zaubergedicht (146–164). Das erste Sittengedicht besteht aus Sprüchen über Lebensweisheit, die teilweise in der ersten Person vorgetragen werden. In den Bruchstücken werden Empfehlungen vor allem im Imperativ formuliert. In seinem ersten Beispiel erzählt Odin von einem missglückten Liebesabenteuer. Im zweiten Beispiel erzählt er von der Gewinnung des Dichtermets. Im zweiten Sittengedicht wendet er sich an einen unbekannten Loddfafnir und erteilt ihm Lehren über Frauen, Freunde, Bier und Kampf. In seinem Runenlied erzählt Odin von seiner Gewinnung der Runen durch Selbstmord. Im abschließenden Zaubergedicht beschreibt er die Wirkung von 18 Zaubersprüchen, ohne sie selbst auszusprechen. Die Sammlung endet mit einer allgemeinen Empfehlung an die Erdensöhne.

Vfm: Vafþrúðnismál (‚Vafthrudnirlied‘)

  • Obwohl Frigg es ihm abrät, fährt Odin zum Riesen Vafthrudnir, um seine Neugierde zu stillen und sich mit ihm zu streiten. Vor Ort stellt er sich als Gagnrad (‚mit Erfolg ratend‘) vor. Der Riese befragt seinen Gast über Skinfaxi und Hrimfaxi, die Pferde des Tags und der Nacht, den Strom Ifing und das Schlachtfeld Vigrid. Dann befragt Odin den Wirt über den Ursprung der Erde, des Himmels, des Mondes, der Sonne, des Tags, der Nacht, des Winters und des Sommers, des Geschlechts der Asen und der Riesen, der Zeit, des Windes, des Wanen Njörd, die Beschäftigung der verstorbenen Helden, den Fenriswolf und das Ende der Welt. Zum Schluss fragt Odin, was er seinem Sohn ins Ohr flüsterte. Der Riese kann die letzte Frage nicht beantworten, versteht, dass er mit Odin gekämpft hat, und erkennt seinem Gegner den Sieg an.

Grm: Grímnismál (‚Das Grimnirlied‘)

  • In einer Einleitung ist von zwei Königssöhnen Agnar und Geirröd die Rede. Agnar, der ältere Bruder, ist Friggs Ziehsohn, Geirröd derjenige Odins. Nach dem Tod ihres Vaters Hraudung usurpiert Geirröd den Thron. Das führt zu einer Wette zwischen Odin und Frigg über Geirröds Gastfreundschaft. Unter dem Namen Grimnir (‚der Maskierte‘) und in Verkleidung sucht Odin seinen Ziehsohn auf und wird von ihm mit Feuer gepeinigt. Während der Folter bietet Geirröds Sohn Agnar dem Gast ein Trinkhorn (Prosa). Mitten in den Flammen prophezeit Odin, dieser Sohn solle allein über das Land herrschen (1–3). Dann beschreibt er die Götterwohnungen (4–26) und listet die mythischen Flüsse und die Pferde der Asen auf (27–30). Danach schildert er die Esche Yggdrasil (31–36), einige Himmelskörper (37– 39) und die Schöpfung der Welt (40f). Er lobt dann verschiedene Elemente, Tiere und Götter (41–45) und listet seine eigenen Pseudonyme auf (46–50). Zum Schluss warnt er seinen Wirt und gibt sich als Odin zu erkennen (51–54). In einem Versuch, den Gott aus dem Feuer zu befreien, strauchelt Geirröd und durchbohrt sich mit seinem eigenen Schwert. Agnar tritt seine Nachfolge als König an, und Odin verschwindet (Prosa).

Skm: Skírnismál (‚Skirnirlied‘)

  • Der Wanensohn Frey entbrennt eines Tages in Liebe zur schönen jungen Riesin Gerd. Seine Eltern Njörd und Skadi bitten seinen Diener Skirnir, ihn zur Rede zu stellen (Prosa, 1f). Frey gesteht seinem Diener seine Liebe und schickt ihn mit einem Schwert zu den Riesen (3–10). Vor Ort erkundigt sich Skirnir bei einem Hirten nach der Jungfrau. Gerd hört ihn und bittet ihn in die Halle einzutreten (11–16). Skirnir bietet ihr elf goldene Äpfel und den Ring Draupnir um ihre Minne an, aber sie lehnt die Geschenke ab (17–22). Da droht er, ihr mit dem Schwert den Kopf abzuschlagen, und verflucht sie in Freys Namen mit einer Zauberrute (23–35). Um den Fluch zu verwirklichen, schneidet er die Þ-Rune in den Stab. Notgezwungen verspricht die Riesin ihrem Werber ein Stelldichein im Wald, und Skirnir entrichtet Frey diese Botschaft (36–42).

Hbl: Hárbarðsljóð (‚Harbardslied‘)

  • Auf der Heimreise vom Osten begegnet Thor einem Fährmann, der sich als Harbard (‚Graubart‘) vorstellt. Er weigert sich, Thor über den Sund zu setzen, prahlt mit Frauenerrungenschaften und beschuldigt Thor der Faulheit und der Angst. Thor verteidigt sich mit seinen Heldentaten bei den Riesen im Osten (1–40). Harbard behauptet, Thors Frau Sif habe ihn betrogen. Thor droht mit dem Hammer und verlangt übergesetzt zu werden. Der Wortstreit endet ohne Überfahrt (41–60). Harbard ist entweder mit Odin oder Loki identisch. Wie Harbard beschuldigt Loki Thors Frau Sif der Untreue (Lks 54), aber Odin nennt selbst Harbard als einen seiner Beinamen (Grm 49).

Hkv: Hýmiskviða (‚Hymirlied‘)

  • Die Götten suchen Ægir auf und stellen fest, dass er viele Kessel besitzt. Um seinen Gästen Bier zu brauen, bittet er Thor, einen geräumigen Kessel zu holen. Tyr empfiehlt dem Asen, diesen Kessel bei seinem Vater Hymir zu finden. Sie fahren zusammen zum Riesen und werden in der Halle mit Stierfleisch aufgewartet (1–15). Hymir fordert Thor dazu auf, für die Mahlzeit am kommenden Abend zusammen mit ihm zum Fischen zu gehen. Als Köder benutzt Thor einen Stierkopf. Hymir fängt zwei Walfische, Thor erhascht die Midgardschlange und trifft sie mit seinem Hammer, ohne sie allerdings zu fangen (16–28). Hymir nennt ihn einen Schwächling. Um seine Stärke zu zeigen, schleudert Thor Hymirs Trinkbecher gegen einen Felsen, aber der Becher ist magisch und kehrt in die Hand seines Besitzers zurück. Die Nebenfrau des Riesen gibt Thor den Rat, den Becher gegen Hymirs Kopf zu werfen. So bricht der Becher entzwei (29–32). Die Götter versuchen vergeblich, Hymirs Kessel aus der Halle zu schieben. Doch Thor gelingt es, den Kessel auf dem Kopf zu tragen. Bei der Abreise werden die Götter von Riesen verfolgt, aber Thor fällt sie mit seinem Hammer. Zum Schluss können die Götter bei Ægir Bier genießen (33–39).

Lks: Lokasenna (‚Lokis Zankreden‘)

  • Nach der Heimholung des großen Kessels bereitet Ægir den Göttern ein Gastmahl in seiner Friedenshalle. Nur Thor ist nicht dabei. Beim Essen erschlägt Loki einen Diener des Wirts, weil er das Lob der Götter auf die Bedienung lästig findet. Er wird verjagt, aber kommt zur Halle zurück (Prosa). Vor der Halle kündigt er dem anderen Diener an, er werde die Götter beschimpfen (1–5). Als er hereintritt und um Bier bittet, schweigen alle Anwesenden zunächst. Bragi verweigert ihm dann den Trank, aber Odin bittet seinen Sohn Vidar, Loki einzuschenken (6–10). Noch bevor er trinkt, beschimpft er der Reihe nach alle Götter. Er wirft Bragi Feigheit und dessen Frau Idun Lüsternheit vor (11–18). Gefion fordert die Eheleute zur Versöhnung auf und wird daraufhin von Loki der Hurerei beschuldigt. Odin verteidigt Gefion und bezeichnet Loki als verrückt (19–21). Loki wirft ihm vor, den falschen Menschen den Sieg zu verleihen und Zauberei zu üben (22–24). Odins Frau Frigg bittet die beiden Männer zu schweigen und wird von Loki des Geschlechtsverkehrs mit ihren Schwägern angeklagt. Sie bedauert Balders Tod, und Loki bekennt sich zu seiner Missetat (23–28). Freyja nennt ihn wiederholt verrückt und wird von ihm der Buhlerei mit allen Göttern und der Blutschande mit ihrem Bruder beschuldigt (29–32). Njörd verteidigt seine schöne Tochter und wird von Loki daran erinnert, dass Hymirs Töchter ihm in den Mund machten, als er bei den Riesen Geisel war. Außerdem soll Njörd seinen Sohn mit seiner eigenen Schwester erzeugt haben (33–36). Tyr verteidigt Frey und wird daraufhin für den Verlust seiner rechten Hand verspottet. Loki rühmt sich auch, den Asen zum Hahnrei gemacht zu haben (37–40). Frey warnt Loki, dass er wie Fenrir gefesselt enden wird, wenn er nicht schweigt. Loki macht sich über Freys missglückte Werbung lustig, bei welcher er wegen Liebe sein Schwert verschenkte. Freys Diener Beyggvir verteidigt seinen Herrn und wird dafür mit einem feigen Hund verglichen (41–46). Heimdall hält Loki für betrunken und wird selbst als schlechter Wächter der Götter bezeichnet (47f). Skadi warnt Loki, dass er bald mit Därmen gefesselt wird. Er erinnert sie an seine Mitschuld am Tod ihres Vaters Thjassi und rühmt sich, mit ihr geschlafen zu haben (49–52). Um ihn zum Schweigen zu bringen, schenkt ihm Sif wieder ein. Loki wirft ihr Untreue vor und behauptet, selbst Thor zum Hahnrei gemacht zu haben. Freys Diener Beyla kündigt Thors baldige Ankunft an und wird des Geschlechtsverkehrs mit dem anderen Diener Beyggvir beschuldigt (53–56). Da kommt Thor an und droht, Loki den Kopf abzuschlagen. Loki wirft ihm Feigheit vor und ergreift die Flucht (57–64).

