Kurzbeschreibung
- Beziehung zur Tristansage: Ende ab Tristans Heirat, zweite Gottfried-Fortsetzung
- Überlieferung: 3 Handschriften (EFO), 1 Fragment (w) und ein heute verschollenes Fragment, von dem wir durch Abdruck nur einige Lesarten kennen (p) → Handschriftencensus
- Online-Überlieferung: w (Vollanzeige: Bl. 1r–1v), p (Abdruck von Lesarten)
- Titel: Tristran (Myller 1785), Tristan und Isolde (von der Hagen 1823), Tristan (Bechstein 1877)
- Verfasser: „Heinrîch von Vrîberc“ (Bernt 1906, v. 82)
- Sprache: mittelhochdeutsch
- Länge: 6890 Verse (Bechstein 1877 und Bernt 1906)
- Form: paargereimte Verse
- Entstehungszeit: um 1280
- Entstehungsort: Böhmen
- Erstdruck: Myller 1785
- Online-Ausgaben: von der Hagen 1823, Bechstein 1877, Golther 1889 (nur v. 1–1128), Bechstein 1891 (nur v. 1–110), Bernt 1906
- Online-Übersetzungen: Golther 1889 (Nacherzählung: v. 1129–6890), Bechstein 1891 (Nacherzählung: v. 111–6890)
- Hauptquellen: Eilharts von Oberg Tristrant (1170/1200), Ulrichs von Türheims Tristan (um 1240)
- Rezeption: keine
- Beschreibung: Wikipedia
Die zweite Gottfried-Fortsetzung
Etwa vier Jahrzehnte nach der ersten Gottfried-Fortsetzung entstand eine zweite in Böhmen. Der Autor nennt sich Heinrich von Freiberg und widmet seinen Text einem jungen Ritter namens Raimund von Lichtenburg (v. 53–83). Dieser Adlige urkundete mehrmals zwischen 1278 und 1329 und gehörte einem Geschlecht an, das seinen Sitz in der Nähe von Deutschbrod (heute Havlíčkův Brod) 100 km südöstlich von Prag hatte (vgl. Bernt 1906, S. 184 ff. und Wikipedia). Das Geschlecht scheint eine Beziehung zur Lausitz gehabt zu haben, denn das „berühmte“ Kloster, das König Marke auf dem Grab der Liebenden stiftet und in das er selbst hineintritt, ist wegen des Namens (v. 6804: „a l’estelle sente Mariâ“, v. 6809: „sente Merienstern“) mit einer Zisterzienserinnenabtei in der Oberlausitz gleichzusetzen (vgl. Bernt 1906, S. 187 f.). Dieses Kloster wurde 1248 gestiftet und um 1284 vollendet. Etwa zur Zeit der Vollendung dürfte der Tristan entstanden sein. Heinrich von Freiberg übertrug auch eine lateinische Legende über die Herkunft des heiligen Kreuzes (882 Verse) und verfasste nach 1293 das Preisgedicht Die Ritterfahrt Johanns von Michelsberg (330 Verse) zu Ehren des böhmischen Adligen Jan z Michalovic (†1306). Der Dichter ist vielleicht mit einem Ritter des Olmützer Bischofs identisch, der 1266 als „Henricus de Broda“ urkundete (vgl. Bernt 1906, S. 195). Er wäre in diesem Fall vor 1235 geboren und hätte den Tristan in einem Alter von rund 50 Jahren geschrieben.
Wie Ulrich von Türheim erklärt Heinrich von Freiburg den fehlenden Schluss mit dem frühzeitigen Tod Gottfrieds von Straßburg und stimmt wie sein Vorgänger ein überschwängliches Lob auf den Verstorbenen an (Bernt 1906, v. 1–52). So lautet es in moderner Übersetzung (Spiewok 1993, S. 1 f.):
„Wo blieben Schätze reicher Kunst, wo Dichterworte, Blüten gleich, wo jene Sprache voller Anmut, im Ausdruck wie die Rose schön, Sentenzen – geistvoll, einfallsreich? Des bin ich leider nun verwaist! Der Dichtung – meisterlich durchdacht, gedankenreich und wohlgeformt – bin ich fürwahr des Erbes bar. Und dennoch habe ich’s gewagt, dies Werk zu einem Ziel zu bringen, das bis hierher uns blütenreich, in zauberhafter Sprache und gar meisterhaft sein Herr und Meister – Gottfried von Straßburg – ausgeformt. Sein Formgewand hat er mit klugen, gelenken Schnitten zugerichtet; er hat es schön und meisterhaft, im Stile eines wahren Meisters und phantasievoll zugeschnitten. Er hat dem Geist der Dichtung wahrlich ein Sprachenprachtgewand geschneidert und so den Inhalt seines Werkes in solch ein Lichtgewand gehüllt, dass ich in argem Zweifel lebe, ob in der Kammer meines Geistes der Poesie solch Wortgewalt zu finden, die der Verse Goldglanz entfernt nur wiederholen können! Er ist uns leider nicht geblieben: Gott, unserm Schöpfer, hat’s gefallen, dass ihn der Tod hinweggenommen aus diesem Erdenjammertal. Mit Blütenknospen reich geziert ist wohl sein Kranz der Phantasie. Vollkommen rein und klar und lauter blieb seine Dichtkunst reicher Hort. Den Toten bleibt das Recht der Toten, den, die lebendig, das des Lebens. Da es ihm nicht vergönnt, sein Werk bis an das letzte Ziel zu bringen, es mit des Dichters Sprachgewalt auch zu vollenden – jenes Werk, das voller Klarheit, voller Wohllaut – , so habe ich – ich törichter und aller Dichtung barer Mann – mir vorgenommen, es zu enden, und zwar bis zu dem bitteren Ende, da Tristan und Isolde Blondhaar in heißer Liebe ein Ende nehmen.“