Marie de France

Das Lai du chèvrefeuille (‚Lied vom Geißblatt‘) ist ein Gedicht von Marie de France. Über diese Dichterin, die erste bekannte Schriftstellerin der französischen Literatur, ist nichts bekannt. Sie hat zwölf Lais nach unbekannter Vorlage gedichtet und dazu noch 102 lateinische Fabeln des Äsop und den Prosatext Tractatus de Purgatorio Sancti Patricii (‚Traktat über das Purgatorium des heiligen Patrick‘) in französische Verse übersetzt.

Sie nennt sich selbst Marie und verrät nur im Epilog der Fabelsammlung ihre Herkunft: Marie ai num, si sui de France (‚Ich heiße Marie und komme aus Frankreich‘) (Esope, Epilogus 4, vgl. Warnke 1898, S. 397). Diese Herkunftsangabe wird gewöhnlich von der Forschung auf die „Île-de-France“ bezogen. Die Dichterin stammt also vielleicht aus Paris oder der Umgebung dieser Stadt. Als Autorin war sie zwischen 1160 und 1190 tätig, vielleicht am Hof von London. Sie widmet ihre Lais einem „edlen König“ (nobles reis) (V. 43, vgl. Warnke 1885, S. 4), in welchem die Forschung den englischen König Heinrich II. erkennen will. Es ist darüber spekuliert worden, ob Marie de France seine Halbschwester war, aber diese Hypothese beruht auf keiner sicheren Grundlage.

Ein Lai ist ein erzählendes Gedicht aus achtsilbigen, paarweise gereimten Versen. Dasjenige von Tristram ist mit 118 Versen das kürzeste der Sammlung. Die thematisierte Wiederkehrepisode hat keine direkte Entsprechung in den übrigen Fassungen der Tristansage. Marie de France scheint sie also frei erfunden zu haben. Der Titel des Lais erscheint zum Schluss sowohl auf Englisch gotelef (d.h. goat-leaf) als auf Französisch chevrefoil (V. 115f). Die Pflanze heißt heute chèvrefeuille auf Französisch, aber honeysuckle auf Englisch.

Überlieferung

  • London, British Library, Harley 978: 163 Blätter, Pergament, 3. Viertel des 13. Jh., Chèvrefeuille: Bl. 150vb–151vb (Abbildung) → Arlima
  • Paris, Bibliothèque nationale de France, nouv. acq. fr. 1104, Bl. 32rb → Arlima

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