Trk: Þrymskviða (‚Thrymlied‘)

  • Eines Tages entdeckt Thor beim Erwachen, dass sein Hammer gestohlen ist. Mit Loki geht er zu Freyja, und sie leiht Loki ihr Federhemd. Damit fliegt er zu den Riesen und findet Thrym auf einem Hügel sitzen. Gegen den Hammer verlangt der Riese Freyja als Braut (1–8). Loki und Thor kehren zu Freyja zurück, aber sie weigert sich mitzufahren. Auf Heimdalls Vorschlag hin verkleidet sich Thor widerstrebend als Braut. Loki verkleidet sich als seine Dienerin (9–20). Beide reisen zu Thrym zurück, und der Riese veranstaltet eine Hochzeit mit reichlichem Essen und Trinken. Thrym wundert sich über den großen Appetit und Durst seiner Braut und scheut vor ihren flammenden Augen zurück. Loki beruhigt ihn jedes Mal mit Lügengeschichten (21–28). Besänftigt legt Thrym seiner Braut den Hammer in den Schoß. Da lacht der Gott und zerschmettert zugleich den Riesen und dessen Schwester (29–32). Die dänische Fassung erzählt dieselbe Geschichte. Thor, Loki und Freyja heißen Tord, Locke und Fredensborgh (Ab), Frederichsborgh (Aa), Fridleffsborg (B) und sind Geschwister. Der Riese ist zu einem anonymen Troll geworden und trägt den Grafentitel. Die in der Originalfassung nicht erwähnte Götterwohnung Asgard wird zu Haffsgaard (‚Meeresburg‘) umgedeutet. Der Hammer bekommt aus dunklen Gründen den Namen Suercken (Aa, Ab) oder Suerckind (B). Endlich zieht der Hammerbesitzer nicht selbst zum Dieb, sondern schickt an seiner Stelle seinen alten Vater ab.

Vkv: Völundarkviða (‚Völundlied‘)

  • Der Finnenkönig hatte drei Söhne, Slagfid, Egil und Völund. In den Wolfstälern entdecken sie drei Walküren mit Schwanenfedern und heiraten sie. Nach sieben Wintern fliegen die Frauen fort. Während Slagfid und Egil sich auf die Suche machen, bleibt Völund in den Wolfstälern und wird dort von König Nidud ergriffen (Prosa). Im Gedicht wird der Beginn der Geschichte bis zum Abflug der Walküren in Kürze wiederholt (1–4). Wir sehen dann Völund an der Arbeit. Er ist Schmied und stellt Goldringe her. Nidud schickt seine Krieger in die Wolfstäler, um einen der Ringe zu stehlen (5–10). Beim Erwachen ist Völund an Händen und Füßen gebunden und befindet sich bei Nidud. Der König beschuldigt den Schmied, das Gold gestohlen zu haben, gibt seiner Tochter Bödvild den geraubten Ring und behält selbst Völunds Schwert. Die Königin empfiehlt ihrem Mann, Völund die Kniekehlen zu zerschneiden und ihn auf eine Insel zu schicken. Dort wird der verletzte Schmied im Dienst des Königs arbeiten (11–17). Eines Tages kommen Niduds zwei Söhne auf die Insel, um die Kunstwerke des Schmieds zu sehen. Er enthauptet sie, verwandelt ihre Hirnschalen in Trinkbecher und benutzt ihre Augen als Edelsteine und ihre Zähne für einen Halsring. Er gibt Bödvild die Schmucksachen, und sie kommt auf die Insel, um ihren Goldring reparieren zu lassen. Dort schläfert er sie ein, vergewaltigt sie und fliegt mit einem Federgewand zu Nidud (18–29). Der König fragt ihn nach den beiden Söhnen. Völund erklärt ihm die Rache und fliegt lachend fort. Bödvild bestätigt ihrem Vater, dass der Schmied die Wahrheit gesagt hat (30–41). Trotz erheblicher Unterschiede im Detail enthält die Fassung der Thidrekssaga dieselben Grundzüge. Der Schmied Velent arbeitet im Dienst des Königs Nidung, bekommt die Achillssehnen durchgeschnitten, tötet die beiden Prinzen, vergewaltigt die Prinzessin und fliegt zum König zurück, um ihm die Wahrheit zu sagen. Durch Entlehnung der berühmten Apfelschussepisode aus Saxos Gesta Danorum (X,7), die im 15. Jahrhundert als Grundlage für die Sage von Wilhelm Tell diente, ist Egil in der Saga zu einem Meisterschützen verwandelt worden.

Alv: Alvíssmál (‚Alvislied‘)

  • Der Zwerg Alvis (‚der Allweise‘) kommt zu Thor, um die Tochter des Gottes abzuholen. Er will sie heiraten. Thor bestreitet die Verlobung, weil sie in seiner Abwesenheit stattgefunden hat. Er ist jedoch bereit, auf seine Tochter zu verzichten, wenn ihn der Zwerg im Wortduell besiegt (1–8). Konkret muss Alvis Synonyme für die Erde, den Himmel, den Mond, die Sonne, die Wolken, den Wind, die Luft, das Meer, das Feuer, den Wald, die Nacht, die Saat und das Bier nennen. Der Zwerg beantwortet alle Fragen richtig (9–34). Doch er verliert die Wette, denn zum Schluss scheint die Sonne in die Halle und verwandelt ihn in Stein (35).

Hh1: Helgakviða Hundingsbana I (‚Erstes Lied von Helgi dem Hundingstöter‘)

  • Einst gebar Borghild in Bralund Helgi, den Sigmund gezeugt hatte. Damals herrschte Krieg (1–9). Mit fünfzehn erschlug der Knabe Hunding und später dessen Söhne. Da erscheinen Walküren, darunter Sigrun. Ihr Vater Högni hat sie dem König Hödbrodd versprochen. Deshalb bittet sie Helgi um Hilfe, und er akzeptiert, für sie zu kämpfen (10–20). Er sammelt eine Flotte und nimmt seinen Bruder Sinfjötli mit. Auch Hödbrodd ist von seinem Bruder Gudmund begleitet. Vor der Seeschlacht beschimpfen sich Sinfjötli und Gudmund (21–44). Helgi unterbricht den Wortstreit, und seine Ankunft wird Hödbrodd angekündigt. Die Schlacht findet am Frekastein statt. Sigrun gewährt Helgi den Sieg und wird seine Braut (45–56). Dieses Gedicht erzählt die Fortsetzung von Helgakviða Hjörvarðssonar. Deshalb wurde die Reihenfolge der beiden Lieder in allen älteren Ausgaben vertauscht.

Hhj: Helgakviða Hjörvarðssonar (‚Lied von Helgi Hjörvardsson‘)

  • Hjörvard ist ein König. Nach drei Ehen wirbt er vergeblich durch den Jarlssohn Atli um Sigrlinn, die schöne Tochter des Königs Svafnir (Prosa). Das Lied berichtet von einer ersten erfolglosen Werbefahrt und beginnt mit einem Gespräch zwischen Atli und einem Vogel (1–5). Bei der zweiten Werbefahrt zieht der König selbst mit. Svafnirs Land wird von König Hrodmar, einem anderen Freier von Sigrlinn, verwüstet, und er wird selbst von Hrodmar erschlagen. Es gelingt Atli, Sigrlinn mitzunehmen und sie mit Hjörvard zusammenzuführen. Die beiden bekommen einen schweigsamen Sohn und geben ihm keinen Namen (Prosa). Eines Tages sieht er neun Walküren. Darunter ist Svava, Eylimis Tochter. Sie nennt ihn Helgi und erzählt von einer Insel mit einem goldenen Schwert (6–9). Zusammen mit Atli und mit dem Schwert bewaffnet, rächt Helgi seinen Großvater, indem er Hrodmar fällt. Er erschlägt dabei auch den Riesen Hati und legt seine Flotte in einen Fjord. In der Nacht streitet sich Hrimgerd, die Tochter des Riesen, mit Atli. Er hält Wache auf dem Schiff, und die Flotte wird auch von Svava beschützt. Der Wortstreit dauert bis zum Tagesanbruch, bei welchem Hrimgerd in Stein verwandelt wird (10–30). Nach der Vereinigung mit Svava geht Helgi auf Kriegszug. Währenddessen legt sein älterer Halbbruder Hedin aus Hjörvards erster Ehe einen Eid auf Svava ab. Im Süden gesteht er Helgi die Wahrheit. Helgi spürt seinen baldigen Tod im Zweikampf gegen einen Sohn von Hrodmar und traut für den Fall eines tragischen Ausgangs die Walküre seinem Bruder Hedin an. Die Vorahnung bestätigt sich. Tödlich verletzt schickt Helgi einen Boten zu Svava, damit sie schnell zu ihm kommt. Beim Sterben bittet er sie, seinen Halbbruder in ihr Bett zu empfangen. Wegen eines Treueschwurs lehnt sie die Bitte ab. Hedin schwört zum Schluss, Helgi zu rächen. Es heißt, Helgi und Svava seien wiedergeboren worden (31–43).

