Thomas von Britannien

Thomasʼ fragmentarischer Roman ist die älteste handschriftlich bezeugte vollständige Bearbeitung der Tristansage. Insgesamt sind in sechs Fragmenten 3298 Verse erhalten. Der Inhalt der verlorenen Teile lässt sich anhand der drei wichtigsten unmittelbaren Bearbeitungen, Gottfrieds Tristan, Roberts Tristrams saga und dem mittelenglischen Sir Tristrem, mit einiger Sicherheit rekonstruieren. Das Original dürfte etwa 19000 Verse enthalten haben (vgl. Arlima). Gottfried, der in seinen 19548 Versen 70 bis 80 % seiner Vorlage bearbeitet, hat eine gewisse Tendenz zur Erweiterung. Thomas vertritt die höfische Version, die „version courtoise“, die sich dadurch kennzeichnet, dass der Minnetrank einerseits eine unbegrenzte Wirkung hat und dass Marke andererseits seine Frau nicht selbst zum Scheiterhaufen verurteilt, sondern sie einem Gottesurteil unterwirft. Dadurch wird ein milderes Bild von seiner Persönlichkeit entworfen.  Die Wirkung des Tranks kommt in der Schlussszene zum Ausdruck, in welcher der sterbende Tristan ausruft: „El beivre fud la nostre mort“ (‚Dieser Trank war unser Tod‘) (D 1224 = Bédier 2495). Es ist nicht ausgeschlossen, dass Thomasʼ Roman die erste epische Bearbeitung des Stoffes war. Er wäre in diesem Fall als Originaldichtung und Grundlage aller übrigen Fassungen anzusehen.

Kurzbeschreibung

  • Beziehung zur Tristansage: vollständige Bearbeitung
  • Überlieferung: 6 Handschriften → Bédier 1905, Arlima
  • Online-Überlieferung: D (Vollanzeige), Sn (Vollanzeige)
  • Titel: Roman de Tristan (Bédier 1902)
  • Verfasser: „Thomas“ (D 863 = Bédier 2134), „Tumas“ (Sn2 820 = Bédier 3125), „Thômas von Britanje“ (Gottfried 150), „Thômas“ (Gottfried 328)
  • Sprache: altfranzösisch
  • Länge: 3298 von ursprünglich etwa 19000 Versen
  • Form: achtsilbige paargereimte Verse
  • Entstehungszeit: um 1170
  • Entstehungsort: England, vermutlich London
  • Erstdrucke: Michel 1835 [D], Michel 1839  [Sn1], Michel 1839 [Sn2], Michel 1839 [Str1], Michel 1839 [Str2], Michel 1839 [Str3], Novati 1887 [T1], Novati 1887 [T2], Bédier 1902 [C = v. 1 –52]
  • Online-Ausgaben: Bédier 1902 [Sn1 = v. 53–940], Bédier 1902 [T1 = v. 941–1196], Bédier 1902 [Str1 = v. 1197–1264], Bédier 1902 [T2/D/Sn2 =  v. 1197–3144], Payen 1974/Marchello 1995 [Transkription aller Fragmente], ABU 1999 [C, D, Sn1, Transkription], Wikisource [C, Sn, Str1, Transkription]
  • Online-Übersetzungen: Belloc 1913 [engl. nach Bédier 1902, Transkription], École alsacienne [fr., Teilübersetzung], Shoaf [fr., Teilübersetzung]
  • Hauptquelle: vielleicht verlorene Fassung eines unbekannten „Brery“ (D 849 = Bédier 2120)
  • Rezeption: Gottfrieds von Straßburg Tristan (1210/1215), Roberts Tristrams saga (1226), Sir Tristrem (um 1300), La Tavola Ritonda o lʼIstoria di Tristano (14. Jh.)
  • Beschreibung: Wikipedia

Überlieferung

  • Cambridge (C): Cambridge, University Library, Ms. Add. 2751 (3), 1 Blatt, Pergament, Ende 13. Jh., 52 Verse: Baumgarten
  • Sneyd (Sn): Oxford, Bodleian Library, Ms. French d. 16, 23 Blätter, Pergament, Ende 12. Jh., 1727 Verse mit zwei zusammenhängenden Passagen: Hochzeit + Schluss (Sn1 = fol. 4ra–11vb = 888 Verse, Sn2 = fol. 11ra–17rb = 839 Verse), nach dem Vorbesitzer Walter Sneyd (1809–1888) benannt
  • Carlisle: Carlisle, Cumbria Record Office, Holm Cultram Cartulary, 1 Blatt, 13. Jh., 154 Verse: Minnetrank, 1994 entdeckt
  • Turin (T): Turin, Accademia delle Scienze, MS. Mazzo 812/viii/C, 2 Blätter (= 1 Doppelblatt), Pergament, 13. Jh., 512 Verse mit zwei zusammenhängenden Passagen: Bildersaal + kühnes Wasser (T1 = 259 Verse, T2 = 253 Verse), 1887 entdeckt und danach lange verschollen
  • Straßburg (Str): Früher Straßburg, Stadtbibliothek, 4 Blätter, 13. Jh., 218 Verse mit vier zusammenhängenden Passagen: Wiederkehrabenteuer + Passagen aus dem Schluss (Str1 = 68 Verse, Str2 = 6 + 74 Verse, Str3 = 70 Verse), 1839 ediert, 1870 verbrannt
  • Douce (D): Oxford, Bodleian Library, Ms. Douce d. 6, 44 Blätter (= 22 Doppelblätter), Pergament, Ende 13./14. Jh., fol. 1–12vr:  1815 Verse mit dem Schluss, nach dem Vorbesitzer Sir Francis Douce (1757–1834) benannt

Der Schluss wird teilweise von deckungsgleichen Fragmenten überliefert.