Die erste skandinavische Bearbeitung der Nibelungensage ist die Tristrams saga des Mönchs Robert. Im kurzen Prolog nennt sich der Dichter und erklärt, er habe den Text 1226 auf Befehl des Königs Håkon ins Norröne übersetzt (vgl. Brynjúlfsson 1878, S. 3). Mit dieser Saga begründete Robert die höfische Literatur in Skandinavien. Håkon IV. herrschte von 1217 bis 1263 über Norwegen. Wir wissen nicht, ob Robert Isländer oder Norweger war. Er wird mit dem „Abt Robert“ (Roðbert aboti) identifiziert, der sich am Ende der Elis saga nennt (Kölbing 1881, S. 116). Vielleicht war er zwischen 1226 und dieser zweiten Saga Abt geworden. Da er beide Texte für Håkon IV. verfasste, wird er gewöhnlich für Norweger gehalten.
Obwohl Robert in der Tristrams saga keinen Gewährsmann nennt, lässt sich durch den Vergleich mit den anderen vorliegenden Fassungen feststellen, dass er nur den altfranzösichen Roman des Thomas benutzt hat. Er hält sich recht treu an die Handlung und kürzt nur gelegentlich, ohne ganze Episoden zu überspringen. Bei der Rekonstruktion der verlorenen Teile des fragmentarisch überlieferten altfranzösichen Romans gilt die Saga als Kronzeuge, weil sie im Gegensatz zu Gottfrieds Fassung eine vollständige Bearbeitung der Vorlage bietet.
Überlieferung
Die Saga ist in einer späten Papierhandschrift (AM 543 4to) weitgehend unikal überliefert. Hinzu kommen vier Pergamentblätter aus zwei sehr ähnlichen Handschriften. Man hat deshalb einen codex discissus vermutet (vgl. Kranz). Das Kopenhagener Fragment (AM 567 XXII 4to) ist seit langem bekannt, das andere Fragment wurde erst nach der Veröffentlichung der drei älteren Ausgaben in den USA entdeckt und befindet sich heute in Washington DC. Es hat sich herausgestellt, dass es sich in Wirklichkeit um zwei verschiedene Handschriften handelt (vgl. Uecker 2008). Endlich liegt die Saga in einer Kurzfassung vor (AM 489 4to). Um die beiden Versionen auseinanderzuhalten, wird Roberts Text manchmal als die norwegische, die Kurzfassung als die isländische Tristrams saga bezeichnet (vgl. Uecker 2008). Die übrigen jüngeren Handschriften spielen keine Rolle für die Textherstellung.
Die Haupthandschrift hat eine Gliederung in 101 Kapitel. Der Prolog enthält hier in moderner Rechtschreibung den Titel Sagan af Tristram og Isönd. In seiner Ausgabe konjizierte Eugen Kölbing Tristrams saga ok Ísondar für das Original. Der andere Herausgeber Gísli Brynjúlfsson bevorzugte mit Saga af Tristram ok Ísönd eine konservativere Lösung.
- Kopenhagen, AM 543 4to: 63 Bl., Papier, 17. Jh. → Kölbing 1878, Kaalund 1889, Handrit.is
- Kopenhagen, AM 567 XXII 4to: 3 Bl., Pergament, letzte Hälfte des 15. Jh. → Kölbing 1878, Kaalund 1889, Handrit.is
- Kopenhagen, NKS 1144 fol.: 169 Bl., Papier, erste Hälfte des 18. Jh., Tristams saga: Bl. 134r–135v → Fornaldarsögur Project
- Reykjavík, AM 489 4to: 56 Bl., Pergament, Ende des 15. Jh., Tristrams Saga: Bl. 36v–46r) → Brynjúlfsson 1851, Kaaland 1889
- Reykjavík, AM 576b 4to: 36 Bl., Papier, 1690–1710, Tristams saga: Bl. 19r–19v → Kaalund 1889, Fornaldarsögur Project
- Reykjavík, ÍB 51 fol.: 202 Bl., Papier, um 1688, Tristams saga: Bl. 112v–164v → Skaldic Poetry, Fornaldarsögur Project
- Reykjavík, JS 8 fol.: 322 Bl., Papier, 1729, Tristams saga: Bl. 186r–226v → Skaldic Poetry, Fornaldarsögur Project
- Reykjavík, LBS 2316 4to: 236 Bl., Papier, 1850, Tristams saga: Bl. 14v–18r → Fornaldarsögur Project
- Reykjavík, LBS 4816 4to: 289 Bl., Papier, 1800, Tristams saga: Bl. 288r–289r → Fornaldarsögur Project
- Washington DC, Library of Congress: 1 Bl., Pergament, 15. Jh. → Kranz, Uecker 2008
Online-Ausgaben
- Brynjúlfsson 1851 (AM 489 4to), Brynjúlfsson 1878 (AM 543 4to), Brynjúlfsson 1878 (AM 567 XXII 4to), Kölbung 1878 (AM 543 4to)
Online-Übersetzungen
- Brynjúlfsson 1851 (dän.), Brynjúlfsson 1878 (dän.), Kölbing 1878 (dt.), Uecker 2008 (dt., Auszüge)
Übrige Übersetzungen
- Schach 1973 (engl.), Boyer 1995 (fr.), Magnúsdóttir/Tétrel 2012 (fr.)