Hh2: Helgakviða Hundingsbana II (‚Zweites Lied von Helgi dem Hundingstöter‘)

  • Helgi ist Sohn von Sigmund, Völsungs Sohn, und Borghild und nach Helgi Hjörvardsson genannt. Er wird von Hundings Kriegern verfolgt und verkleidet sich als Magd, um sich zu retten. Danach tötet er Hunding unter dem Schutz der Walküre Sigrun, der wiedergeborenen Svava (1–4). Sie sucht ihn auf, stellt ihm Fragen über seine Flotte und seine Heerfahrt und gibt sich als Högnis Tochter zu erkennen (5–12). In Prosa wird erklärt, dass sie ihn schon getroffen hat, als er mit Hundings Söhnen kämpfte. Damals bat ihn Sigrun, Hödbrodd herauszufordern, weil ihr Vater sie mit ihm verlobt hatte. Sie wollte aber nur Helgi heiraten. Er versprach ihr zu helfen und sammelte ein Schiffsheer. Während der Seereise beschwichtigte Sigrun einen Sturm (13–18). Am Frekastein beschimpfen sich Helgis Bruder Sinfjötli und Hödbrodds Bruder Gudmund (19–24 = Hh2R 25–29). Hunding sammelt jetzt ein Heer, an dem Sigruns Vater und ihre Brüder sich beteiligen. In der Schlacht fallen Hödbrodd und alle seine Krieger bis auf Sigruns Bruder Dag. Auf dem Schlachtfeld spricht die Walküre mit dem sterbenden König, der sie heiraten sollte, dann mit dem Sieger Helgi (24Prosa–29 = Hh2R 19Prosa–24). Helgi heiratet Sigrun, bekommt mit ihr Söhne, wird aber eines Tages von seinem Schwager Dag ermordet. Sigrun verflucht ihren Bruder, er wälzt die Schuld auf Odin, der ihm seinen Speer geliehen hatte (29Prosa–38). Posthum verspottet Helgi Hunding in Valhall und unterhält sich mit Sigrun an seinem Grabhügel. Sie verbringen eine Liebesnacht zusammen. Sigrun lebte weiter in Kummer, denn Helgi kam niemals zurück. Im [nicht erhaltenen] Lied der Kara wird allerdings erzählt, dass die beiden noch einmal als Helgi und Kara wiedergeboren wurden (39–51).

Dsf: Frá dauða Sinfjötla (‚Von Sinfjötlis Tod‘)

  • Sinfjötli war Sigmunds Sohn aus erster Ehe, Helgi dessen Halbbruder aus Sigmunds zweiter Ehe mit Borghild. Eines Tages erschlug Sinfjötli den Bruder seiner Stiefmutter Borghild. Als Rache dafür bot sie ihm einen vergifteten Trank. Er übergab ihn seinem Vater, der ihn leerte, weil er gegen Gift unempfindlich war. Der Auftritt wiederholte sich dreimal. Das letzte Mal ließ Sinfjötll den Trank durch seinen Schnurrbart seihen und starb. An einem Fjord wurde seine Leiche von einem Fährmann entführt. Nachdem Sigmund lange bei Borghild in Dänemark gewohnt hatte, zog er in sein eigenes Reich im Frankenland, heiratete Hjördis, Eylimis Tochter, bekam Sigurd mit ihr und wurde schließlich von Hundings Söhnen getötet. Danach heiratete Hjördis Alf, den Sohn des Königs Hjalprek. Dort wuchs Sigurd auf (Prosa).

Grp: Grípisspá (‚Gripirs Wahrsagung‘)

  • Sigurd reitet zu König Gripir, dem Bruder seiner Mutter Hjördis, um Auskunft über seine Zukunft zu erlangen. Vor der Halle seines Onkels bittet er den Pförtner um Zugang. Gripir empfängt ihn (1–5). Sigurd befragt seinen Onkel über den Ausgang seines Lebens. Gripir weissagt ihm Ruhm, Schönheit und Weisheit. Zuerst wird er seinen Vater Sigmund und seinen Großvater mütterlicherseits Eylimi dadurch rächen, dass er Hundings Söhne tötet. Dann wird er den Wurm Fafnir auf der Gnitaheide und dessen Bruder Regin erschlagen, danach einen Goldschatz finden und damit auf Grani zu König Gjuki reiten und später eine schlafende brünnetragende Frau auf einem Felsen wecken. Ihr Name wird nicht genannt. Sie wird ihm die Runen beibringen. Mehr will Gripir nicht erzählen. Sigurd verlangt, dass er seine Weissagung fortsetzt (6–24). Sein Onkel prophezeit ihm, er werde sich in Budlis herrliche Tochter Brynhild verlieben, die von Heimir aufgezogen wird. Er werde ihr Treue schwören, sie aber nach einer Nacht als Gjukis Gast vergessen und an ihrer Stelle Grimhilds Tochter Gudrun heiraten. Von Grimild getäuscht, werde er für Gudruns Bruder Gunnar um Brynhild werben. Er werde zusammen mit Gunnar und dessen Bruder Högni Eide schwören, mit Gunnar die Gestalt wechseln, drei Nächte keusch bei Brynhild schlafen und dann Hochzeit mit Gudrun feiern (25–45). Als Rache werde Brynhild Sigurd verleumden und ihrem Mann Gunnar erzählen, bei ihr habe Sigurd seinen Treueeid gegenüber ihm gebrochen. Dadurch werde sie einen Mord veranlassen. Gripir nennt den Vollstrecker der Missetat nicht (46–53).

Rgm: Reginsmál (‚Reginlied‘)

  • Sigurd kam zu König Hjalpreks Gestüt, wählte sich daraus den Hengst Grani und wurde vom Zwerg Regin erzogen. Dieser erzählte ihm vom Mord an seinem Bruder Otter (Prosa). Einst raubte Loki Gold von Andvari an einem Wasserfall. Der Zwerg verfluchte den Schatz und prophezeite zwei Brüdern den Tod und einen Streit unter acht Edlen. Die Götter gaben Regins Vater Hreidmar das Gold, und Loki wiederholte die Prophezeiungen. Fafnir tötete seinen Vater und nahm den Schatz in seinen Besitz. Beim Sterben rief Hreidmar seine Töchter Lyngheid und Lofnheid, und Lyngheid riet Regin ab, seinen Bruder zu erschlagen (1–12). Eines Tages traf Regin Sigurd und beschloss ihn zu erziehen (13f). Er erzählte ihm von Fafnir auf der Gnitaheide, schmiedete ihm ein scharfes Schwert und stachelte ihn zum Mord am Drachen auf. Hjalprek gab Sigurd eine Flotte für die Rache. Unterwegs brach ein Sturm aus. Ein Mann, der sich Hnikar [Beiname für Odin] nannte, verlangte mitgenommen zu werden, und sofort legte sich der Wind. Der Fremde gab Sigurd Ratschläge für den bevorstehenden Kampf. In einer Schlacht erschlug Sigurd Lyngvi und Hundings drei andere Söhne. Regin freute sich (15–26).

Ffm: Fáfnismál (‚Fafnirlied‘)

  • Erneut stachelt Regin seinen Ziehsohn Sigurd auf, Fafnir zu töten. Auf der Gnitaheide gräbt Sigurd eine Grube und stößt von da aus ein Schwert durch das Herz des Drachen (Prosa). Im Sterben fragt Fafnir den Helden nach seinem Namen. Sigurd beschreibt sich als ein elternloses, herumziehendes Tier und nennt seinen Namen und denjenigen seines Vaters. Fafnir weissagt ihm den Tod, wenn er den Schatz raubt. Sigurd befragt den Drachen über die Nornen und das Ende der Welt. Danach unterhalten sie sich über Fafnirs Schreckenshelm. Nochmals rät der Drache Sigurd ab, das Gold zu nehmen, erkennt, dass Regin ihn verraten hat, und stirbt (1–22). Da kommt Regin zurück und gratuliert seinem Ziehsohn zum Sieg. Dann schneidet er seinem toten Bruder das Herz heraus, trinkt Blut aus der Wunde, bittet Sigurd, das Herz für ihn zu braten, und geht schlafen. Sigurd wirft ihm Feigheit vor. Beim Braten verbrennt er sich einen Finger, schmeckt das Drachenblut und versteht plötzlich die Vogelsprache (23–31). Eine Meise empfiehlt ihm, das Herz selbst zu essen. Eine zweite warnt ihn vor seinem Ziehvater. Eine dritte stachelt ihn zum Mord an Regin auf. Vier weitere Meisen tun dasselbe. Sigurd schlägt dem schlafenden Schmied den Kopf ab, isst selbst das Herz und trinkt das Blut beider Brüder (32–39). Die Meisen erzählen ihm zum Schluss von einer schönen Jungfrau und raten ihm, um Gjukis Tochter zu werben. Die Namen der beiden Frauen bleiben im Dunkeln. Nur die Walküre Sigrdrifa wird mit Namen erwähnt. Sie schläft von Feuer umgeben auf dem Hindarfjall. Ygg [Odin] hat sie mit einem Dorn gestochen, weil sie ihm ungehorsam war. Sigurd reitet zu Fafnirs unterirdischer Eisenhöhle und findet das Gold, den Schreckenshelm, eine Goldbrünne und ein Schwert. Er packt alles auf Granis Rücken (40–44).

Sdm: Sigrdrífumál (‚Sigrdrifalied‘)

  • Sigurd reitet zum Hindarfjall im Frankenland. Auf dem Berg leuchtet eine Schildburg wie Feuer. Sigurd geht hinein und glaubt zunächst, einen schlafenden Krieger zu finden. Da entdeckt er, dass es eine Frau ist. Als er ihre Brünne durchschneidet, erwacht sie und fragt ihn, wer er sei. Er stellt sich als Sigurd, Sigmunds Sohn, vor. Sie erklärt, Odin habe sie mit Runen zum Schlaf verurteilt, gibt ihrem Retter einen Erinnerungstrank und nennt sich Sigrdrifa. Einst hatte Odin dem alten König Hjalmgunnar den Sieg versprochen, aber sie hatte dessen Gegner Agnar in Schutz genommen und war dafür von Odin mit einem Schlafdorn gestochen und zur Ehe gezwungen worden. Sie hatte geschworen, nur einen furchtlosen Mann zu heiraten (1–4). Sigurd bittet sie um Weisheit, und sie weiht ihn in die Runenkunde ein. Sie erklärt ihm Funktion und Anwendung der Runen Tyr, Naud (‚Not‘) und Lauk (‚Lauch‘). Weitere Runen befördern Entbindung, Schifffahrt, Heilung, Beredsamkeit und Weisheit. Sigrdrifa beschreibt auch die mythische Herkunft der Schriftzeichen (5–20). Sigurd bittet sie dann um Beratung, und sie gibt ihm elf Ratschläge. Er soll sich nicht an Verwandten rächen, keinen falschen Eid schwören, sich nicht auf Versammlungen in Streit verwickeln, auf Hexen und schöne Frauen achten, Betrunkenheit vermeiden, im Kampf Mut zeigen, keine fremde Frau verführen, die Toten waschen und begraben und für sie beten, den Söhnen seiner erschlagenen Feinde misstrauen und künftiges Unheil voraussehen (21–37).

Inhalt der Lücke nach der Völsungasaga

  • Nach der Runenlehre verloben sich Sigurd und die Walküre, die mit Brynhild identisch sein muss. Sigurd reitet dann zu Gjukis Hof und heiratet dort Gudrun, nachdem ihm die Königin Grimhild einen Vergessenstrank gegeben hat. Er gewinnt danach Brynhild für seinen Schwager Gunnar und legt ein trennendes Schwert neben sich und die Walküre nach dem Ritt durch die Waberlohe. Er nimmt ihr jedoch einen Ring, der später zum Streit zwischen ihr und Gudrun führen wird. Dafür stachelt sie Gunnar zur Rache an Sigurd auf, indem sie behauptet, dieser habe sie auf dem Hindarfjall entjungfert.

GudrunundBrynhildimWasser

Brynhild und Gudrun streiten sich im Wasser (Sander 1893, S. 235)

Brt: Brot af Sigurðarkviðu (‚Fragment eines Sigurdlieds‘)

  • Das Fragment setzt bei der Mordberatung ein. Anscheinend sind die ersten Sprecher Högni und Gunnar. Letzterer beschwert sich darüber, dass Sigurd ihm einen Treueeid gebrochen hat. Es wird Gothorm überlassen, den Mord zu verüben (BrtR 1–4). Er tötet Sigurd am Rhein (BrtR 11). Gudrun erkundigt sich nach ihrem Mann. Högni gesteht und rechtfertigt den Mord. Brynhild freut sich, und Gudrun verflucht Gunnar (BrtR 5–10). Er schläft unruhig, weil Vögel weissagt haben, Atli werde sich rächen. Brynhild erwacht, übernimmt weinend die Verantwortung für den Mord, prophezeit den Untergang des ganzen Geschlechts der Niflungen und erklärt, dass Sigurd mit einem trennenden Schwert neben ihr lag (BrtR 12–19). Im Epilog wird erklärt, dass der Mord im Lied anscheinend draußen stattfindet. Diese Erklärung wird von deutschen Gewährsleuten bestätigt, nach denen Sigurd im Wald getötet wurde. Nach anderen wurde er jedoch in seinem Bett erschlagen. Im Alten Gudrunlied war er mit Gjukis Söhnen zu einer Versammlung geritten (Prosa).

Gk1: Guðrúnarkviða I (‚Erstes Gudrunlied‘)

  • Gudrun trauert beim toten Sigurd, ohne weinen zu können. An Gjukis Hof versuchen die Frauen sie zu trösten, indem sie von ihrem bitteren Leid erzählen. Gjaflaug, die Schwester des Königs, bedauert den Verlust von fünf Ehemännern, drei Töchtern und elf Geschwistern. Innerhalb von sechs Monaten verlor Herborg, Königin im Hunnenland, ihren Ehemann und sieben Söhne im Krieg, ihre Eltern und vier Brüder bei einem Seesturm und geriet selbst in Gefangenschaft. Gullrönd, Gjukis Tochter, zieht das Tuch von Sigurd und rät der Witwe die Lippen der Leiche zu küssen. Da beginnt Gudrun Tränen zu gießen (1–16). Gullrönd lobt den Verstorbenen. Gudrun vergleicht ihn mit einem Edelstein und verflucht ihre Brüder. Sie prophezeit Gunnar den Tod wegen des gebrochenen Schwurs und des geraubten Golds. Sie verflucht auch Brynhild. Letztere verflucht ihrerseits Gullrönd, und die beiden Frauen beschimpfen sich gegenseitig. Brynhild schreibt ihrem Bruder Atli die Schuld zu und deutet an, dass er sie aus Goldgier zur Ehe zwang (17–27). Danach ging Gudrun für sieben Halbjahre nach Dänemark. Brynhild ließ 13 Diener töten und gab sich mit dem Schwert den Tod (Prosa).

Ssk: Sigurðarkviða hin skamma (‚Kurzes Sigurdlied‘)

  • Sigurd kam zu Gjuki und schwur den Königssöhnen Treue. Sie gaben ihm ihre Schwester Gudrun. Er freite für Gunnar um Brynhild und legte ein Schwert zwischen sich und sie. Brynhild ist eifersüchtig auf ihre Schwägerin Gudrun und stachelt ihren Mann zum Mord an Sigurd und dessen Sohn auf (1–12). Gunnar berät sich mit seinem Bruder Högni. Dieser erinnert ihn an den Treueschwur. Gunnar schlägt deshalb ihren jüngeren Bruder Gothorm vor, der am Eid nicht beteiligt war. Er steckt ein Schwert ins Herz des schlafenden Sigurd und wird selbst vom sterbenden Helden erschlagen. Gudrun erwacht. Sigurd denkt besorgt an seinen jungen Sohn, erkennt Brynhild als die Urheberin des Anschlags, beteuert seine Unschuld und stirbt (13–29). Brynhild lacht, und Gunnar droht, ihren Bruder Atli zu töten. Sie macht sich über seine Feigheit lustig und erklärt ihm, Atli habe sie zur Ehe gezwungen. Sie habe aber nur Sigurd geliebt und wolle jetzt sterben. Gunnar versucht sie vom Selbstmord zurückzuhalten, und beruft den Hof. Högni weigert sich einzugreifen (30–46). Brynhild lässt ihre Dienerschaft töten, legt eine Goldbrünne an und durchbohrt sich mit einem Schwert. Im Sterben prophezeit sie die Geburt von Sigurds Tochter Svanhild, Gudruns Ehe mit Atli und Gunnars Werbung um Atlis Schwester Oddrun, Gunnars Tod in Atlis Schlangenhof, Gudruns Mord an Atli und ihren Söhnen und Gudruns Ehe mit Jonak. Zum Schluss bittet Brynhild um einen großen Scheiterhaufen für Sigurd, sie selbst, ihre Dienerschaft und das Schwert und stirbt (47–71).

Hlr: Helreið Brynhildar (‚Brynhilds Todesfahrt‘)

  • Auf dem Weg zum Totenreich begegnet Brynhild einer Riesin, die ihr Vorwürfe macht und ihr den Eintritt in ihren Hof verwehrt. Brynhild rechtfertigt sich und erklärt, sie sei mit zwölf Jahren von einem jungen König ihrer Hülle beraubt worden und habe ihm einen Treueeid geleistet. Man nannte sie damals Hild. Sie verweigerte als Walküre Odin den Gehorsam, indem sie nicht dem alten Hjalmgunnar, sondern einem jungen Krieger, anscheinend dem raubenden König, den Sieg gewährte. Dafür wurde sie in einer von Flammen umgebenen Schildburg zum Schlaf verurteilt. Nur einem furchtlosen Helden, der ihr Fafnirs Gold brächte, erlaubte Odin, sie zu wecken (1–10). Sigurd kam auf Grani und legte sich wie ein Bruder neben sie. Die beiden verbrachten acht Nächte zusammen, ohne sich zu umarmen. Gudrun warf Brynhild vor, in Sigurds Armen geschlafen zu haben. So entdeckte sie den Betrug. Zum Schluss kündigt sie der Riesin an, sie wolle mit Sigurd zusammen sein, und befiehlt ihr zu verschwinden (11–14).

BrynhildsHelreidSander1893

Brynhilds Begegnung mit einer Riesin (Sander 1893, S. 261)

Drn: Dráp Niflunga (‚Tötung der Niflungen‘)

  • Gunnar und Högni nahmen Sigurds Gold und gaben ihre Schwester Gudrun an Atli zur Frau als Buße für den Verlust seiner Schwester Brynhild. Um sie zur Ehe zu bringen, gaben sie ihr einen Vergessenstrank. Sie brachte Sigurds Tochter Svanhild in die Ehe mit und bekam zwei Söhne Erp und Eitil mit Atli. Er sandte einen Boten names Vingi oder Knefröd zu seinen Schwägern, um sie einzuladen und in eine Falle zu locken. Gudrun warnte sie mit Runen und schickte Andvaris Ring als Erkennungszeichen mit. Gunnar hatte vergeblich um Atlis Schwester Oddrun geworben und stattdessen Glaumvör geheiratet. Högni nahm Kostbera. Die beiden Brüder bekamen drei Söhne Solar, Snävar und Gjuki. Bei ihrer Ankunft wurden Gunnar und Högni getötet. Högni wurde das Herz herausgeschnitten. Gunnar spielte Harfe im Schlangenhof, bis er gebissen wurde (Prosa).

Gk2: Guðrúnarkviða II (‚Zweites Gudrunlied‘)

  • König Thjodrek lebte bei Atli und hatte fast alle seine Männer verloren. Er klagte Gudrun seinen Kummer, und sie ihm den ihren. Sie liebte ihren Mann Sigurd über alles, aber er wurde von seinen Schwägern beneidet, so dass sie ihn bei einer Versammlung durch Gothorm töten ließen. Sie fragte Grani nach seinem Reiter, und Högni meldete ihr den Tod. Sie verfluchte ihn und sammelte im Wald die Reste ihres Mannes (1–12). Dann fuhr sie nach Dänemark und verbrachte sieben Halbjahre bei Thora, der Tochter Hakons. Die beiden Frauen wirkten Bilder über Krieg und Kampf. Auf Grimhilds Veranlassung warben verschiedene Boten vergeblich um Gudrun. Grimhild gab ihr dann einen Vergessenstrank und kam selbst zu ihr, um sie zur Ehe mit König Atli zu überreden. Gudrun weigerte sich zunächst und hatte Sigurd noch nicht vergessen. Sie prophezeite den Tod ihrer Brüder Gunnar und Högni und willigte zum Schluss trotzdem in die Ehe ein (13–34). Die Reise zu Atli ging über Land und See und dauerte drei Wochen. Der König hat unheilvolle Träume gehabt und sah sich selbst von Gudrun erschlagen. Das Gedicht bricht mitten in Gudruns Rede ab (35–44).

Gk3: Guðrúnarkviða III (‚Drittes Gudrunlied‘)

  • Herkja, Atlis Magd und frühere Geliebte, sagt dem König, Gudrun habe mit Thjodrek geschlafen. Gudrun beteuert ihre Unschuld, wirft ihrem Mann den Brudermord vor und verlangt eine Kesselprobe, um sich von der Anklage zu befreien (1–6). Unverletzt holt sie Edelsteine aus siedendem Wasser. Danach verbrüht sich Herkja die Hände und wird ins Moor geworfen (7–11).

Odg: Oddrúnargrátr (‚Oddruns Klage‘)

  • Borgny, Tochter des Königs Heidrek, wird vom Krieger Vilmund schwanger
    gemacht, kann ihr Kind aber nicht zur Welt bringen. Da reitet Oddrun, Atlis
    Schwester, zu ihr und lässt sich die Lage von Borgnys Dienerin erklären. Mit
    Zauberliedern hilft sie der Königstochter, die Zwillinge gebiert (OdgR 1–10, 15f). Oddrun erzählt dann von ihrer unglücklichen Liebe zu Gunnar. Mit fünf wurde sie von
    ihrem sterbenden Vater zu Gunnar geschickt, um später seine Frau zu werden. Da
    eroberte Fafnirs Töter Brynhilds Burg für Gunnar. Brynhild erkannte den Betrug
    der Männer, rächte sich an Sigurd und nahm sich das Leben (OdgR 11–13, 205–8, 14, 17–19). Der verwitwete Gunnar warb vergeblich bei Atli um dessen andere Schwester. Oddrun wurde trotzdem seine Geliebte und kam in Verruf. Die beiden Liebhaber wurden eines Tages von Atlis Boten auf frischer Tat ertappt (OdgR 201–4, 21–27). Dieser Verrat veranlasste die hinterlistige Einladung von Gjukis Söhnen an Atlis Hof. Dort wurde Högni das Herz herausgeschnitten, Gunnar wurde in den Schlangenhof geworfen. Oddrun eilte herbei, um ihn zu retten, kam aber zu spät. Atlis Mutter,
    verwandelt in Schlange, biss ihren Liebhaber. So endet Oddruns Klage (OdgR 28–34).

Akv: Atlakviða (‚Kurzes Atlilied‘)

  • Atli schickt Knefröd zu Gjukis Hof, um seine Schwäger einzuladen. Der Bote verspricht ihnen große Schätze. Gunnar fragt Högni um Rat, und dieser erinnert sich an den Ring, den Gudrun als Warnung geschickt hat. Gunnar nimmt trotzdem die Einladung an (1–11). Bei ihrer Ankunft in Atlis Halle werden die Brüder erneut von Gudrun gewarnt und dann von den Kriegern ihres Wirts ergriffen (12–19). Gunnar bekommt die Möglichkeit, sein Leben mit Gold zu erkaufen, und verlangt Högnis Herz. Atlis Leute bringen ihm das Herz eines Knechts in einer Schüssel, und Gunnar erkennt den Betrug daran, dass es zittert. Dann wird Högni das Herz herausgeschnitten und Gunnar gebracht. Er erkennt es daran, dass es wenig zittert. Er freut sich darüber, jetzt der Letzte zu sein, der das Versteck des Golds im Rhein kennt (20–27). Daraufhin befiehlt Atli, dass Gunnar in den Schlangenhof geworfen wird. Gudrun verflucht ihren Mann (28–31). Nach dem Mord reicht sie Atli einen Kelch mit dem Blut seiner Söhne Erp und Eitil und als Speise ihre Herzen. Atli geht betrunken ins Bett und wird dort von Gudrun mit einem Schwert getötet. Zum Schluss legt sie die Halle in Feuer (32–43).

Atm: Atlamál (‚Langes Atlilied‘)

  • Atli schickt zwei Boten zu seinen Schwägern, um sie in eine Falle zu ziehen. Um ihre Brüder zu warnen, ritzt Gudrun Runen. Sie werden aber von Vingi, einem der Boten, verfälscht. Am Empfang der Boten beteiligen sich auch Högnis Frau Kostbera und Gunnars Frau Glaumvör. Kostbera deutet die Runen und hat einen unheilvollen Traum. Am Morgen rät sie ihrem Mann von der Reise ab, aber er schlägt die Warnung in den Wind und formuliert eine harmlose Traumdeutung (1–20). Auch Glaumvör hat einen unheilvollen Traum, aber Gunnar lässt sich nicht davon einschüchtern (21–29). Die beiden Brüder reisen ab und nehmen Högnis Söhne Snävar und Solar und seinen Schwager Orkning mit. Beim Abschied teilt Glaumvör dem Boten Vingi ihr Misstrauen mit. Er schwört, die Wahrheit gesagt zu haben. Kostbera wünscht den Männern eine gute Fahrt (30–36). Bei der Überfahrt über den Limfjord [in Nordjütland] zerbrechen die Ruder. Sie erreichen jedoch Atlis Hof. Bei der Ankunft warnt Vingi die Brüder und wird dafür von ihnen erschlagen. Gunnar und Högni werden dann von Gudrun begrüßt und erneut von ihr gewarnt. Sie ergreift ein Schwert, beteiligt sich am Kampf auf der Seite ihrer Brüder. Nach längerem Kampf fallen Högnis Söhne und sein Schwager. Die Hunnen verlieren dabei neunzehn Krieger (37–53). Atli wirft Gudrun sein Unglück vor und bedauert besonders den Tod seiner Schwester. Gudrun erinnert ihn daran, dass er ihre Mutter in einer Höhle verhungern ließ. Atli befiehlt dann, dass Högni das Herz herausgeschnitten bekommt und dass Gunnar am Galgen erhängt wird. Beiti, ein Verwandter Atlis, schlägt vor, dass sie an Högnis Stelle den Koch Hjalli ergreifen. Högni verlangt Kampf und bekommt das Herz herausgeschnitten. Währenddessen spielt Gunnar Harfe mit den Zehen und stirbt (54–67). Später bietet Atli Gudrun eine Buße für ihre Brüder an, aber sie lehnt das Angebot ab und enthüllt ihm, dass sie ihre gemeinsamen Söhne getötet und Atli ihr mit Bier gemischtes Blut in ihren Schädeln und ihre gebratenen Herzen am Spieß dargereicht hat. Die beiden Eheleute bedrohen sich gegenseitig mit Tod (68–87). Zusammen mit Högnis Sohn Hniflung erschlägt Gudrun ihren Mann im Schlaf. Im Sterben spricht er von seiner Werbung um sie. Sie wirft ihm mangelnden Heldenmut vor. Sie lässt ihn gebührlich begraben und unternimmt einen vergeblichen Selbstmordversuch (88–105).

Ghv: Guðrúnarhvöt (‚Gudruns Aufreizung‘)

  • Gudrun wirft sich ins Wasser, wird ans Land des Königs Jonak getrieben, heiratet ihn und bekommt drei Söhne Sörli, Erp und Hamdir. König Jörmunrek wirbt um Svanhild, Sigurds Tochter, die ihrer Mutter gefolgt ist. Sein Bote Bikki rät, dass Svanhild Jörmunreks Sohn Randver heiratet. Dafür wird Randver erhängt, Svanhild von Pferden zertrampelt. Da stachelt Gudrun ihre Söhne zur Rache auf und lobt den Mut ihrer Brüder. Hamdir erinnert sie an Högnis Verantwortung für Sigurds Tod und an ihre Ermordung der eigenen Söhne und nimmt trotzdem den Racheauftrag an. Beim Abschied prophezeit Hamdir einen tragischen Ausgang der Reise (1–8). Gudrun beweint ihr trauriges Schicksal und erinnert sich an Svanhild, ihr Lieblingskind. Zum Schluss entscheidet sie sich, auf einem Scheiterhaufen zu sterben, um mit Sigurd vereint zu werden (9–21).

Hdm: Hamðismál (‚Hamdirlied‘)

  • Gudrun reizt ihre Söhne auf, ihre Halbschwester Svanhild zu rächen. Jörmunrek hat sie von Pferden zertreten lassen. Hamdir erinnert sie an Högnis Verantwortung für Sigurds Tod und an ihre Ermordung der eigenen Söhne, und Sörli prophezeit seiner Mutter neues Leid (1–10). Auf dem Weg treffen die beiden Brüder ihren Halbruder Erp, und er bietet seine Hilfe an. Sie beschimpfen ihn und reiten allein weiter (11–16). Vor Ort finden sie den Stiefsohn ihrer Schwester am Galgen hängen. In der Halle ist Lärm, und es wird Bier getrunken. Sie treten hinein und werfen Jörmunrek den Mord vor. Er lacht über die Herausforderung. Im Kampf gelingt es Hamdir und Sörli, dem König Hände und Füße abzuschneiden (17–24). Da sie von keiner Waffe verletzt werden können, befiehlt Jörmunrek, dass sie gesteinigt werden. Sörli bedauert die Unvernunft seines Bruders, und Hamdir erkennt, dass der König auch den Kopf verloren hätte, hätten sie nicht unterwegs ihren Bruder Erp erschlagen. Zum Schluss sinken beide Brüder im Saal nieder (25–31).

Die verwandten Denkmäler

Fjm: Fjölsvinnsmál (‚Fjölsvinslied‘)

  • Der Held der Geschichte, der seinen Namen zum Schluss enthüllt, erreicht einen Berg. Dort verweigert ihm ein Wächter namens Fjölsvid den Zugang (1–5). Der Held stellt sich als Vindkald vor und befragt den Wächter über das Land, das Tor, die Mauer, den Baum, der die Welt überwölbt, den Hahn im Baum und die Hunde im Hof. Fjölsvid erklärt, das Land werde von Menglod geherrscht und nennt ihm die Namen des Tors, der Mauer, des Baums, des Hahns und der Hunde (6–20). Der Held fragt dann, ob man irgendwie hineinkommen kann. Der Wächter antwortet, dass der Weg frei wäre, wenn alle Wächter Flügelbraten vom Hahn bekämen. Er erklärt auch, wie man den Hahn töten kann (21–30). Der Held erkundigt sich dann nach dem Saal, dem Berg
    und Menglods Dienerinnen. Der Wächter erklärt ihm, dass der Saal sich auf der Spitze eines Speers dreht, und nennt den Namen des Bergs und der Dienerinnen (31–40). Zum Schluss fragt der Held, ob es einem Mann gegönnt ist, in Menglods Armen zu ruhen. Der Wächter antwortet, dies sei nur Svipdag gegönnt. Da gibt der Held sich als Svipdag zu erkennen, eilt zu Menglod und wird herzlich von ihr empfangen (41–50).

Fsl: Hrafnagaldr Óðins, Forspjallsljóð (‚Odins Rabenzauber, Vorredelied‘)

  • Die Götter träumen von Untergang. Alles fällt herunter, Sonne und Erde stehen nicht still, und die Stürme hören nicht auf (1–5). Idun stürzt vom Weltbaum Yggdrasil herunter und bekommt ein Wolfsfell (6–8). Odin schickt Boten zu einer Wahrsagerin, aber sie antwortet nur mit Tränen (9–13). Bei ihrer Rückkehr finden die Boten die Götter bei einem Festmahl. Sie erzählen von ihrer missglückten Sendung. Das Fest endet (14–21). Vom Osten kommt ein Riese und erschlägt die Menschen. Am Morgen erwachen die Götter wieder, und Heimdall bläst sein Horn gegen den Himmel (22–26).

Grg: Grógaldr (‚Groas Zauberspruch‘)

  • Die tote Groa wird in ihrem Grabhügel von ihrem Sohn aufgesucht. Er weckt sie und bittet sie um Hilfe. Seine Stiefmutter hat ihn aufgefordert, um Menglod zu werben, aber ohne weitere Anweisungen zu geben (1–5). Groa lehrt ihn neun Sprüche, die ihn auf dem Weg zu Menglod schützen sollen (6–16).

Grs: Grottasöngr (‚Grottis Gesang‘)

  • Odins Urenkelsohn hieß Frodi. Er herrschte im heutigen Dänemark zur Zeit des Kaisers Augustus und stiftete Frieden im Norden. In seinem Land gab es eine Zaubermühle namens Grotti mit zwei großen Mühlsteinen. Sie mahlte, was der Müller wollte. In Schweden besorgte sich Frodi zwei Riesinnen namens Fenja und Menja und ließ sie Gold mahlen. Er gestattete ihnen nur Ruhe, solange der Kuckuck schwieg, oder für die Zeit eines Lieds. Da sangen sie Grottis Gesang. Beim Singen mahlten sie ein Heer, so dass der Seekönig Mysing nach Dänemark kam und Frodi tötete. Er erbeutete dabei Grotti und befahl den Riesinnen, Salz zu mahlen. Sie mahlten soviel Salz, dass sein Schiff sank. So wurde das Meer salzig (Prosa). Zwei starke Jungfrauen Fenja und Menja dienten König Frodi. Er befahl ihnen, den Mühlstein ruhelos zu drehen. Menja hat die Knechtschaft satt, verflucht den König und berichtet von sich selbst (1–8). Neun Jahre lebte sie mit ihren Geschwistern unter der Erde. Dann schleuderten sie den Mühlstein aus der Erde, so dass die Menschen ihn fanden. Mit ihrer Schwester ging sie nach Schweden und beteiligte sich am Krieg (9–15). Seither leben sie am Königshof in Knechtschaft. Doch jetzt ist es genug. Aus dem Osten naht schon ein Heer. Frodi wird seinen Sitz in Lejre nicht halten können. Die Riesinnen mahlen, bis der Stein zerspringt (16–24).

Hdl: Hyndluljóð (‚Hyndlalied‘)

  • Freyjas Liebhaber Ottar ist in einen Erbstreit mit Angantyr verwickelt und braucht Wissen über seine Abstammung. Deshalb sucht die Göttin die Seherin Hyndla auf und reitet mit ihr zu Valhall. Freyja sitzt auf dem Rücken ihres Liebhabers, der sich in einen Eber verwandelt hat. Er wird jedoch von Hyndla durchschaut (1–11). Da zählt die Seherin seine Ahnenreihe väterlicherseits und mütterlicherseits auf. Zu seinen Vorfahren gehören die Völsungen und die Gjukungen, auch Sigurd, Gunnar, Högni und Gudrun (12–28). Ottar stammt auch von den Göttern ab. Mit Ausgangspunkt in Balders Tod wird Valhalls Pantheon beschrieben und der Endkampf der Götter angekündigt (29–44). Freyja versucht, die Seherin zu überreden, Ottar einen Erinnerungstrank zu verabreichen, aber Hyndla weigert sich und belegt die Göttin mit einem Zauber, der in ihr unstillbares Verlangen nach körperlicher Liebe entfacht. Freyja erwidert den Zauber gegen die Seherin, die dann nachgibt. Zum Schluss nimmt Ottar den Trank ein (45–50).

Rgt: Rígsþula (‚Riglied‘)

  • Eines Tages kam Heimdall zu einem armen Ehepaar an der Küste und nannte sich Rig (‚mächtig‘). Er wurde gastfreundlich empfangen und legte sich drei Nächte hintereinander zwischen beide. Neun Monate später gebar die Frau Edda (‚Urgroßmutter‘) einen schwarzhäutigen Sohn und nannte ihn Thræl (‚Knecht‘). Er wuchs heran, nahm eine Dirne zur Frau und zeugte mit ihr eine Nachkommenschaft. So entstand das Geschlecht der Knechte (1–13). Rig ging weiter und kam zu einem Ehepaar von Webern. Die Geschichte wiederholte sich. Neun Monate später gebar die Frau Amma (‚Großmutter‘) einen rothaarigen Sohn und nannte ihn Karl (‚Bauer‘). Er wuchs heran, heiratete eine Frau im Ziegenkleid und zeugte mit ihr eine Nachkommenschaft. So entstand das Geschlecht der Bauern (14–25). Rig ging weiter und kam zu einem dritten Ehepaar. Der Mann war Jäger, die Frau untätig und bildschön. Die Geschichte wiederholte sich. Neun Monate später gebar die Frau Modir (‚Mutter‘) einen blonden Sohn und nannte ihn Jarl (‚Herzog‘). Er wuchs heran, und Rig lehrte ihn Runen. Er heiratete eine edle Frau und zeugte mit ihr eine Nachkommenschaft. Kon, einer seiner Söhne, lernte Runen und verstand die Vögel. Er kämpfte mit Rig, siegte und durfte sich selbst Rig nennen. Eines Tages empfiehlt eine Krähe, die Halle von Dan und Danp aufzusuchen (26–48). Hier bricht die Überlieferung ab. Nach dem ehemaligen Besitzer der Haupthandschrift (W), Arngrímur Jónsson, der den Schluss gekannt haben dürfte, heiratete Rig Danps Tochter Dana und zeugte mit ihr Dan, den Begründer der dänischen Monarchie.

Sol: Sólarljóð (‚Sonnenlied‘)

  • Das Gedicht lässt sich in sieben Teile gliedern. I: Parabeln (1–24), II: Ratschläge (25–32), III: Der Tod (33–52), IV: Die Hölle (53–68), V: Das Paradies (69–75), VI: Das Erlösungshorn (76–80), VII: Epilog (81–83).
    I: Ein Betrüger bekam den Besuch eines hungrigen und durstigen Gasts, empfing
    ihn freundlich und wurde trotzdem von ihm erschlagen. Seine Seele wurde von
    Engeln in den Himmel getragen (1–7). Unnar und Sævaldi flohen wie Wölfe in den Wald (8f). Zwei Freunde Svavad und Skardedin zerwarfen sich wegen einer Frau und fanden beide den Tod im Zweikampf (10–14). Radny und Vebodi, die einst mit großer Macht herrschten, verfielen der Sünde (15–18). Sörli vertraute Vigulf, dem Mörder seines Bruders, und wurde von ihm erschlagen. Sein Körper wurde in den Brunnen geworfen, seine Seele kam in den Himmel (19–24). II: Bitte Gottes Dienerinnen um Hilfe, vermehre nicht das Übel nach einem Zornanfall, rufe Gott mit ganzer Seele an, behalte meine Ratschläge gut (25–32). III: Ich habe in goldgierigen Menschen gelebt. Sie werden bald zu kalten Körpern. Der Herr befahl mir, sie zu verlassen. Ich sah die Sonne in die stürmische See sinken. Auf der anderen Seite hörte ich die Tore der Hölle. Ich verabschiedete mich von der göttlichen Sonne, während die mit Blut vermischte
    See raste. Mein Körper wurde kalt. Da verließ der Stern der Hoffnung meine Brust. Ich zog von Reichtum zu einem Sandlager. Neun Tage lang ritt ich wie durch sieben Kugeln und erreichte die höchste Gegend (33–52). IV: Dort sah ich die Seelen der Menschen wie Vögel fliegen, im Westen den Seedrachen, im Süden den Sonnenhirsch, im Norden
    die sieben Lichtsöhne. Sie tranken Met aus dem Brunnen der Weisheit. Mitten in der
    Stille hörte ich ein Getöse, und viele Männer wurden von Steinen getroffen. Ich sah Männer, die dem Neid verfallen waren. Sie trugen blutige Runen auf der Brust. Ich sah gierige Männer. Sie waren mit Blei beladen. Ich sah Räuber. Aus ihrer Brust wurden Drachen geboren. Ich sah Männer, die keinen Tag heilig gehalten hatten. Ihre Hände wurden an heiße Steine genagelt. Ich sah welche, die ungebührlich angezogen waren. Ihre Kleider wurden in Flammen gehüllt. Ich sah Lügner. Ihre Augen wurden von Höllenraben ausgestochen. Süße Sünden werden schwer belohnt (53–68). V: Dann sah ich diejenigen, die Gottes Gebote beachtet hatten. Über ihren Köpfen brannten helle Kerzen, und Engelgesang ertönte. Ihnen wurden Nahrung und ein angenehmes Lager zum Teil. Hohe Wagen fuhren unschuldig Ermordete über den Himmel zum Herrn. Sohn des allmächtigen Vaters, erlöse uns von allen Schmerzen (69–75). VI: Vor Herdis‘ Tor sitzen Lügner und Begierige und bluten aus der Nase. Odins Braut steuert das Schiff der Erde. Du Erbe, für Dich allein enthüllte Dein Vater das von Njörds neun Töchtern mit Runen beschriebene Hirschhorn (76–80). VII: Ich habe Dir dieses Sonnenlied gesungen, damit alle Lebewesen es lernen. Wir werden uns am Morgen der Freude wiedersehen. Deshalb hast Du dieses Lied im Traum gehört (81–83).

Vtk: Vegtamskviða (‚Vegtamlied‘) oder Baldrs draumar (‚Balders Träume‘)

  • Die Götter versammeln sich zur Beratung, weil Balder unheilvolle Träume hat. Odin reitet in die Unterwelt, um eine tote Seherin durch Gesang heraufzubeschwören (1–4). Dort stellt er sich als Vegtam (‚der Weggewohnte‘) vor und stellt ihr vier Fragen. Die Seherin erklärt ihm, dass alles für Balder schon bereit steht, nennt seinen Mörder Höd und erzählt, wer ihn rächen wird (5–12). An der letzten Frage, welche Frauen Balder beweinen, erkennt die Seherin Odin und kündigt an, bis zum Ende der Welt schweigen zu wollen (13f).

Das Alter der Lieder

  • Björn Jónssons Zitate aus der Lieder-Edda machen wahrscheinlich, dass der Codex Regius schon vor 1642 entdeckt wurde. Die Handschrift gelangte bald an den Bischof Brynjólfur Sveinsson, und er vermutete, dass die Gedichtsammlung auf Veranlassung des 1133 gestorbenen Priesters Sæmundur Sigfússon, genannt inn Fróði (‚der Gelehrte‘), zustande gekommen war. Dieser Mann hatte im Ausland studiert, in Oddi in Südisland eine Schule gegründet und galt als produktiver Verfasser. Kein Werk ist allerdings von ihm erhalten. Sein Enkelsohn Jón Loftsson verwandelte die Schule zu einem Zentrum von Bildung und Wissenschaft, empfing 1183 den vierjährigen Snorri Sturluson und sorgte 14 Jahre lang für dessen geistige Ausbildung. Die Zuschreibung der Sammlung an Sæmund wurde bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts allgemein akzeptiert. Sie wird heute einstimmig verworfen.
  • Das Alter der Lieder selbst ist ein Streitapfel der Forschung geblieben. Bei der Veröffentlichung der ersten Lieder der Sammlung, und zwar der Völuspá und dem Hávamál, diskutierte der Herausgeber Peder Hansen Resen die Herkunft der Lieder und kam zu folgendem Ergebnis: „Der Autor des Hávamál ist Odin“ (Haavamaals autor est Odinus) (Resen 1665, Bl. h4v) und „Doch unser Autor wird Odin aus Uppsala sein“ (Auctor v[erum] hic noster erit Odinus Upsalinus) (Resen 1665, Bl. i1v). Ein genaueres Datum für die Lebzeiten des vermuteten Dichters schlug der dänische Historiker nicht vor. Er ging bloß davon aus, dass die Lieder-Edda älter war als die Prosa-Edda: „Der Verfasser der jüngeren Edda ist vermutlich Snorri Sturluson, der diese Edda aus der früheren des Sæmund sammelte, durch Zusätze vermehrte und mit sicherem Überblick auf die Dichtungslehre anwandte.“ (Eddæ recentioris auctor statuitur Snorro Sturlusonius […] qvi hanc Eddam ex priore priscâ Sæmundinâ congessit, eamq[ue] interpolavit, certôq[ue] consilio ad Poësin accommodavit.) (Resen 1665, Bl. i2v)
  • Die ersten Datierungsversuche stammen aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Drei Jahre vor seiner deutschen Übertragung der Prosa-Edda kündigte der Stettiner Kaufmann Jacob Schimmelmann seine Absicht an, „die sogenannte etwa Anno 1070 aus dem Staube, durch den Isländer Sæmundar (Froden) hervorgeholte, und bis auf unsere Zeiten glücklich conservirte isländische Edda, als ein hauptrares und ohne Zweifel nach der Bibel das allerälteste Buch in der Welt […] dem Publio durch den Druck in die Hände zu liefern.“ (Schimmelmann 1774, S. 44)
  • Wenig später ergriff ein Skeptiker das Wort, der Dresdner Oberbibliothekar Johann Christoph Adelung. Er befasste sich besonders mit Snorri als Historiker und verglich den Isländer mit Saxo, dem „Vater aller Fabeln in der nordischen Literatur.“ (Adelung 1797, S. 154) Snorri erzählt die norwegische Geschichte und beginnt sie im neunten Jahrhundert mit Harald Schönhaar, dessen Existenz durch keine Urkunde belegt ist. Deshalb fragte sich Adelung: „hat es wirklich einen Harald Schönhaar in Norwegen gegeben?“ (Adelung 1797, S. 146) Die Existenz des Königs belegt Snorri durch Zitate aus angeblich zeitgenössischen Dichtern. Adelung wunderte sich darüber, dass „außer dem Snorro niemand diese Dichter, ein Paar allenfals ausgenommen, kennt, niemand ihre Gedichte gesehen hat. […] wenn man alles zusammen nimmt, und dabey bedenkt, daß sich Sprache, Geist und Ton in allen diesen Gedichten so ziemlich gleich ist, ungeachtet sie oft mehrere Jahrhunderte von einander entfernt sind, so wird Snorri sehr verdächtig, dass er, wo nicht alle, doch die meisten […] in den langen Winterabenden bloß zum Vergnügen selbst gedichtet hat.“ (Adelung 1797, S. 161f) Über die Lieder der „Sämundischen Edda“ fällte der Oberbibliothekar ein ähnliches Urteil: „In den Gedichten selbst ist keine Spur eines hohen Alters zu finden, auch aus der Sprache läßt sich dergleichen nicht folgern.“ (Adelung 1797, S. 166) Über die Leichtgläubigkeit seiner Vorgänger und Zeitgenossen ironisierte Adelung mit Humor und Entsetzen: „Das Havamal kann kein anderer als Odin selbst verfertigt haben, und die göttliche Voluspa! ja, die ist von der Erythräischen Sibylle noch vor dem Trojanischen Kriege gedichtet, und von Odin und seinem Gefolge aus Asien mitgebracht worden. Sollte man nicht eher glauben, Fieberkranke fantasiren, als Gelehrte des 17ten Jahrhunderts urtheilen zu hören?“ (Adelung 1797, S. 167f)
  • Seit der Aufklärung hat die Forschung keinen festen Boden unter die Füße gewonnen. Die Lieder-Edda gilt heute noch allgemein als die wichtigste Vorlage der Prosa-Edda, und Snorri wird deshalb als mehr oder wenig verlässlicher Bearbeiter angesehen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einigte man sich allmählich darauf, die Entstehung der ältesten Gedichte der Lieder-Edda nicht vor der Ansiedlung Islands am Ende des 9. Jahrhunderts anzusetzen. Der norwegische Historiker Rudolf Keyser war eher Anhänger einer Frühdatierung: „Deshalb muss man wohl die Herkunft der Eddalieder aus einem Zeitalter älter als Harald Schönhaars Tage, älter als die Mitte des 9. Jahrhunderts mit so guten Gründen für bewiesen ansehen, wie man in einer Sache dieser Beschaffenheit fordern kann.“ (saa maa man vel ansee Eddadigtenes Oprindelse fra en Tidsalder ældre end Harald Haarfagres Dage, ældre end Midten af det 9de Aarhunderede, for at være beviist med saa gode Grunde, som man i en Sag af den Beskaffenhed kan fordre. (Keyser 1866, S. 269) Sein Landsmann Sophus Bugge, der Herausgeber der ersten verlässlichen Edition der Gedichte, neigte zu einer Spätdatierung: „Keines der norrönen Gedichte, die uns die frühsten umfassenden Zeugnisse über die Asenreligion geben, kann älter als das neunte Jahrhundert sein. Erst der mächtige Wellenschlag der Wikingerzeit brachte die ganze, uns bewahrte mythisch-heroische Dichtung hervor.“ (Intet af de norrøne Digte, der give os de tidligste omfattende Vidnesbyrd om Aase-Religionen, være ældre end niende Aarhundred. Det er Vikingetidens mægtige Bølgeslag, som først har baaret hele den til os bevarede mythisk-heroiske Digtning frem.) (Bugge 1881–1889, S. 3) Für die beiden Norweger ging es also lediglich darum, ob die Mitte des 9. Jahrhunderts als obere oder untere Zeitgrenze zu betrachten sei. Für Skeptiker wie Adelung dagegen bildeten die Handschriften die einzige Datierungsgrundlage, und wir müssen heute feststellen, dass es der Forschung seit der Aufklärung nicht gelungen ist, einen wissenschaftlichen Beweis für eine Entstehung der Lieder-Edda vor dem 13. Jahrhundert zu bringen. Vor einigen Jahrzehnten war eine schwache Tendenz zur Verjüngerung spürbar, aber sie hat sich kaum bestätigt: „it would be fair to say that the tendency of recent times is to propose ever later dates.“ (Harris 1985, S. 93f) Den gründlichsten Überblick über die umstrittene Datierungsfrage verdanken wir dem norwegischen Philologen Bjarne Fidjestøl (Haugen 1999).
  • Bugge ist ein Hauptvertreter der dominierenden Mündlichkeitstheorie: „‚Alle diese Lieder müssen aus dem Mund des Volks ertönt haben, bevor sie aufgezeichnet wurden.“ (Alle disse Kvæder have lydt fra Folkets Mund, før de bleve optegnede.) (Bugge 1867, S. i) Er bezweifelte jedoch die seit Resen geläufige Annahme, dass Snorri die im Codex Regius vorliegende Gedichtsammlung einfach in Prosa umgoss. Nach einer Besprechung der beiden Darstellungen der Nibelungensage zog der Norweger folgende Bilanz: „Snorri scheint also keine Handschrift der Gedichtsammlung, die wir aus R kennen, vor sich gehabt haben zu können.“ (Snorre synes saaledes ikke at kunne have havt for sig noget Haandskrift af den Digtsamling, som vi kjende fra R.) (Bugge, S. xxx) In der philologischen Frage vertrat Bugge gleichsam eine kopernikanische Wende: „Ich habe versucht ein Beispiel dafür nachzuweisen, dass Snorris Edda in der Gedichtsammlung benutzt worden ist und dass diese also jünger ist als Snorris Werk. […] Es erscheint mir deshalb wahrscheinlich, dass unsere Gedichtsammlung gegen das Jahr 1240 zustande gebracht wurde.“ (Jeg har […] søgt at paavise et […] Eksempel paa, at Snorra Edda er benyttet i Digtsamlingen og at altsaa denne er yngre end Snorres Værk. […] Det synes mig derfor rimeligt, at vor Digtsamling er istandbragt omkring Aar 1240.) (Bugge, S. lxvii)
  • Die Lieder des Codex Regius enthalten 64 Strophen, die ganz oder teilweise auch in der Prosa-Edda vorkommen (Vsp 27, Hvm 1, Vfm 9, Grm 19, Skm 1, Lks 1, Alv 2, Grp 1, Ffm 3). Die acht verwandten Denkmäler haben nur eine Strophe mit Snorris Werk gemeinsam (Hdl). Es fällt auf, dass fast alle Strophen sich in drei Götterliedern konzentrieren. Zwei davon (Vsp, Grm) werden in den betroffenen Passagen mehrmals mit Titel zitiert und müssen also Snorri in vollständiger Form vorgelegen haben. Bei den sieben anderen Liedern können die wenigen zitierten Strophen der Prosa-Edda als Ausgangspunkt für Erweiterungen gedient haben. Das ist besonders deutlich beim Fáfnismál, wo zwei Vögel sich zu sieben vermehrt haben und nicht umgekehrt. Es ist vorstellbar, dass die Lieder-Edda in mehreren Etappen entstanden ist. Zuerst wurden die wichtigsten mythologischen Götterlieder verfasst und kurz danach die Prosa-Edda. Auf der Grundlage dieses klaren und kohärenten Buchs kamen schließlich die Heldenlieder und einige Götterlieder mit erzählendem Inhalt zustande. Es ist bemerkenswert, dass die vielen Heldenlieder nur vier gemeinsame Strophen mit der Prosa-Edda haben. Fast sämtliche Plusmotive der Heldenlieder im Vergleich zu Snorris Werk entfernen die Sage vom Nibelungenlied. Die Hundingssöhne, Brynhilds Aufstand gegen Odin, Oddrun und Gudruns Seitensprung mit Thjodrek haben zum Beispiel kein Gegenstück in der Prosa-Edda oder im mittelhochdeutschen Epos. Die Thjodrek-Gestalt (Gk2, Gk3) und die Hinweise auf abweichende Beschreibungen von Sigurds Tod (Brt) bestätigen, dass der oder die Autoren der Heldenlieder anscheinend eine gewisse Kenntnis des Nibelungenlieds hatten. Es ist nicht unmöglich, dass Lieder und Prosa von derselben Feder stammen. Wenn Snorri die Gedichte der Lieder-Edda jedoch nicht selbst verfasste, müssen sie von nahen Zeitgenossen stammen. Vielleicht wurde die Prosa-Edda in Oddi für den Literaturunterricht benutzt. In diesem Fall entstanden die Lieder als Schulübungen und wurden schon zu Snorris Lebzeiten zu einer Sammlung mit erklärenden Prosakommentaren vereint.
  • Zur Entstehung von Snorris Mythologie, vgl. P. Andersen: „La mythologie de Snorri : renaissance ou création poétique ?“ In: Mythes et mythologies. Actes du colloque international des 6, 7 et 8 mars 2008 à Amiens. Hrsg. von Danielle Buschinger. Amiens 2009 (= Medievales 45), S. 1–13. Zur Beziehung zwischen Prosa-Edda und Lieder-Edda, vgl. ders.: „Mourir dedans ou dehors, voilà la question. Quelques réflexions sur la légende des Nibelungen.“ In: Études Médievales 9–10 (2008), S. 30–41, hier S. 35–37 und Andersen 2009, S. 147–154.